Das Strickmuster der Angst

Die Welt steht vor einem nächsten Krieg der USA gegen Irak; ein Krieg, der die katastrophale humanitäre Situation der irakischen Zivilbevölkerung weiter verschlimmern wird. Doch der “Krieg gegen den Terror” findet auch hier statt – in den Köpfen der Menschen.

Nina Schneider und Barbara Müller für FrauenStimmen gegen den Krieg

US-Präsident Bush, als mächtigster Mann der mächtigsten Nation, hat nach dem 11. September 2001 seine Definition der Weltlage durchgesetzt. Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Naturkatastrophen und gut gesteuerte Angstmacherei tragen das ihre dazu bei und versammeln die verunsicherte Bevölkerung hinter ihren Regierungen. Man möchte unbedingt etwas tun – und läuft die Gefahr, dass gut gemeinte Hilfe und solidarische Unterstützung zum Vehikel nationalistischer Ideologien wird. Kritische Stimmen und Proteste werden geflissentlich überhört oder diffamiert, in der kriegshetzerischen Berichterstattung sind Informations- und Desinformationskampagnen kaum zu unterscheiden. Es ist schwer, sich dem herrschenden Diskurs zu entziehen – der Stärkere hat das Definitionsmonopol – und genau deshalb dürfen wir uns nicht hinreissen lassen, unsere Kräfte an eine polarisierte Diskussion zu verschwenden. Weder die USA noch westliche Regierungen haben sich in den 80er Jahren während des Krieges zwischen dem Iran und Irak, oder in den 90er Jahren während der Offensive gegen die kurdische Bevölkerung für die katastrophale Menschenrechtslage im Irak interessiert. Daraus müssen wir schliessen, dass der jetzige Verweis auf die Menschenrechte kühl kalkuliert ist, um die Zustimmung zu einem militärischen Angriff zu erreichen. Die irakische Bevölkerung leidet heute weit mehr unter den Auswirkungen der Sanktionen als unter dem unberechenbaren irakischen Justizsystem. Laut UNICEF-Bericht sind die Folgen der stetigen Bombardierungen durch die britische und US-amerikanische Luftwaffe mitbeteiligt am Tod von 500 000 Kindern seit dem Golfkrieg 1991. Mehr als 1,5 Millionen Menschen sind als Folge der Sanktionen gestorben, die Müttersterblichkeit hat sich verdoppelt und 70% der Irakerinnen leiden unter Anämie. Während Saddam Husseins Taten gegen das eigene Volk weltweit bekannt gemacht werden, werden die Gräuel, die der Westen dem Irak zufügt, generell verschwiegen. Dies ist weiter nicht erstaunlich, sind es doch die USA und England, welche nun, nachdem sie in den 80er Jahren das Regime Saddam unterstützt und aufgerüstet haben, das Embargo gegen den Irak überwachen. Somit sind sie mitverantwortlich dafür, dass dem irakischen Staat nicht mehr als 160 US-Dollar pro Person und Jahr für die Lebenshaltungskosten zur Verfügung stehen. Das ist weniger als die Hälfte des Pro-Kopf-Einkommens von Haiti, einem der ärmsten Länder der Welt. Es ist weniger als der Betrag, den die Entminungstruppen der UNO im Irak für Hundefutter ausgeben. Bushs rhetorische und militärische Kriegsvorbereitungen sind so weit fortgeschritten, dass er fast nicht mehr zurück kann. Wenn er nicht handelt, wenn nicht geschossen wird, dann hat er in seiner Logik den Krieg gegen den Terror schon verloren und ebenfalls seine Glaubwürdigkeit. Deshalb will er uns diesen Krieg als “gerecht” verkaufen – und dabei die eigentlichen wirtschaftlichen Ziele des Krieges, die Sicherung der Ölvorkommen, vertuschen.

Wir wollen diesen Krieg nicht

Krieg ist keine Massnahme zur Konfliktbewältigung. Die Folgen der Kriege im Kosovo, in Afghanistan oder im Irak sind nicht nur die Ermordung unbeteiligter Zivilbevölkerung und die Verwüstung ganzer Weltregionen. Kriege zerstören auch die Köpfe derjenigen, die sie führen. So bringen Soldaten und Offiziere den Krieg zurück ins Heimland. Traumatisiert und meist unterbetreut vegetieren sie dahin und wenden die Gewalt, mit der sie indoktriniert wurden, gegen ihre Nächsten oder, wie im Falle Oklahoma, gegen die Öffentlichkeit. Timothy McVeigt, der Attentäter von Oklahoma zum Beispiel, hat sein Handwerk und seine Rhetorik in der US-amerikanischen Armee im Golfkrieg gelernt und bezeichnete die neunzehn Kinder, die durch seine Bombe umkamen, als “Kollateralschäden”. Militärunabhängige Studien belegen, dass auch häusliche Gewalt bei Armeemitgliedern zwei bis fünf Mal häufiger vorkommt als in der Zivilbevölkerung. Drei der vier Soldaten, die im letzten Sommer ihre Ehefrauen ermordeten, waren Mitglieder einer US-Sondereinheit und kamen soeben von ihrem Einsatz im Krieg gegen Afghanistan zurück. PsychiaterInnen berichten, dass 175 000 Kriegsverteranen unter dem sogenannten Golfkriegssyndrom leiden. Für die Erkrankung verantwortlich gemacht werden neben psychischem Stress eine Reihe von Substanzen und Giftstoffen wie Insektenvertilgungsmittel, Medikamente zur Neutralisierung von Nervengiften oder das allen SoldatInnen prophylaktisch verabreichte Malariamittel “Lariam”. Letzeres führt laut Berichten von Soldaten zu Verwirrungszuständen und schwer kontrollierbaren Aggressionen.

Um der vermeintlichen Konfliktlösungsstrategie Krieg etwas entgegenzusetzen, müssen wir auf eine generelle Entmilitarisierung der Gesellschaft, weltweite Waffenkontrollen und Abrüstung hinarbeiten. Krieg und Waffenhandel verursachen Umweltzerstörung und weltweite Armut. Der Krieg gegen Afghanistan und der Wiederaufbau verschlingen Milliarden. Die Kosten des Krieges gegen Irak werden von amerikanischer Seite auf 200 000 Milliarden US-Dollar voranschlagt. Präsident Bush’s erhöhtes Militärbudget 2003 erlaubt, täglich rund 1 Milliarde Dollar in die Waffenindustrie und Kriegsführung zu investieren. Solch unvorstellbare Summen würden bequem reichen, allen Menschen weltweit ein menschenwürdiges Dasein mit genügend Nahrung und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung zu ermöglichen.

Das eingleisige “Krieg-Denken” verdeckt den Blick auf Ursachen und Lösungsansätze. Niemand kann leugnen, dass Teile des irakischen Regimes repressiv sind. Nicht mehr und nicht weniger als andere, ähnliche Regierungen, die weiterhin die Unterstützung der USA geniessen. Nach 10 Jahren haben die Sanktionen im Irak nicht das gewünschte Ergebnis gebracht und dienen der irakischen Regierung als Repressionsmittel gegen die Bevölkerung. Nur durch die Aufhebung der Sanktionen hat eine innerirakische Opposition überhaupt eine Chance, sich gegen Saddam Hussein zu formieren. Krieg bekriegt humanitäre Errungenschaften. Amnesty International zum Beispiel beobachtet einen “Menschenrechtsrabatt” im Anti-Terrorkampf, das heisst eine weltweite Relativierung von Menschenrechten zu Gunsten sicherheitspolitischer Überlegungen. Die US-amerikanische Doktrin der “vorbeugenden Selbstverteidigung” ist im über Jahre entwickelten Völkerrecht nicht vorgesehen. Dieses muss heute deutlicher denn je verteidigt werden, soll es nicht zur Farce verkommen. Nur die UNO hätte die Legitimation, um internationale Beziehungen auf die Grundlage des Rechts zu stellen. Schafft sie es aber nicht, den Schutz der Menschenrechte ins Zentrum ihrer Handlungsoptionen zu rücken, wird sich die “Macht des Stärkeren” unaufhaltsam durchsetzen.

Krieg steigert das, was er zu bekämpfen vorgibt, ins Vielfache. Zur Logik des Krieges gehört es, dass die Feinde einander nicht nur bekämpfen, sondern einander überhaupt als solche hervorbringen. Je breitere Bevölkerungsschichten durch Kriege um Weltmachtinteressen in Armut und Elend getrieben werden, umso mehr wird Gewalt als Mittel der Selbstverteidigung akzeptiert werden. Weltweit wird dies eine verbitterte Generation von Menschen heranziehen, die Terror und Mord als “Normalität” empfinden.

Schritte weg vom Krieg

Für die Entwicklung neuer Formen von Konfliktbearbeitung und Deeskalation braucht es ein globales Brainstorming. Es braucht neue ökonomische Strategien, welche die Polarisierung zwischen Arm und Reich rückgängig machen und Rohstoffe gerecht verteilen. Es braucht die Kraft und das Engagement von Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, der Umwelt- und Friedensgruppen, AktivistInnen gegen Rassismus und Diskriminierung und GlobalisierungskritikerInnen. Vermeintliche Sachzwänge dürfen den Raum für politische Utopien nicht verstellen. Es gibt genügend Ansätze in Richtung Frieden und Geschlechtergerechtigkeit, wie zum Beispiel die Forderung nach einer Perversionssteuer auf Rüstungsexporte, oder die gesetzliche Verankerung des Verursacher-Prinzips im Völkerrecht. Im Falle Afghanistans hiesse das: Skrupellose Geschäftemacher, die das Land mit rund 10 Mio. Minen und weiteren 10 Mio. Kleinwaffen überschwemmt haben, könnten zum Einsammeln dieser und zur Zahlung einer Entschädigungssumme gezwungen werden.

Ein wirklich friedenspolitischer Ansatz ist nicht die Aufstands- oder Terrorismusbekämpfung, sondern, die Zivilbevölkerung gegen unterdrückerische Regime und Kriegstreiber zu unterstützen und alle Mittel, die von der Kriegsmaschinerie beansprucht werden, für zivile Zwecke einzufordern.

Nachdem der Kongress sich für einen Krieg im Irak ausgesprochen hat, formiert sich in den USA breiter Widerstand. In San Francisco und Washington haben die grössten Demonstrationen seit dem Vietnamkrieg stattgefunden. Sie kritisieren die Umverteilung der Staatsgelder in den Militäretat und fordern, statt in die Vernichtung des Iraks in neue Jobs, Ausbildungen, Wohnbauprojekte, Sozialhilfe, Gesundheitsversorgung und Kinderbetreuung zu investieren. Teile der Bevölkerung fühlen sich vom Kongress längst nicht mehr vertreten und mobilisieren für landesweite Protestmärsche (siehe Seite 6). Der Krieg lasse sich nur noch mit Massenprotesten verhindern, verlautbart das breitgefächerte Organisationskomitee, womit es vielleicht gar nicht so unrecht hat. Bush hat sich bereits dermassen weit aus dem Fenster gelehnt, dass womöglich nur noch grösste US-interne Probleme ihn von seinem Kriegsvorhaben abbringen können.

Auch wir in Europa müssen unsere Regierungen mit unserm Denken und Handeln unter Druck setzten. Dem aussenpolitischen Interesse europäischer Staaten, Teil der alles bestimmenden Weltmacht zu sein und sich indirekt an der Wertschöpfung durch Krieg zu bereichern, muss die Forderung nach einem besseren Leben für alle entgegengestellt werden. Zu Gunsten einer gerechten Umverteilung müssen auch unsere Privilegien zur Disposition stehen.


FrauenStimmen gegen den Krieg wird unterstützt von der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit, FemCo, Frauen für den Frieden Zürich, FrauenLesbenKasama und Einzelfrauen. Seit Beginn des Krieges gegen Afghanistan organisiert die Gruppe offene Diskussionen und Veranstaltungen für Frauen.

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