Mitläufer oder Mitdenkende

Wer hat an den Antikriegs-Demonstrationen des letzten Jahres teilgenommen und warum? Eine Studie der Uni Zürich fördert Interessantes zu Tage.

Seit Jahrzehnten hat kein Ereignis mehr so viele Menschen auf die Strasse gebracht wie der Krieg gegen den Irak. Auf den grossen Kundgebungen zu Beginn des vergangenen Jahres demonstrierten mehrmals hintereinander Zehntausende in der Schweiz und Millionen weltweit gegen die Angriffspläne der Bush-Regierung. Die Medien diskutierten ausgiebig über die eindrücklichen Teilnehmerzahlen dieser Kundgebungen. Vor allem die starke Mobilisierung der bisher als apolitisch geltenden Jugend erstaunte. Schnell kam die Frage auf, ob es wirklich die Auseinandersetzung mit dem Krieg war, welche die Menschen zum Protest veranlasste oder eher die Freude am Event.

Hubert Annen und Simon Gutknecht zum Beispiel, beide tätig an der Militärakademie der ETH Zürich, schreiben in der Allgemeinen Schweizer Militärzeitung vom Juni 2003, “die Steigerung des Selbstwertgefühls” und “gruppenpsychologische Prozesse” seien “das hauptsächliche Motiv” für die politikverdrossenen Jugendlichen, sich gegen den Krieg zu engagieren. Dominique Brunner, Oberst im Generalstab, meint im Schweizer Soldat vom September 2003 sogar: “Die Drahtzieher der grossen Demonstrationen, Radikalpazifisten und Anarchosyndikalisten, verfielen (…) auf die Idee, Halbwüchsige als Fusstruppe zu mobilisieren oder zu verführen, offensichtlich mit tätiger Unterstützung von Lehrkräften und Schulbehörden.”

Kaum Bürgerliche an den Demonstrationen

ForscherInnen der Universität Zürich haben sich im Rahmen einer internationalen Studie ausführlich mit den Antikriegs-Demonstrationen auseinander gesetzt. Während der Kundgebung vom 15. Februar 2003 in Bern führten sie eine repräsentative Umfrage unter den TeilnehmerInnen durch. Die Studie kommt zu interessanten Resultaten: Das Durchschnittsalter der DemonstrantInnen betrug 35 Jahre, das Thema hat also auch die älteren Jahrgänge mobilisiert. Vor allem Menschen, die sich als politisch links einstufen, nahmen an den Kundgebungen teil: 90 Prozent der DemonstrantInnen würden bei einer Wahl linken Parteien ihre Stimme geben, nur drei Prozent einer bürgerlichen Partei. Dies ist insofern erstaunlich, als dass bei anderen Umfragen zum Ausdruck kam, dass alle Bevölkerungsschichten und politischen Lager in der Schweiz den Krieg gegen den Irak klar ablehnten.

Gegen den Krieg, gegen Hussein

Auch die Motive der Demonstrierenden wurden in der Studie erfragt: Die grosse Mehrheit hoffte, mit ihrer Teilnahme an der Kundgebung das Verständnis der Öffentlichkeit für ihre Sache zu stärken, während nur rund ein Viertel glaubte, dass die Entscheidungsträger ihre Forderungen berücksichtigen würden. Am ehesten hoffte man noch, die Schweizer Regierung zu einer eindeutigeren Oppositionshaltung gegen den Krieg zu bewegen. Eine differenzierte Betrachtungsweise zeigt sich auch bei der zur Einstellung zum Krieg: Eine Mehrheit der Befragten war zwar der Meinung, dass das irakische Regime gestürzt werden müsste. Gleichzeitig waren mehr als 80 Prozent überzeugt, dass Krieg nie die Lösung eines Problems sein könne – sei es mit oder ohne Uno-Mandat. Die Demonstrierenden waren auch mehrheitlich der Meinung, die Bush-Administration wolle den Irak angreifen, um die nationale Ölversorgung zu gewährleisten.

Alles andere als apolitisch

Wichtige Erkenntnisse liefert die Studie auch über den Grad des politischen Interesses der Demonstierenden: Nur rund einen Viertel der Befragten nahm zum ersten Mal an einer Kundgebung teil. Auch andere Formen der politischen Partizipation – wie das Mitmachen in politischen Organisationen, Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen, Boykotte oder das Tragen von Abzeichen oder Aufklebern von politischen Kampagnen – waren insbesondere bei den jüngeren KundgebungsteilnehmerInnen weit verbreitet. Das Fazit der Studie ist klar und sollte denjenigen zu denken geben, welche die jungen DemonstrantInnen abschätzig als “Mitläufer” bezeichnet haben: “Muss das verbreitete Bild, Jugendliche seien in der Regel nicht stark politisiert, revidiert werden? Oder waren die jugendlichen Demonstranten vor allem Mitläufer, die sich kaum für Politik interessieren und sich sonst politisch kaum engagieren? Unsere Daten widersprechen klar der zweiten These: Auch die jugendlichen Befragten sind überdurchschnittlich politisch aktiv”.

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