Nichts ist passiert, aber es wird getan als ob

Die Gefahr des Terrorismus soll neue Lauschbefugnisse für den Staatsschutz und den vermehrten Einsatz der Armee im Innern rechtfertigen. Die Schweiz kann aber bisher nur einen Terrorismus im Konjunktiv vorweisen.

«Terroralarm in Genf», vermeldeten die Zeitungen Anfang Oktober. Nach Anschlagswarnungen des Dienstes für Analyse und Prävention, der eidgenössischen Staatsschutzzentrale im Bundesamt für Polizei (BAP), stellte die Genfer Polizei Botschaften und internationale Organisationen unter verstärkten Schutz. Die Warnungen haben sich offensichtlich nicht erfüllt, sie passen jedoch zur neuen Einschätzung der Gefährdungslage, die das BAP Anfang Mai in seinem Sicherheitsbericht für 2005 verbreitete: Terroristische Anschläge wie in Madrid und London lägen nun auch hierzulande «zunehmend im Bereich des Möglichen».

Noch im Jahr zuvor hatte BAP-Direktor Jean Luc Vez klar festgehalten: «Es gibt weiterhin keinen Hinweis darauf, dass die Schweiz für Terrorgruppen ein Hauptangriffsziel darstellt.» Mit dieser Abwiegelei ist nun Schluss. «Konkrete Vorbereitungshandlungen konnten bis heute zwar nicht endgültig nachgewiesen werden», schreibt Vez im Vorwort des neuen Berichts. «Dies kann sich aber rasch und jederzeit ändern.»

Geplante Massnahmen

Die neue Lageeinschätzung soll den aktuellen Gesetzesprojekten den Boden bereiten: Nur wenige Wochen nach dem Bericht schickte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) einen Entwurf für eine Verschärfung des Staatsschutzgesetzes – offizieller Titel: Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit – in die Vernehmlassung (siehe untenstehenden Artikel) Danach dürfte der Staatsschutz unter anderem ausserhalb von Strafverfahren und ohne jeglichen Straftatverdacht Telefone oder E-Mails anzapfen, Wohnungen verwanzen sowie haupt- und nebenamtliche Spitzel mit Tarnidentitäten ausstatten.

Auch das VBS hofft, sich ein Stück vom Kuchen der Terrorismusbekämpfung abschneiden zu können. Es möchte die Armee reorganisieren und noch mehr auf Einsätze im Innern trimmen. Im Falle eines Anschlags müsse das Militär nämlich die Polizei durch «Raumsicherung» unterstützen – konkret: durch grossangelegte Kontrollen an den Grenzen und im Inland.

Nagelprobe Strafverfahren

Neu sind diese Pläne nicht. Samuel Schmids Umbaupläne für die Armee schreiben nur das fort, was mit der Armee XXI schon seit Jahren im Gange ist, und für eine Verschärfung des Staatsschutzgesetzes weibelt das BAP schon seit 2002. Allerdings mochte die Sicherheitslage nicht so recht zu diesen grossen rechtlichen Geschützen passen. Der «endgültige» Nachweis fehlt den «Sicherheitsorganen» nicht erst, seitdem sie terroristische Anschläge in der Schweiz für möglich halten. Die von der Bundesanwaltschaft angestrengten Verfahren brachten bisher kaum etwas zu Tage. Beispiele gefällig?

Die Ermittlungen gegen die Tessiner Finanzfirma Nada/Al Taqwa, die im November 2001 mit einer spektakulären Durchsuchungsaktion begonnen hatten, musste die Bundesanwaltschaft im Juni 2005 endgültig einstellen, nachdem die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts einen Monat zuvor festgestellt hatte, dass die Verdachtsmomente gegen die Repräsentanten der Firma nichts taugten. Oder der Fall Mohammed Achraf, der im Herbst 2004 grosse mediale Wellen geschlagen hatte. Der abgewiesene Asylbewerber sass seit Ende August 2004 auf dem Flughafen Kloten in Ausschaffungshaft. Für die Schweizer Medien begann der Fall am 20. Oktober 2004 mit der Meldung, die spanische Polizei habe eine «Terrorzelle ausgehoben» (Tagesanzeiger), deren «Gehirn» (Le Temps) – nämlich besagter Achraf – in der Schweiz inhaftiert sei. Die Gruppe habe einen Anschlag auf die Audiencia Nacional, das zentrale spanische Strafgericht, geplant. Im Sicherheitsbericht 2004 hatte das BAP gemunkelt, Achraf habe in der Schweiz finanzielle Mittel für den Anschlag auftreiben und 500 Kilogramm Sprengstoff kaufen wollen. In seinem neuen Bericht muss das Amt einräumen, dass das Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen den mittlerweile als Abderrahmane Tahiri identifizierten Mann ergebnislos war: «Die spanischen Verdachtsmomente bezüglich seiner Aktivitäten in der Schweiz konnten ihm hier nicht nachgewiesen werden. Insbesondere gibt es keinen Hinweis, dass er in die Schweiz gereist sei, um Mittel zum Erwerb grosser Mengen Sprengstoff zu generieren. Nur einige geringfügige Diebstahlsdelikte gehen auf ihn zurück. Am 22. April 2005 wurde Tahiri an Spanien ausgeliefert.»

Spekulationen beeinflussen Gesetzgebung

Sehr fraglich ist schliesslich, was aus dem Verfahren gegen eine Gruppe von zehn Personen aus dem Jemen, dem Irak und Somalia wird, die zur Jahreswende 2003/2004 verhaftet worden waren und dann zum Teil über ein Jahr in Untersuchungshaft sassen. Gegen sieben hat die Bundesanwaltschaft im Oktober dieses Jahres beim Bundesstrafgericht Anklage wegen «logistischer» Unterstützung der Al Qaida erhoben. In seinem Abschlussbericht vom März war dagegen der Eidgenössische Untersuchungsrichter zu einem anderen Ergebnis gekommen: Bei acht der zehn Betroffenen sah er überhaupt keine Verbindung zum Terrorismus, sondern allenfalls ausländerrechtliche Verstösse: illegale Einschleusung und Herstellung falscher Papiere. Die beiden anderen hätten telefonische Kontakte zu einem Al Qaida-Mann im Jemen gehabt und ihm den überwältigenden Betrag von zweihundert US-Dollar überwiesen.

Was lernen wir daraus? Die staatsschützerischen Terrorwarnungen leben davon, dass sie nicht in einem ordentlichen strafrechtlichen Verfahren nachgewiesen werden müssen. Die absolute Sicherheit vor Anschlägen gibt es nicht. Blosse Spekulationen taugen aber nicht für die Gesetzgebung. Und unausgegorene Vermutungen dürfen nicht die Grundlage für tiefgehende Eingriffe in die Grundrechte sein.