Der 11. September

Es gibt keinen Namen, nur ein Datum. Als soll eine Zäsur markiert werden. Ein Vorher, ein Nachher und seine Schnittstelle, die sich nicht auf den Begriff bringen, sondern nur als ein Ereignis in der Zeit festhalten lässt. Man sagt 11.September und es braucht keine weiteren Erklärungen; man landet immer zuerst bei den Bildern, die eingegangen sind in die Galerie des Schreckens. Alles, was seither geschah, hat es schwer, gegen diese Bilder anzukommen.

Die Welt wird ein weiteres Mal geteilt in Zivilisation und Barbarei. Und weil die zivilisierte, demokratische, freie Welt geschützt werden muss, muss sie lernen, sich nicht mehr so zivilisiert zu benehmen. Das mag ein Widerspruch sein und der Glaubwürdigkeit abträglich, geht aber relativ leicht von der Hand. Wieso sorgfältig das Terrain erkunden, wenn man Kampfstiefel an den Füssen trägt, Türen öffnen, wenn man sie auch eintreten kann, genau hinschauen, reden, verhandeln, wenn man eine Waffe in der Hand hält? Genauigkeit, Sorgfalt und Besonnenheit im Denken und Tun und bei alledem womöglich auch noch das eigene Tun kritisch im Auge behalten, das ist so furchtbar kompliziert, löst die Probleme zu wenig schnell und bringt keine Wählerstimmen. Alles zusammenzubomben hilft zwar augenscheinlich ebenfalls nicht, aber man hat wenigstens etwas getan. Stark sein, viril, laut und tödlich, nebenbei ein paar alten Interessen mit neuen Rechtfertigungen – Kampf gegen der Terrorismus – nachgehen, das hilft ein wenig, Schock, Schmerz und Kränkungen, die der 11.September verursachte, abzumildern.

Es ist schwer, gerecht zu sein. Im Tun, aber auch im Urteilen – vor allem aus der komfortable Warte des zuschauenden Kommentierens. Das macht es anfällig für Arroganz. Es gibt Tag für Tag zu viele Botschaften, die einem gute Gründe liefern, die USA zu kritisieren. Das war schon vor dem Krieg gegen den Terror so. Man kann von morgens bis abends einfältig sagen, zynisch, anmassend, dreist und rücksichtslos. Man kann Kyoto sagen, Afghanistan, internationaler Strafgerichtshof, UNO etc. Wenn man sich Mühe gibt, kann man auch ein paar positive Dinge nennen, im Moment fällt mir einfach gerade nichts ein – Liberia vielleicht?
Aber man selbst? Im Besitz guter Ideen, Ideen des Besseren? Sicher, nur fehlen einem leider die Mittel. Dann wenigstens “so nicht” sagen, an keiner Demonstration fehlen, sich informieren, abendfüllend die grundlegenden Mängel der weltpolitischen Hauptakteure diskutieren, immer atemloser die Gründe nennen, die es beinahe unmöglich machen, zu sagen, was überhaupt etwas zu lösen vermag, um schliesslich erschöpft und erleichtert zu verstummen im Wissen, dass man ja keine weltbewegenden Entscheidungen zu treffen hat.

Die Welt ist schlecht, ihre Erlöser können nicht gut sein, so hat es einst Manès Sperber formuliert. Zwei Jahre sind inzwischen vergangen. An Erlösern fehlt es nicht, aber auch mit ihren schlechten Mittel haben sie kaum etwas gut gemacht.
Fast täglich, an ungezählten Orten, scheint es, explodiert die Welt. Auch im kleinen Schrecken. Grausamkeit erscheint als Normalität in einer medienvermittelten Welt. Alternativen zu sehen fällt schwer. Sorgfältig zu bleiben, im Denken und im Handeln, auch.
Tun, was man tun kann, um nicht verrückt zu werden, um lebendig zu bleiben, und nicht aufhören, nach erfolgversprechenden Ausgängen aus der beklemmenden Enge des Faktischen zu suchen, das ist das Mindeste. Und fällt schwer genug. Aber wer hat gesagt, dass es leicht ist?

Silvia Strahm Bernet
katholische Theologin und Redaktorin der FAMA (www.fama.ch

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