Baden mit Handgranaten

Im Sommer denkt sich mancher, dass es doch nichts Schöneres gibt, als ein kühlendes Bad in einem der zahlreichen Schweizer Seen zu geniessen. Weniger angenehm dürfte der Gedanke an das sein, was sich neben dem kühlenden Nass sonst noch in einigen Seen befindet.

Bis in die 60er-Jahre haben Armee und Schweizer Munitionsfabriken so ziemlich alles Undenkbare in unseren Gewässern entsorgt. Einige Beispiele: Wer im Thunersee schwimmt, der findet unter sich 1290 Tonnen Handgranaten, im Urnersee sowie im Gersauer-Becken liegen 500 Tonnen. Im Walensee, dem Greifensee und den Gotthardseen liegen Gasmaskenfilter, Stacheldraht, Waffen, Kochkisten und dergleichen. Ein mulmiges Gefühl dürften beim Schwimmer zudem die Blindgänger im Sihlsee, im Lago di Naret oder im Hasensee hervorrufen. Wenn die Zürcher in ihr Seebecken steigen, rosten unter ihnen 90 Tonnen Munition vor sich hin. Diese Aufzählung umfasst nur einen Bruchteil dessen, was an Armeeschrott in Schweizer Seen auf Grund liegt. Wer Details wünscht, erhält diese im Bericht «Historische Abklärungen zu Ablagerungen und Munitionsversenkungen in Schweizer Seen», welcher das VBS Ende letzten Jahres veröffentlicht hat.

Der VBS-Bericht führte in Zürich dazu, dass die Baudirektion im Juni dieses Jahres eine Untersuchung betreffend der Risiken für Mensch und Umwelt durchführte. In ihrem Bericht kommt die Baudirektion zum Schluss, dass die Gefahr einer Beeinträchtigung des Ökosystems Zürichsee aufgrund der Analyseergebnisse und der verfügbaren Stoffdaten als «vernachlässigbar» betrachtet werden könne. Im selben Bericht ist allerdings auch nachzulesen, dass eine vollständige Hebung der Munitionsstücke nicht möglich wäre und ohne kostspielige Massnahmen gar zu beträchtlichen Auswirkungen im Ökosystem führen könnte. Zudem sind keine detaillierten Pläne über die Lage der im Zürichsee versenkten Munition vorhanden, ebenso wenig wie für die anderen Schweizer Seen.

Internationales Problem

Mit dem Problem von verschmutzten Gewässern durch Rüstungsaltlasten steht die Schweiz nicht alleine da. Ende des zweiten Weltkrieges wurde diese «Entsorgungsart» vielerorts angewandt. Einerseits aus Kostengründen, anderseits auch weil es unproblematischer schien als Sprengungen oder Verbrennungen an Land. So befinden sich laut einem Umweltgutachten eines deutschen Umweltberatungsbüros von diesem Jahr auch in der deutschen Nordsee und Ostsee Millionen Tonnen versenkte Munition. Dieses Gutachten kommt anders als das zürcherische zum Schluss, dass dadurch sowohl ökologische Schäden wie auch Personenschäden möglich sind. Die Studie warnt, dass sich die Gefahr von Personenschäden in den kommenden Jahren in Folge zunehmender Korrosion deutlich erhöhen wird. Diese Befürchtung wird auch in einer im Mai 2004 im Nationalrat eingereichten und noch nicht behandelten Motion von Ursula Haller geäussert. Auch wenn sich die Resultate der deutschen Studie nicht uneingeschränkt auf unsere Gewässer übertragen lassen, bleiben doch sehr viele Fragen zu beantworten.

Angst vor Perfektionismus im VBS

Das VBS hat in den letzten Jahren erkannt, dass es besser ist, Themen betreffend Ökologie öffentlich zu diskutieren als zu negieren. Unter dem Kapitel Umwelt wurden diverse «Kompetenzzentren» aufgebaut. Zum UNO-Jahr des Wassers 2003 widmete die VBS-Zeitschrift «Umweltinfo» gar eine Nummer dem Thema Wasser. In einem Interview mit einem Berufsoffizier war zu lesen, dass sich die Schweizer Armee beeindruckend schnell und vorbildlich an die neuen Erkenntnisse und Bedürfnisse in Zusammenhang mit dem Umgang mit Wasser angepasst hätte. Man müsse gar aufpassen, dass man dabei nicht in «Perfektionismus» verfalle, da Umweltschutz nur eine von zahlreichen politischen Aufgaben sei, die unsere Armee zu bewältigen habe…

Was tun?

Die deutsche Studie fordert in ihren Empfehlungen für die Nord- und Ostsee Monitoringprogramme, präzisierte chemische und ökotoxikologische Laboruntersuchungen sowie die Erarbeitung eines Sanierungskonzeptes. Die Zeit eilt. Im Thunersee – das wissen wir bereits seit dem Jahr 2001 – weisen 40% der geschlechtsreifen Felchen deformierte Geschlechtsteile auf. Über die Zusammenhänge wird noch gestritten. Das VBS meldete im November 2004, aus den Untersuchungen könne auf keinen Zusammenhang zwischen Geschlechtdeformationen und Munitionsdeponien geschlossen werden. Im Herbst dieses Jahres wird ein Bericht erwartet, der klar macht, wie das VBS und die Kantone mit den Altlasten umzugehen gedenken. Sicher ist, dass es noch viel zu tun gibt – auch für «Beinahe-Perfektionisten».

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