Chance für ein ziviles Europa?

Der Ratifizierungsprozesses der EU-Verfassung ist ins Stocken geraten. Eine Chance für einen friedenspolitischen Kurswechsel in Europa – zum Beispiel mittels eines friedenspolitischen Gegenentwurfs?

Die Verfassung für die Europäische Union wurde von den Friedensorganisationen in zahlreichen Staaten Europas abgelehnt, weil sie den Ausbau der Union zum militärischen Akteur vorgesehen hatte.
Von Tobias Pflüger

Nach dem deutlichen Scheitern des EU-Verfassungsvertrages in Frankreich und den Niederlanden machen hilflose Erklärungsversuche die Runde. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments Elmar Brok konstatierte in einer Erklärung das «Versagen der politischen Klasse.» Den Verfassungsbefürwortern sei es nicht gelungen, den Menschen die Vorteile des Vertragsvertrags klarzumachen, so Brok. Auf den ersten Blick erscheint die politische Klasse orientierungs- und ratlos: «Keiner kann jetzt genau sagen, wie es weitergeht», äusserte sich EU-Kommissar Günter Verheugen (SPD). Gleichzeitig beeilte er sich aber, das Abstimmungsergebnis als einen «Unfall» zu bezeichnen, den es nun zu korrigieren gelte. EU-Handelskommissar Peter Mandelson dekretierte, dass «kein einzelner Mitgliedstaat ein Vetorecht habe». Auch der spanische Ministerpräsident Zapatero will den Ratifikationsprozess einfach weitergehen lassen, als sei nichts geschehen. Europa sei die Lösung, «nicht das Problem.» Am schärfsten formulierte es EU-Beauftragte für die EU-Außen- und Sicherheitspolitik Javier Solana: Weder der Text des Verfassungsvertrages noch die Ideen, die er enthält, seien tot. Seine Bitte, einfach weiter wie gehabt zu verfahren und nicht in eine «psychologische Starre zu verfallen», klingt wie ein Pfeifen im Keller.

Nach dem NEIN in Frankreich und den Niederlanden ist ein für den EU-Verfassungsvertrag positives Votum in Großbritannien nahezu ausgeschlossen. Die Wahrscheinlichkeit, dass in Dänemark, Irland, Tschechien oder Polen der EU-Verfassungsvertrag bei den dortigen Referenden eine Mehrheit bekommt, wird immer geringer. Doch die Regierenden wollen ganz nach dem Motto «business as usual» weitermachen: «Der Ratifikationsprozess in den Mitgliedstaaten muss weitergehen», forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder ebenso wie Barroso und andere. Gleichzeitig wurde eine Neuverhandlung des Vertrages ausschlossen.

Zudem ist damit zu rechnen, dass Europas Strategen versuchen werden, im militärpolitischen Bereich auf ein «Weiter so!» zu drängen und konsequent den Pfad in Richtung einer hochgerüsteten global kriegsführenden Militärmacht EU weiter zu beschreiten. Dieses Bestreben entbehrt aber nach dem Referendum in Frankreich jeglicher, schon vorher fraglichen Legitimation. Trotzdem setzt zum Beispiel der CDU-Außenpolitiker Karl Lamers als Konsequenz aus dem französischen Referendum noch eins drauf, wenn er fordert, die EU-Armee «könnte Katalysator einer gemeinsamen Außenpolitik und Gegenstück zu einer gemeinsamen Währung sein.» Berlin und Paris müssten ihre «im vergangenen Jahr begonnene Initiative für eine europäische Armee wieder aufgreifen und gemeinsam mit Spanien entschlossen vorantreiben.»

Ein ziviles Europa als friedenspolitische Alternative

Es ist bemerkenswert, dass unisono von den neuen sozialen Bewegungen bis zum Deutschen Gewerkschaftsbund das Ergebnis als Forderung nach einem sozialeren Europa interpretiert wird. Alle Umfragen in Frankreich über die Hauptmotivation des NEIN bestätigen diese Sichtweise klar. Das bedeutet, dass jetzt der Kampf gegen neoliberale und Europa-Ideologen um einen anderen Verfassungsvertrag begonnen werden muss. Diese Auseinandersetzung muss von links offensiv mit eigenen Eckpunkten für einen anderen Verfassungsvertrag angegangen werden. Ein kompletter Gegenentwurf macht keinen Sinn, da es über die konkreten Zuständigkeiten der verschiedenen EU-Institutionen und bezüglich detaillierter Regelungen in einem möglichen zukünftigen EU-Verfassungsvertrag in der Linken, der Friedensbewegung und der globalisierungskritischen Bewegung sehr unterschiedliche Auffassungen gibt. Die Verständigung auf Grundsätze ist hier eine gute Möglichkeit, doch Einigung zu erzielen.

Die Ablehnungen müssen nun auch inhaltlich Ernst genommen werden, das gilt auch für die Militarisierung der Europäischen Union, sie verliert mit den Ergebnissen der Referenden in Frankreich und den Niederlanden ihre Grundlage. Genau die inhaltliche Kritik, die wir am Verfassungsvertrag geübt haben (neoliberale Wirtschaftspolitik, Militarisierung und inhaltsleere Grundrechtscharta) müssen wir nun vertiefen. Die Politik der EU insbesondere in diesen Bereichen muss nun auch von den sozialen Bewegungen stärker in den Blick genommen werden. Dies gilt insbesondere auf militär- und außenpolitischem Gebiet.

Mit der Absage an die Strategen der EU und an diesen EU-Verfassungsvertrags ist damit auch jede vertragliche Übereinkunft zur EU-Militarisierung gescheitert. Daraus folgt nicht nur, dass dieser Prozess sofort zu stoppen ist, sondern vielmehr, dass die konkreten Schritte zur Militarisierung, die im Vorgriff auf den Verfassungsvertrag bereits umgesetzt oder eingeleitet wurden, nun zurückgenommen werden müssen.

Dies gilt es nun in den Mittelpunkt der kommenden Kampagnen der Friedensbewegung zu stellen. Was die Staats- und Regierungschefs unter sich auf den EU-Gipfeln vereinbart haben, muss nach dem Scheitern des EU-Verfassungsvertrages zugunsten einer zivilen EU zurückgenommen werden. Das bedeutet konkret, um nur einige Stichworte der EU-Militarisierung der letzten Jahre zu nennen:

  • Auflösung der Battle Groups und den Verzicht auf das vorgesehene Aufstellungsprogramm der Schlachtgruppen
  • Auflösung der Rüstungsagentur
  • Ende der militärischen Kerneuropaprogramme d.h. keine Umsetzung der «strukturierten Zusammenarbeit»
  • Stopp der Aufrüstungsprojekte, die die EU für die globale Kriegsführung fit machen sollen
  • keine weitere heimliche Umsetzung einer Aufrüstungsverpflichtung
  • Beendigung der engen Kooperation der EU mit der NATO und in diesem Zusammenhang eine Kündigung des Berlin Plus-Rahmenabkommens, dass den Rückgriff auf NATO-Kapazitäten regelt
  • Beendigung von Militäreinsätzen der EU, die beispielsweise mit der ALTHEA-Mission in Bosnien für eine Ausweitung des Einsatzspektrums in Richtung militärische Terrorbekämpfung und Kriegen zur angeblichen «Abrüstung» Dritter für die EU-Interventionstruppen als vorbereitende Testfelder dienen

Das Scheitern des EU-Verfassungsvertrags eröffnet die Möglichkeit für eine andere Politik. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Militär- und Außenpolitik. Es wird jetzt darum gehen, die aus der Kritik am EU-Verfassungsvertrag gewonnenen Punkte in konkrete Kampagnen gegen die EU-Militarisierung umzusetzen. Das man hierbei die politische Klasse, Militärs und Kapital als Gegner und große Teil der Bevölkerung als mögliche Verbündete hat, sollte als Ansporn begriffen werden, um die versteinerten Verhältnisse der EU-Militarisierung zum Tanzen zu bringen.


Tobias Pflüger ist Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung (IMI) Tübingen und Mitglied des EU-Parlaments.

60 Thesen für eine Europäische Friedenspolitik

(sl) Wie konnte es dazu kommen, dass sich die Europäische Union in Richtung eines internationalen Akteurs verändert hat, der mit «militärischen Interventionen» Symptome bekämpfen will, anstatt die Ursachen von Konflikten anzugehen? Welche friedenspolitischen Forderungen muss die Friedensbewegung dieser Entwicklung entgegenstellen? Diesen Fragen widmet sich das Arbeitspapier «60 Thesen für eine Europäische Friedenspolitik» das von der Arbeitsgruppe Friedensforschung an der Universität Kassel herausgegeben wurde. Die Autoren glauben dabei sehr wohl an eine Zukunft der Europäischen Union: «Eine Friedenspolitik, die diesen Namen verdient, muss bei den Ursachen der Konflikte im globalen System ansetzen, nicht aber deren Symptome militärisch bekämpfen. (…) Genau hier liegen auch die Chancen der EU, die sich aber – durchaus als «Global Player» – in ihrer Programmatik absetzt vom militarisierten Unilateralismus der USA und statt militärischem Interventionismus auf die Instrumente der Konfliktprävention, der Entwicklungshilfe und Diplomatie, der Durchsetzung rechtsstaatlicher Grundsätze und der Menschenrechte setzt.»

In 60 Thesen formulieren die Autoren in ihrem Papier Vorschläge, Kritiken und Empfehlungen. So wird beispielsweise verlangt,

  • dass bei allfälligen «Neuverhandlungen um eine EU-Verfassung darauf geachtet werden sollte, dass sie keine Aufrüstungsverpflichtung, keine Rüstungsagentur, kein militärisches «Kerneuropa» und keine Militärinterventionen in aller Welt enthält. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU sollte strikt an Geist und Buchstaben der UN-Charta und an das Völkerrecht gebunden werden.»
  • dass «der «Kampf gegen den Terror» entmilitarisiert wird. Terroristen und deren Aktivitäten sind nicht mit Krieg zu bekämpfen, sondern mit Mitteln ziviler Ermittlungsbehören, der Justiz und der Polizei».
  • dass «die Europäische Union alle ihre Möglichkeiten nutzt, um die OSZE zu einem wirklichen System kollektiver Sicherheit im Sinne der UN-Charta auszubauen. Eine solche Regionalorganisation der Vereinten Nationen, der alle europäischen Staaten gleichberechtigt angehören, würde einen Militärpakt wie die NATO ebenso wie die Militarisierung der EU vollends überflüssig machen.
  • dass «die EU darauf drängen sollten, dass die Vereinten Nationen zu dem bewährten Blauhelm-Konzept zurückkehren.»
  • dass der Sicherheitsrats durch die Hinzunahme von Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ergänzt wird, damit die Dritte Welt angemessener vertreten ist.
  • dass die EU sich für eine funktionierende Gewaltentrennung in der Uno und die Stärkung der UN-Generalversammlung einsetzt.

Unter dem Titel «Die Militarisierung der EU und ihre Auswirkungen auf die Schweizer Sicherheitspolitik» erschien in der Schweizer Zeitschrift Widerspruch (Heft 2/05) ein Artikel von Josef Lang und Stefan Luzi, der sich mit möglichen Folgen der Militarisierung auf die Schweizer Sicherheitspolitik auseinandersetzt. Die EU wird, so die These der Autoren, immer mehr zum Orientierungspunkt der VBS-Planer werden – was sich beispielsweise in vermehrten Rüstungsbeschaffungen aus EU-Ländern spiegelt. Das Heft kann unter Tel. 044 273 03 02, oder www.widerspruch.ch bezogen werden.

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