Friedensinterventionen in bewaffneten Konflikten

Ermutigung statt Einmischung

Von Ueli Wildberger

Fast täglich bringen uns Fernsehen und Zeitung schreckliche Kriegsbilder ins Haus – und lassen uns mit einem Gefühl der Ohnmacht zurück. Können zivile Friedensdienste eine Antwort auf die Greuel des Mordens, der Vergewaltigungen und der massenhaften Zerstörungen geben? Ueli Wildberger, Aktivist der Peace Brigades International (PBI), erläutert, warum und wie sich die Friedensbewegung von überkommenen Denkmustern lösen muss.

In Friedenskreisen geistern als Antwort auf Militär und Krieg Vorstellungen gewaltfreier Friedensinterventionen herum, die stark militärischen Bildern verhaftet sind, zum Beispiel massive Eingriffe gewaltfreier Friedenstruppen, die sich heroisch zwischen die Kampfparteien stellen und so den Krieg beenden. Durch konkrete Erfahrungen haben wir gelernt, dass gewaltfreie Konfliktlösung grundsätzlich anders funktioniert und wir uns von unbewussten Denkmustern lösen müssen.

Friedensarbeit von unten

Gewaltmissbrauch setzt meist Herrschaft von Menschen über Menschen, also hierarchische Machtstrukturen voraus. Nur wo Menschen lernen, ihre Macht wieder in die eigenen Hände zu nehmen, kann ein Befreiungsprozess in Gang kommen, kann demokratische Kontrolle Willkür und Gewalt eindämmen und kann nach gemeinsamen Friedenslösungen gesucht werden. Frieden kann deshalb nicht von oben verordnet werden. Er muss von unten, in der Bereitschaft zum Miteinander und zum gegenseitigen Respekt, aber auch im Aufbau demokratischer Strukturen wachsen. Zentrale AnsprechpartnerInnen für internationale Friedensbemühungen sind deshalb die Menschen und Gruppen an der Basis: die Zivilgesellschaft. Frieden kann auch nicht von aussen aufgezwungen werden . Wie das Dayton-Abkommen zeigt, kann äusserer Druck zwar einen Waffenstillstand, nicht aber die Bereitschaft zur Wiederaufnahme der zurückkehrenden Flüchtlinge und zu einem friedlichen Zusammenleben der verschiedenen Kulturen erzwingen. Friede muss letztlich von den direkt Betroffenen selber kommen. Aussenanstösse sind nur soweit sinnvoll, als sie deren Eigeninitiative stärken.

Internationale Friedensinterventionen sind daher nur als komplementäre Ergänzung zu einheimischen Friedensbemühungen sinnvoll, mit dem Ziel, sich möglichst schnell überflüssig zu machen. Ein wichtiges Prinzip der Peace Brigades International (PBI) und des Balkan Peace Teams (BPT) ist es deshalb, nur auf konkrete Anfrage hin aktiv zu werden und möglichst weder mit eigenen Lösungsvorschlägen zu kommen, noch sich in die Aktivitäten der Partner einzumischen.

Ein langwieriger Prozess

Ein echter Friedensprozess braucht Zeit – Zeit, um gegen alle Bedrohungen und Widerstände beharrlich aktive Friedens- und Menschenrechtsgruppen aufzubauen; Zeit auch, um den Betroffenen das innere Verarbeiten der eigenen Ängste, Erlebnisse und Ohnmachtsgefühle zu ermöglichen und ein Umdenken in Gang zu bringen. Nur langsam kann sich ein Dialog zwischen den Konfliktparteien anbahnen, können Zeichen der Wiedergutmachung und Verständigung gesetzt werden.

Nur ein solcher langwieriger Prozess vermag die Probleme an der Wurzel anzupacken und eine echte, dauerhafte Veränderung und Friedenslösung zu schaffen. Es ist deshalb wichtig, sich die Alternative zum Militäreinsatz als langsamen demokratischen Friedensprozess vorzustellen.

Wie die Erfahrung der PBI zeigt, kann eine kleine, aber langfristige Anwesenheit eines Teams mehr zum Frieden beitragen als kurze Masseneinsätze. Erst Kontinuität ermöglicht es den Freiwilligen, die lokale Situation richtig beurteilen zu können und das Vertrauen der lokalen FriedensaktivistInnen zu gewinnen. Beides sind Voraussetzungen für einen wirkungsvollen Friedensbeitrag von aussen.

Keine Patentrezepte

Die konkreten Aufgaben für gewaltfreie Friedensinterventionen sind je nach Konflikt verschieden, und müssen in jeder Situation ständig neu herausgefunden werden. Sieben Formen gewaltfreier Konfliktintervention möchte ich an dieser Stelle ansprechen: Sie alle sind – im Vergleich zu den hochtechnisierten Militärshows – auf den ersten Blick unspektakulär.

Wichtig ist erstens die Ermutigung einheimischer Friedenskräfte. Besonders im akuten Krieg sind diese isoliert, werden von den eigenen Nationalisten als VerräterInnen aus der Gesellschaft ausgestossen. In dieser Lage können internationale Kontakte Impulse zum Aushalten der Feindseligkeit der eigenen Leute und zum Weitermachen geben.

Zweitens müssen isolierte AktivistInnen beim Versuch unterstützt werden, sich gegenseitig und mit internationalen Unterstützer-Organisationen zu vernetzen. Drittens kann ein innerer Heilungsprozess erst in Gang kommen, wenn die schlimmen Gewalterlebnisse, die Gefühle von Angst, Schmerz, Trauer und Schuld ausgesprochen und gehört werden. Wie das Beispiel der Wahrheitskommission in Südafrika zeigt, kann das breite öffentliche Aufdecken der Wahrheit den Weg freimachen zu Vergebung, Reue und Versöhnung. Internationale BeobachterInnen können dabei als unbelastete Aussenstehende eine besondere Rolle übernehmen. So hat der ‹Internationale Vesöhnungsbund› begonnen, das Konzept des aktiven Zuhörens systematisch in Konfliktregionen anzuwenden, beispielsweise mit den Contras in Nicaragua.

InternationalistInnen als unabhängige Dritte Kraft können viertens als Katalysator eine wichtige Rolle spielen: Sie haben als unparteiische ‹ehrliche Makler› Zugang zu allen Seiten und können so Kontakte und Kommunikation zwischen den Konfliktparteien ermöglichen oder sogar als VermittlerInnen dienen. So wurde kürzlich das Balkan Peace Team von der lokalen serbischen Friedensgruppe in Nis gebeten, ein gewaltfreies Vorbereitungstraining durchzuführen und beim Anbahnen eines Dialogs mit Kosovo-AlbanerInnen behilflich zu sein. Inzwischen kam ein erster Besuch zustande, der positiv verlief und zu einer Gegeneinladung nach Nis führte.

Drei weitere Möglichkeiten sind Workshops zur Friedenserziehung, die Übermittlung und Weitergabe unabhängiger Information, sowie die Schutzpräsenz durch internationale Begleitung für bedrohte einheimische MenschenrechtlerInnen und Volksorganisationen.

Diese breite Palette möglicher Friedensinterventionen macht deutlich, dass von den freiwilligen FriedensdienstlerInnen weniger technische Fähigkeiten, als menschliche Qualitäten gefordert sind: Offenheit und Toleranz, Kontaktfreude und Teamfähigkeit, Erfahrung in gewaltfreier Konfliktlösung, kulturelles und politisches Fingerspitzengefühl.

Je nach Eskalationsstufe eines Konflikts nimmt diese Herausforderung für gewaltfreie Friedensarbeit verschiedene Formen an. Der beste Moment ist die Vorphase, wenn Gewalt noch präventiv verhindert werden kann. Deshalb hat das BPT den Kosovo, wo der offene Krieg anders als in Bosnien noch nicht ausgebrochen ist, zu einem Schwerpunkt gemacht. Umgekehrt sind auch in der Nachkriegsphase, wenn es um Wiederaufbau und Versöhnung geht, wichtige gewaltfreie Friedensimpulse möglich. Am schwierigsten ist gewaltfreies Eingreifen, wenn der Krieg voll ausgebrochen ist. Gewaltfreies Dazwischentreten als Puffer (Interpositioning) hat bisher erst im kleinen, lokalen Rahmen stattgefunden, vor allem in Indien.

Unabhängigkeit oder …

Die Friedensinterventionen von Nichtregierungs-Organisationen (NGOs) haben gegenüber den Bemühungen von offizieller Seite wie der Uno oder der Osze bestimmte Stärken. Als unabhängige Organisationen sind NGOs erstens nicht von der offiziellen Einwilligung der Konfliktregierungen und -parteien abhängig. In Guatemala oder El Salvador zum Beispiel konnte die Uno ihre Friedensmissionen erst nach der Aufnahme offizieller Friedensverhandlungen beginnen. Demgegenüber genügte den NGOs die Einladung von betroffenen Gruppen aus der Bevölkerung. Dank ihrem internationalen Hintergrund mussten die Regierungen sie einigermassen dulden. So könnten NGOs mithelfen, Gewalt einzudämmen und das Klima für offizielle Friedensschritte und Uno-Missionen vorzubereiten.

Eine weitere Stärke ist paradoxerweise der Geldmangel: Einerseits zwingt er die NGOs, mit einem Minimum an Mitteln möglichst viele, hochmotivierte Freiwillige einzusetzen. Zudem stellt ihr zwangsläufig bescheidener Lebensstil die InternationalistInnen auf eine ähnliche Stufe wie die Einheimischen und schafft dadurch Nähe und Glaubwürdigkeit. Dies wird zusätzlich dadurch unterstützt, dass NGOs mehr mit Leuten an der Basis verkehren als mit Regierungstellen und dass sie nicht auf nationale Interessen – beispielsweise Aussenhandelsinteressen – Rücksicht nehmen müssen.

Unabhängige NGOs stehen zudem weniger unter dem Druck, einen aufwendigen bürokratischen Kontroll- und Verwaltungsapparat aufzuziehen, der hierarchisch funktioniert und Selbstverantwortung und Eigeninitiative einschränkt. Wichtig ist auch, dass NGOs wie PBI oder BPT die materielle oder technische Hilfe bewusst ausgeklammert haben. Nicht weil die humanitäre oder Wiederaufbauhilfe nicht wichtig wäre, sondern weil damit sofort finanzielle Erwartungen ins Spiel kämen, was die Friedensarbeit erschweren könnte.

Und schliesslich arbeiten kleine NGOs unauffällig. Ihre Arbeit steht nicht von vornherein im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Das entlastet sie selbst und ihre lokalen Partner vom Erfolgszwang. Das ist ein Vorteil, weil kurzfristiges Erfolgsdenken und Machertum dem geduldigen, diskreten und bescheidenen Friedensdienst diametral entgegengesetzt sind.

… diplomatisches Gewicht

Offizielle Friedensinterventionen haben natürlich viel grössere finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung. Während PBI in Guatemala während 13 Jahren jeweils 8-12 Freiwillige permanent im Einsatz hatte, steht bei der Friedensmission der Uno dort ein Mehrfaches an internationalen BeobachterInnen im Einsatz. Ein weiterer Vorteil offizieller Missionen ist natürlich das diplomatische Gewicht, das durch die offizielle Einwilligung der Konfliktparteien in das Mandat noch verstärkt wird.

In diesem Sinn halte ich eine sinnvolle Kooperation von NGOs und offiziellen Institutionen für möglich. Sie können sich in vieler Hinsicht ergänzen und zusammenarbeiten. PBI selbst hat mit den Friedenserziehungs-Workshops in Haiti diesbezüglich erste Erfahrungen gemacht.