Die Gartenzwergfunktion

Patrick* war bis Ende des Jahres 2004 Soldat in der Schweizer Armee. Im Rahmen seiner Wiederholungskurse (WK) musste er zweimal innere Einsätze in Zürich leisten. Nach seinem zweiten Einsatz – einem «Objektschutz» vor dem türkischen Konsulat – entschied er sich, aus der Armee auszutreten.

Tom Cassee sprach mit ihm.

Du hast letztes Jahr einen inneren Einsatz geleistet. Wo war das?

Mein letzter WK war im Herbst 2004 in Zürich vor dem türkischen Konsulat. Es handelte sich um einen dreiwöchigen Einsatz, wovon ich zweieinhalb Wochen vor dem Konsulat stand. Die ersten drei Tage waren so genannte «Ausbildung». Diese beinhaltete ein «Wachtschiessen» – das ist eine Schiessübung auf dreissig Meter bzw. fünf Meter Distanz. Dazu kamen eine Feuerlöschausbildung und eine Instruktion, wie Leute kontrolliert werden sollten. Das war alles. Also eine eigentliche Alibiausbildung und völlig realitätsfremd.

Was hättet ihr denn machen müssen, falls das Konsulat angegriffen worden wäre?

Bei Aggressionen bestand die Weisung darin, die Polizei zu informieren und selber schnellstmöglich davonzukommen. Die Sturmgewehre waren nur für absolute Notwehr. Ich wäre sicher davon gerannt, bin mir aber nicht bei jedem einzelnen meiner Kollegen sicher, wie er reagiert hätte.

Wie war die Zusammenarbeit mit dem türkischen Sicherheitsdienst und der Stadtzürcher Polizei?

Mit dem türkischen Sicherheitsdienst hatten wir keinerlei Kontakt; wir waren nicht einmal sicher, ob es einen solchen gibt. Doch wir sahen Männer ins Konsulat gehen, von welchen wir annahmen, dass sie zu einem Sicherheitsdienst gehören. Mit der Stadtpolizei bestand die Zusammenarbeit darin, dass wir sie im Falle eines Problems immer sofort zu informieren hätten. Wir waren also eigentlich wie Securitas-Angestellte – allerdings mit Sturmgewehr. Wir hatten eine Gartenzwergfunktion: Präsenz, nicht Kompetenz war gefragt. Pappkarton hätte es auch getan.

Wie sah ein Tagesablauf vor dem türkischen Konsulat aus?

Wie waren immer zwölf Stunden im Einsatz und davon hatten wir jeweils fünf bis sechs Mal eine Stunde Wache zu stehen vor dem Konsulat. Es ging an die «Substanz», denn wir standen bei jedem Wetter draussen und hatten schwere Kugelwesten und das Sturmgewehr zu tragen. Dazu kam, dass ich mich mit dem Einsatz nicht identifizieren konnte. Die restliche Zeit verbrachten wir in einem Baucontainer mit Computerspielen.

Hattet ihr Kontakt mit Nachbarn?

Uns wurde von den Vorgesetzten immer wieder gesagt, dass die Nachbarschaft froh sei über unsere Präsenz. Aber meine persönlichen Erfahrungen waren anders. Ein Nachbar hat sich sehr aufgeregt und mir gesagt, dass er sich sehr gestört fühle. Denn wir beobachteten auch sein Grundstück und notierten die Nummern der Autos auf seinem Parkplatz. Dazu decken die Überwachungskameras nicht nur das Grundstück des Konsulates ab, sondern auch eine Tramhaltestelle und verschiedene Gärten. Ich verstehe AnwohnerInnen, welche sich beobachtet und belästigt fühlen. Gegenüber dem Konsulat hat es ein grosses Wohnhaus und dort kann man als Frau am Abend nicht mehr auf den Balkon sitzen, ohne sich von den Soldaten belästigt zu fühlen. Grundsätzlich hatten wir aber nicht viel Kontakt zu den Nachbarn und waren sehr isoliert.

Wie ist die Stimmung innerhalb der Armee bezüglich der inneren Einsätze?

Niemand ist wirklich glücklich darüber. Falls wir wirklich etwas zu schützen hätten, hiesse das ja, dass wir im Einsatz bedroht wären, und das will niemand sein. Es überfordert auch viele, plötzlich eine Überwachungsfunktion mit geladener Waffe wahrnehmen zu müssen. Ich kenne niemanden, der dieser Aufgabe gegenüber positiv eingestellt ist.

Habt ihr neben dem türkischen Konsulat noch weitere Objekte bewacht?

Neben dem türkischen Konsulat kontrollierten wir per «Ronde» (unregelmässige Patrouillen mit Kleinbussen) noch weitere Landesvertretungen. 2003 wurden diese Patrouillen auch bei privaten Objekten wie die «Citybank» in Zürich-Enge und der «Schweiz-Amerikanischen Handelskammer» durchgeführt. Passiert ist nie etwas, das Verdächtigste war ein mit einem Feuerzug angeschmorter Klingelknopf beim britischen Konsulat – das führte natürlich sofort zu einer Meldung bei der Polizei. Was ich zudem von Kollegen gehört habe, ist, dass ein Auto gegenüber dem türkischen Konsulat gestohlen wurde. Soldaten haben das bemerkt – der Leutnant hat sich aber dafür entschieden, das nicht der Polizei zu melden, da es nicht zum Auftrag der Überwachung des Konsulates gehöre.

Du hast dich dann entschieden, dich aus der Armee ausmustern zu lassen. Warum?

Ich dachte nach der Rekrutenschule, dass die WKs besser würden. Aber bei meinen beiden Konsulatschutzaufträgen hat sich das Gegenteil gezeigt. Nicht nur rassistische und antisemitische Äusserungen von Armeeangehörigen, sondern einfach der ganze «Betrieb» hat mit «kaputt» gemacht. Ich ging dann drei Tage nach meinen letzen inneren Einsatz zu einem Psychiater und wurde für untauglich erklärt. Mir war wichtig, dass es schnell ging; ich brauchte in diesem Moment auch Hilfe, denn psychisch ging es mir nicht gut.

Du bist jetzt in der Regionalgruppe Zürich der GSoA: Wie kam es dazu?

Ich habe die GSoA in der Rekrutenschule kennen gelernt durch eine Infobroschüre. Ich habe dann ein GSoA-T-Shirt bestellt, dies gab mir natürlich sofort ein «Image» als Anhänger der GSoA. Das ist dann hilfreich, wenn man nicht weitermachen will. Ich spendete dann für die GSoA und bekam dadurch regelmässig die GSoA-Zeitung. Nachdem ich von der Armee weggekommen bin, fand ich, dass ich auch etwas zurückgeben sollte. Als Student habe ich nur beschränkte finanzielle Mittel. Ich wollte aber etwas beitragen und habe mich daher bei euch gemeldet. Seitdem bin ich Mitglied der Regionalgruppe.

Patrick, vielen Dank für das Interview.


*Name von der Redaktion geändert.