Viel Grün am Genfersee

Rund siebentausend Schweizer Soldaten wurden zum Einsatz während dem G8-Gipfel in Evian aufgeboten. Es war die grösste Streitmacht, welche die Schweiz seit dem Zweiten Weltkrieg gesehen hat. Was haben all diese Soldaten gemacht? Und wo soll das noch enden?

Die Sicherheitsmassnahmen während dem Treffen der acht angeblich mächtigsten Männer der Welt waren gewaltig: Auf der französischen Seite des Genfersees wurden rund 15’000 Soldaten und Polizisten eingesetzt, am Schweizer Ufer stand fast ebensoviel Sicherheitspersonal bereit.

Was waren dabei die Aufgaben der Schweizer Armee? Die Luftwaffe überwachte den Luftraum, Flugabwehrraketen wurden aufgestellt und Abfangjäger donnerten über den See, um allfällige Bösewichte zu vertreiben. Sanitäter richteten ein ganzes Militärspital für Notfälle ein. Ein ganzes Übermittlungsregiment wurde aufgeboten, um ein komplexes Kommunikationssystem zur Unterstützung der zivilen Behörden aufzubauen. Zur Überwachung der Autobahnen und der Zeltstädte der Globalisierungskritiker robbten Dutzende Aufklärer durch die Wälder. Der Schutz von Botschaften und Konsulaten in Bern und Zürich wurde verstärkt und Armeeangehörige bewachten während des G8-Treffens Rote Zonen und «besonders gefährdete Objekte» rund um den Genfersee. Ausserdem stellte das Militär der Polizei alle möglichen Arten von Transportmittel zur Verfügung: Autos, Cars für die Ehrengäste, Helikopter, ein paar Boote, und vor allem Hunderte von Kleinbussen und Radschützenpanzer, welche teilweise für den Strassenkampf umgerüstet waren. Es war eine seltsame Erfahrung, zuzusehen wie Militärlastwagen quietschend um brennende Barrikaden kurvten und schliesslich verhaftete DemonstrantInnen zu Dutzenden darin weggekarrt wurden. Der Anblick erinnerte unausweichlich an Bilder aus südamerikanischen Militärdiktaturen.

Scharfe Munition und Schiessbefehl

Sämtliche Soldaten erhielten scharfe Munition und einen Zettel, auf dem erklärt wurde, wann die Schusswaffe eingesetzt werden dürfte. Laut dieser Dienstanweisung durfte das Feuer unter anderem bei «gefährlichen und gewaltsamen Angriffen, auch ohne Waffen, eines physisch oder zahlenmässig stark überlegenen Gegners» eröffnet werden. Da dieser Befehl natürlich eine grosse Verantwortung mit sich bringt und die Schweizer Soldaten diese Verantwortung weder gewohnt noch dafür ausgebildet sind, beschloss die Armeeführung, dass alle Aufgebotenen noch eine eintägige, einsatzbezogene Ausbildung absolvieren sollten. Diese Ausbildung bestand dann allerdings aus Übungen wie dem Schiessen auf die Beine von menschenförmigen Zielscheiben.

Innere Sicherheit als Spielwiese

Seit dem Ende des Kalten Krieges kann die Bedrohung von Aussen für das Militär nicht mehr ernsthaft als Legitimation dienen. Auch in der Schweizer Armee hat sich diese Auffassung langsam durchgesetzt. Da friedenserhaltende Auslandeinsätze nicht besonders populär sind und das Pistenstapfen an Ski-WMs allein die Existenz der Armee noch nicht rechtfertigt, rückten die Einsätze zur «Wahrung der inneren Sicherheit» als neues Aufgabengebiet ins Zentrum der Neuausrichtung. Die veränderte sicherheitspolitische Rolle der Armee zeigt sich auch im Beschluss des Bundesrats vom letzten November, nach dem das Militär neuerdings dauerhaft sicherheitspolizeiliche Aufgaben übernehmen soll und die «subsidiäre Unterstützung der zivilen Kräfte» durch die Armee vom Ausnahme- zum Regelfall werden sollen. Einige Militärstrategen im VBS und anderswo planen bereits, die Ausbildung von Soldaten und Polizisten teilweise zusammenzulegen. Der Gipfel von Evian war der bisher umfangreichste Test für diese neue Art von Sicherheitspolitik.

Nicht jedes Jahr findet aber in der Nähe der Schweizer Grenze ein G8-Gipfel statt. Wofür könnte also die auf Polizei getrimmte Armee künftig eingesetzt werden? Vorläufig dürften Konferenz-, Botschafts- und Grenzschutz wohl die wichtigsten Themen sein. Die Repression gegen aufmüpfige Bewegungen war schon immer eine der Kernfunktionen jeder Armee. Trotzdem ist hoffentlich nicht zu befürchten, dass schon bald bei jeder Demo Piranha-Panzer auftauchen werden, die meisten Soldaten würden sich dagegen sträuben.

Zurück bleibt das unheimliche Gefühl, dass Evian erst ein Vorgeschmack auf zukünftige Repressionskonzepte war. Nichtsdestotrotz: Die Proteste gegen die neoliberale Globalisierung und ihren Raubbau an Mensch und Natur werden weitergehen. Zu gross sind die Ungerechtigkeiten, als dass ein paar Panzer und Sturmgewehre abschrecken würden.


Siehe auch Armee-Einsätze im Inland sowie Dossier zum G8 Gipfel auf der GSoA Webseite.

, ,