Schweizer Neutralität – Wegschauen und Waffen liefern?

Während rund einem Monat herrschte Krieg im Libanon. Klare Worte von Bundesrätin Calmy-Rey lösten eine erneute Debatte darüber aus, was Schweizer Neutralität genau bedeutet und welche Aussenpolitik die Schweiz führen soll.

Nach den Äusserungen von Aussenministerin Calmy-Rey, welche die Angriffe der israelischen Luftwaffe auf zivile Ziele im Libanon ebenso verurteilte wie die Angriffe der Hizbollah auf Israel, polterte die SVP, dass sich die Schweiz nicht in fremde Händel einmischen dürfe. Daher prüfe die SVP auch eine Volksinitiative, welche die Neutralität in der Bundesverfassung stärker verankern möchte – als isolationistisches Instrument versteht sich. Für die SVP bedeutet Neutralitätspolitik, mit allen (dreckige) Geschäfte zu machen, sich aber um keinen Preis politisch zu äussern. Die Grünen, die SP und mit ihr Bundesrätin Calmy-Rey, sehen dagegen in der Neutralität eine Verpflichtung, sich aktiv für die Einhaltung des humanitären Völkerrechtes einzusetzen; sie sprechen daher von einer «aktiven» Neutralitätspolitik. Niemand scheint genau zu wissen, was Neutralität bedeutet, es gibt verschiedenste Interpretationen. Dennoch – oder genau deswegen – befürworten laut der Studie «Sicherheit 2006» der ETH Zürich neunzig Prozent der Schweizerinnen und Schweizer die Neutralität.

Kein Friedensbundesrat

Im Bundesrat vertritt die bürgerliche Mehrheit die Auffassung, dass Waffenlieferungen nicht gegen die Neutralitätspolitik verstossen. Diese Interpretation der Neutralität scheint aber keineswegs der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung zu entsprechen. In der oben erwähnten Studie bejahen sechzig Prozent der Befragten, dass «die Schweiz bei politischen Konflikten im Ausland klar Stellung für die eine oder andere Seite beziehen sollte, bei militärischen Konflikten aber neutral bleiben solle».

Beim Unterschriftensammeln für die Volksinitiative für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten ist auf der Strasse oft zu hören, dass die Schweiz doch gar keine Waffen exportiere, da wir ja neutral seien. Doch leider sieht die Realität anders aus. Noch vor gut vier Jahren hatte der Bundesrat anlässlich der Wiederbesetzung der palästinensischen Gebiete beschlossen, die militärische Kooperation mit Israel einzustellen.

Im März 2005 revidierte der Bundesrat diesen Entscheid mit Verweis auf die vermeintlichen Fortschritte des Friedensprozesses. Tatsächlich dürften dabei die Beschaffungspläne des VBS eine Rolle gespielt haben: Die Militärs wollen für 395 Millionen Franken das Integrierte Funkaufklärungs- und Sendesystem IFASS aus Israel kaufen (siehe Zeichen setzen gegen die Rüstungszusammenarbeit). Auch in anderen Bereichen gibt es mittlerweile eine intensive Kooperation der Rüstungsfirmen beider Länder. So produziert die bundeseigene Ruag Drohnen (unbemannte Militärflugzeuge) auf Grundlage israelischer Baupläne. Und auch bei der besonders grausamen Streumunition, die laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch auch im Libanon eingesetzt wurde, arbeitet die Schweiz mit Israel zusammen.

Neutralität als Perspektive?

Für die GSoA und andere friedenpolitische Kreise stellt sich heute wiederum die Frage, ob der Begriff der Neutralität auch friedenspolitisch gedeutet respektive genutzt werden kann. Ein Blick nach Österreich ist interessant, wo die Neutralität vor allem von Kriegsgegnern verteidigt wird. «Neutralität oder Nato» lautet dort einer der friedenspolitischen Slogans.

In der Schweiz versuchen die SP und die Grünen jedenfalls erneut den Neutralitätsbegriff zu besetzen. Die Neutralität sei eine Friedensbotschaft, meint Bundesrätin Calmy-Rey. Neutral zu sein bedeute, im Ausland keine Waffengewalt anzuwenden. Die Diskussionen innerhalb der GSoA zeigen, wie schwer fassbar der Begriff der Neutralität ist. Für die einen ist die Neutralität nicht mehr als ein Mythos, welcher nichts mit der realen Politik der Schweiz zu tun hat; für andere ist sie ein wichtiger Ansatzpunkt, um den Menschen aufzuzeigen, welche Veränderungen es in der Schweizer Sicherheits- und Aussenpolitik braucht. Da die Schweiz leider weiterhin Kriegsländer mit Waffen beliefert, wird sich wohl auch die GSoA um eine Klärung des Neutralitätsbegriffes bemühen müssen.

«Nein zum Krieg im Nahen Osten»

Am 29. Juli fand in Bern auf Initiative der GSoA die grösste schweizerische Friedensdemo gegen den Krieg im Libanon statt. Rund 4’000 Personen forderten unter dem Haupttitel «Nein zum Krieg im Nahen Osten» den Bundesrat dazu auf, die militärische und rüstungsindustrielle Zusammenarbeit mit Israel und dem gesamten Nahen Osten einzustellen. Insbesondere – so beispielsweise GSoA-Vorstand Jo Lang in seiner Rede – müsse die Schweizer Regierung die Beschaffung des Integrierten Funkaufklärungs- und Sendesystem IFASS (vgl. Artikel Zeichen setzen…) stoppen.

Die Berner Regionalgruppe organisierte die Demonstration in nur vier Tagen und konnte dabei die Unterstützung eines breiten friedenspolitischen Bündnisses von 35 Organisationen gewinnen. Viele Vertreter dieser Organisationen treffen sich auch weiterhin und sind derzeit mit der Planung und Organisation einer Palästina-Woche im November beschäftigt. Weitere Informationen sind demnächst auf der Website der GSoA zu finden. (rm)