Mit Sicherheit verunsichert

Seit zwei Jahren führen die USA Krieg. Mit der neuen geopolitischen Situation ist die jüngste sicherheitspolitische Doktrin der Schweizer Armee darum schon wieder Makulatur. Was droht als nächstes von der verunsicherten Armee?

«Die Verwundbarkeit moderner Staaten nimmt laufend zu. Diese in ihrer Intensität und Verflechtung neuartigen, in erster Linie nicht-militärischen Bedrohungen und Gefahren können nur mit nachhaltigen multilateralen Sicherheitsbemühungen erfolgreich bekämpft werden.» Auf dieser Analyse baute der Bundesrat im Jahr 2000 seinen Sicherheitspolitischen Bericht «Sicherheit durch Kooperation» auf. In den «Grundlagen zur militärstrategischen Doktrin» sprach die Armeespitze Klartext: Bei der autonomen Verteidigung gegen eine überlegen Gegner «hätte die Armee wenig Erfolgschancen», auch einen gleichwertigen Gegner könnte die Armee nicht «aus unserem Territorium hinauswerfen und in unserem oder im Raum des grenznahen Auslandes (…) vernichten» Der autonome Verteidigungsfall wurde als «Restrisiko» eingestuft, auf das sich die Schweizerische Sicherheitspolitik nicht mehr ausrichten muss.

Gegen diese sicherheitspolitische Analyse der offiziellen Schweiz hatten wir nichts einzuwenden. Aufgrund der gleichen Überlegungen hatte die GSoA Ende der achtziger Jahre die Abschaffung der Armee gefordert.

Subsidiäre Einsätze im Inland wieder überflüssig

In der Mitte der neunziger Jahre hatte die Schweizer Armee einen regen Aktivismus mit Unterstützungsleistungen bei Katastrophen, bei der Betreuung von Flüchtlingen und selbst bei der Mithilfe von sportlichen Grossanlässen entwickelt. Eine Reihe von Verordnungen über Assistenz- und Ordnungsdienst wurden revidiert und die Einsatzmöglichkeiten ausgeweitet. Mit der Betriebsamkeit in diesen prestigeträchtigen Aufgabenbereichen versuchte die Armee bis in die zweite Hälfte der 90er Jahre die intern unentschiedene Richtungsauseinandersetzung zwischen den «Traditionalisten», die an der Landesverteidigungsdoktrin festhalten wollten, und den «Modernisten», welche offen für eine Anschluss an ein Nato-geführtes Sicherheitsbündnis eintraten, zu überdecken. Mit dem Sicherheitspolitischen Bericht 2000 war der Richtungsstreit entschieden, die «Modernisten» hatten sich durchgesetzt. Die Konsequenz: Subsidiäre Einsätze im Innern wurden für die Legitimation der Armee wieder überflüssig. «Unterstützung ziviler Behörden insbesondere im Bereich der (Migrations-)Betreuung sowie die Arbeiten zugunsten Dritter (z.B. zivile Grossanlässe) sollen integral dem Bevölkerungsschutz übertragen werden». Sie «werden aus dem Leistungsprofil der Armee XXI ausgeklammert». Selbst Einsätze im Ordnungsdienst sollen «im Rahmen des Projektes Überprüfung des Systems der Inneren Sicherheit des EJPD überprüft werden».

Ausrichtung auf internationale Einsätze

Zentrales Element des neuen sicherheitspolitischen Auftrages gemäss dem «Sicherheitspolitischen Bericht 2000» sind «Beiträge zur internationalen Friedensunterstützung und Krisenbewältigung». Einen Teil der Linken konnte die Armee mit dem Hinweise auf «humanitäre Interventionen» von der Neuausrichtung der Armee überzeugen. Gegenüber der Rechten begründete die Armee, Einsätze bei internationalen friedenssicherenden Operationen dienten auch der «ausgreifenden schweizerischen Interessenwahrung.» Voraussetzung zur Erfüllung diese Auftrages ist militärische Interoperabilität mit den sicherheitspolitisch relevanten Akteuren. Und «im für die Schweiz relevanten strategischen Umfeld (..) kann Interoperabilität nur auf die Nato ausgerichtet sein.» Bis zur Passgenauigkeit der Anhängerkupplung und der Befehlsterminologie wurde in den vergangenen Jahren die Schweizer Armee auf Interoperabilität mit Nato-Truppen getrimmt.

Vorläufiger Konsens: Kein Schweizer Kriegseinsätze

In den vergangenen Jahren haben sich das sicherheitspolitische Koordinatennetz erheblich verschoben. Die USA führen seit zwei Jahren offene Kriege. Dabei kümmern sie sich reichlich wenig um multilaterale Absprachen. Nicht nur die sicherheitspolitische Relevanz der Uno, auch diejenige der Nato ist deutlich gesunken. Nach den Angriffskriegen auf Afghanistan und Irak hat das bei den Interventionen der 90er Jahr auf dem Balkan breit akzeptierte Legitimationsmuster der «humanitären Interventionen» an Glaubwürdigkeit verloren. Die real stattfinden internationalen Militäreinsätze sind Offensivkriege, die von einer breiten Bevölkerungsmehrheit in den meisten Westeuropäischen Staaten abgelehnt werden. Keine einfache Situation für eine Schweizer Sicherheitspolitik, welche die Beteiligung an internationalen Krisenpräventionseinsätzen als ihr zentrales Element betrachtet.

Dann bleiben nur noch wieder innere Einsätze

Eine Armee, der eine mühsam errungene Orientierung abhanden kommt, wird nicht harmloser, sondern gefährlicher – gegen innen. In einem Interview in der «SonntagsZeitung» brachte es der höchste Militär des Landes, Christophe Keckeis, auf den neu-alten Punkt: «Der G-8-Gipfel zeigt nur, dass die Grenze zwischen innerer und äusserer Sicherheit fliessend ist.» In anderen Worten: Die Hürden für Armeeeinsätze im Innern sollen abgebaut, die Unterschiede zwischen Militär und Polizei verwischt werden. Weiter forderte Keckeis, «die Bewilligung für Manifestationen» sei «restriktiver zu erteilen». Die Behörden gingen «aus zu gut gemeinten demokratischem Bestreben oft zu weit.» Sie sollten «den Mut haben zu sagen: Demonstrationen sind nur vor oder nach der Konferenz möglich.» Zwischen den Zeilen steht damit: «Mit einer Armee liesse sich das auch durchsetzen.» Dazu braucht diese aber mehr Geld. Sonst «zweifeln» die Leute bloss «am Produkt Armee». (SoZ 11.5.03) Bereits letztes Jahr hatte Keckeis im Hinblick auf innere Einsätze eine Rüstungsbeschaffung begründet: «Vielleicht zeigt der Einsatz am WEF in Davos, dass ein Mehrzweckhelikopter mit Selbstschutzwaffen doch wichtiger ist.» (NZZ 21.11.02) Ende Mai 2003 macht Keckeis deutlich, was sein militärisches Kerngeschäft ist: «Seine Prioritäten seien Armee-Einsätze zur Sicherheit des G-8-Gipfels in Evian, die Überwachung der Botschaften und die Katastrophenhilfe.» (NZZ Online, 27.5.03).

Wieder «eigene Stärke» im Zentrum

Die tonangebenden Militärpolitiker gehen in die gleiche Richtung. Josef Leu (CVP Luzern), Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates und noch vor zwei Jahren vehementer Vertreter einer quantitativen und qualitativen Steigerung der Auslandeinsätze, erklärte sich betreffs Keckeis umstrittenen Aussagen in der «SonntagsZeitung» «zu 150 Prozent mit allem einverstanden.» Nationalrat Johann N. Schneider Ammann (FDP Bern), Oberst im Generalstab, schrieb in der jüngsten «Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift»: «Vor dem Irakkrieg war es uns kaum bewusst, dass es auch die Aufgabe einer Armee sein könnte, Kulturgüter, Museumsgüter oder Spitalausrüstungen vor Plünderungen vor den eigenen Landsleuten zu schützen». Dann wurde er noch konkreter: «Am Wirtschaftssymposium in Davos war kein Krieg, die Armee musste aber schützend hingehen. Auch am G-8-Gipfel in Evian war kein Krieg, die Armee ging sicherheitsunterstützend hin.» (ASMZ Nr. 7, Juli-August 2003)

Selbst ein Ulrich Siegrist (SVP Aargau, ebenfalls Oberst im Generalstab) buchstabiert zurück. Der Zentralpräsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft betont wieder die «eigene Kraft». In der ASMZ beteuert er: «Erstes Gebot ist nicht die Kooperation, sondern die Auftragserfüllung. Die Armee wurde nicht primär geschaffen, um zu kooperieren. Die neuen Strukturen sind in ihren Hauptelementen eine helvetische Eigenleistung (…). Es geht primär um eigene Stärke.»

Bei der zukünftigen Reorientierung der Armee ist auch eine klare Haltung der Linken gefragt: Militärische Landesverteidigung ist absurd, von Sicherheitsaufgaben im Innern soll sich die Armee fernhalten und zur internationalen Kooperation braucht es Solidarität statt Soldaten. Die GSoA bleibt dran.


GSoA denkt weiter

Die Schweizer Armee hat in den neunziger Jahren einen rasanten Bedeutungsverlust erfahren, sicherheitspolitische Themen haben keine Konjunktur und entsprechend schwierig ist es, einen breiten Widerstand gegen die Neuorientierung der Schweizer Armee auf eine Nato-geführte Konfliktpolitik aufzubauen. Das war unsere Analyse des ernüchternden Ergebnis der beiden GSoA-Initiativen «Für eine Schweiz ohne Armee» und «Für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst». Die Situation kann sich schnell verändern: In den vergangenen zwei Jahren gingen in der Schweiz zehntausende von Menschen gegen eine Kriegspolitik auf die Strasse.

Anfangs Juli hat die GSoA an einem Fitamin-Wochenende über ihre Perspektiven und nächste Aktivitäten diskutiert. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass Kriege mehr neue Probleme schaffen als alte lösen, dann liefert ihn das Debakel im Irak. «Zivile Lösungen» sind notwendiger denn je. Weiter wollen wir die Aufmerksamkeit richten auf Kriege, über die zu wenig gesprochen wird. Ein Beispiel ist der Tschetschenienkrieg, den Putin mit der Komplizenschaft der BRD, Frankreichs sowie der USA als «Krieg gegen den Terrorismus» führt. Wir wollen immer auch nach der Rolle der Schweiz in kriegerischen Auseinandersetzungen fragen: Als Lieferant bei Rüstungsgütern, als wirtschaftlicher Akteur… Die verstärkte Ausrichtung der Armee auf Innere Einsätze fordert auch die GSoA heraus. Die Kampagne zur G-8-Verweigerung war ein guter Neuanfang.