Sport, Gewalt und Staatsschutz

Demnächst kommen Gesetzesänderungen ins Parlament, die Gewalt an Sportveranstaltungen mit staatsschützerischen Massnahmen den Kampf ansagen und Gewaltpropaganda ganz allgemein bekämpfen möchten. Eine Entwicklung, die genau verfolgt werden muss.

Ältere Semester mögen sich vielleicht noch erinnern. Im Nachgang zur Parlamentarischen Untersuchungskommission, welche die Fichenaffäre unter die Lupe nahm, wurde eine rechtliche Grundlage für den diskreditierten Staatsschutz geschaffen. 1997 wurde das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) von der Bundesversammlung verabschiedet. An sich sinnvolle Aufgaben des Gesetzes sind die Bekämpfung von Terrorismus, organisiertem Verbrechen, Handel mit radioaktivem Material und gewalttätigem Extremismus. Der politisch heikle Punkt ist der Umgang mit «der Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus». Das Referendum gegen das BWIS kam knapp nicht zustande, sodass es 1998 nur zur Abstimmung über die Volksinitiative «S.o.S. Schweiz ohne Schnüffelpolizei» kam, die abgelehnt wurde.

Theoretische Verbote…

Im heute gültigen BWIS ist die politische Überwachung theoretisch verboten, ein Schlupfloch ist jedoch vorhanden. Die Überwachung politischer Tätigkeit ist erlaubt, wenn der «begründete Verdacht besteht, dass eine Organisation oder ihr angehörende Personen die Ausübung der politischen Rechte oder der Grundrechte als Vorwand nehmen, um terroristische, nachrichtendienstliche oder gewalttätig extremistische Tätigkeiten vorzubereiten oder durchzuführen». In der Regel kann eine Privatperson nicht in die eigene, allenfalls vorhandene Fiche Einsicht nehmen. Damit entfällt ein wichtiges Korrektiv, welches eine Überprüfung möglich machen würde, ob die «Informationen» Tatsachen entsprechen und ob die politische Betätigung überwacht wird. Zu einem eindeutigeren Schutz von Meinungsfreiheit und politischer Betätigung frei von staatlicher Überwachung konnte sich das Parlament aber nicht durchringen.

Soweit die heutige Rechtslage. Nun soll das BWIS, auch im Hinblick auf die Fussball-Europameisterschaft 2008 geändert werden: Zum einen soll das Gesetz um die Aufgabe der Bekämpfung von Gewalt an Sportveranstaltungen erweitert werden. Zum anderen sollen zwei neue vorbeugende Massnahmen eingeführt werden: die präventive Beschlagnahmung von Propagandamaterial mit Gewaltaufruf sowie ein ganzes Bündel von Massnahmen zur Verhinderung von Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen. Das Massnahmenbündel für die Bekämpfung der Gewalt an Sportveranstaltungen umfasst eine Datenbank, in der Personen mit Stadionverbot oder sonst im Zusammenhang mit Gewalt an Sportveranstaltungen richterlich Beurteilte gespeichert werden können. Diese Datenbank ist der Polizei und dem Grenzwachtkorps zugänglich. Die vier anderen neuen Massnahmen sind Rayonverbote, Ausreisebeschränkungen, Melden beim Polizeiposten (Meldeauflagen) und als schwerste Massnahme Polizeigewahrsam während der Sportveranstaltung.

… und praktische Willkür

Gewalt kann kaum gerechtfertigt werden. Unter dem Deckmantel «Gewaltbekämpfung» könnte es aber zu einer Aufgaben- und Kompetenzerweiterung des Staatschutzes kommen. Heute auf Sportveranstaltungen, morgen gegen weitere kriminalisierbare Bevölkerungsteile.

Mehrere Entwicklungen sind an diesen neuen Gesetzesbestimmungen problematisch. Erstens beruhen Massnahmen wie Stadion- oder Rayonverbot auf der Voraussetzung, dass niemand zu Unrecht erfasst wird. Dass dies unwahrscheinlich ist, zeigt das Beispiel des Fussballspiels YB-GC vom 2.11.2005. Nach einer Rangelei zwischen einigen Fans und Sicherheitskräften wurde der Bus, in dem sich unter anderen Personen diese Fans befanden, auf der Heimfahrt angehalten. Die 50 Insassen des Busses wurden kontrolliert und nun droht allen ein Stadionverbot.

Die zweite fragwürdige Entwicklung ist der in der Vernehmlassung von Kantonen und Parteien geäusserte Wunsch, das Massnahmenbündel – also Rayonverbote, Ausreisebeschränkungen, etc. – auszuweiten auf Gewalt anlässlich von Demonstrationen. Die Gefahr der Willkür wird sehr real, wenn Staatsschützer und Polizei darüber entscheiden, wer an politischen Veranstaltungen nicht teilnehmen darf, aufgrund von für Einzelpersonen nicht überprüfbaren Informationen in Fichen. Dies hat im Rahmen der Proteste gegen WEF- und G8-Veranstaltungen bereits stattgefunden und wird mit einer Gesetzesgrundlage für Rayonverbote, Meldeauflagen, Reiseverbote und Polizeigewahrsam politisch noch gefährlicher. Der Zombie Staatsschutz steht wieder auf.

Die dritte Entwicklung, die im Parlament Ungutes befürchten lässt, sind in der Vernehmlassung geäusserte Forderungen nach «ausgewogenen» Massnahmen gegen rechts- und linksaussen. Verschiedene politische Lager haben unterschiedliche Definitionen von gewalttätigem Extremismus: Wenn das Sprayen einer Parole auf eine Fassade nicht mehr als Sachbeschädigung geahndet, sondern über das Anlegen von Fichen als staatsgefährdend deklariert wird, droht neben einem unpraktikablen Extremismusbegriff auch ein überbordender Staatsschutz.

Als letzter Punkt ist noch die internationale Entwicklung zu erwähnen: Einige Länder führten im «Kampf gegen Terrorismus» Gesetze ein, die es der Polizei erlauben, Personen während Monaten einzusperren, ohne ihnen Rechtsmittel zur Verfügung zu stellen. Und bereits werden die «Antiterrorgesetze» auch auf andere Menschengruppen ausgeweitet, etwa in England auf radikale Tierschützer (Tagesanzeiger, 25.10.2005).

Der Rechtsstaat, u.a. die gerichtliche Überprüfung von Anschuldigungen, ist eine Grundvoraussetzung für die liberale Demokratie. Das Einsperren von Personen ohne Anklage öffnet der Willkür einzelner Beamter Tür und Tor. Wird die Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt, ist nichts weniger als die demokratische Gesellschaft bedroht.

Zusammenarbeit Militär-Polizei

(db) Immer häufiger erfüllen Schweizer Soldaten Polizeiaufgaben. Das bringt neben den grundsätzlichen politischen Problemen, etwa der erodierenden Gewaltentrennung, auch praktische Schwierigkeiten. Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des VBS und der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) soll daher in den nächsten Monaten «die in einigen Aufgabenbereichen bestehenden Abstimmungsprobleme zwischen der Polizei und der Armee bereinigen». Genannt werden nicht nur die gemeinsamen Einsätze von Armee und Polizei, sondern auch die Zusammenarbeit in der Ausbildung.

Ein politisches Gremium aus VertreterInnen von VBS und KKJDP soll bis Mitte 2006 Verbesserungsvorschläge erarbeiten.

Unmut scheint besonders bei der Polizei zu bestehen: So hatte sich etwa der Verband der Schweizerischen Polizeibeamten (VSPB) wiederholt gegen die «schleichende Militarisierung der Polizei» ausgesprochen. Bereits vor einem Jahr hielt er in einer Medienmitteilung zur gemeinsamen Ausbildung von ziviler Polizei und Militärpolizei in St. Maurice im Wallis fest, dass «die geplante Durchmischung von Polizei und Armeeangehörigen dem föderalistischen System der Schweiz widerspricht».

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