Clownen in der militarisierten Zone

Donnerstag, 7. Juni, 12.00 Uhr: Nach einer kurzen Nacht im Camp gelangen wir mit einer kleineren Gruppe Clowns zu einer Massenblockade bei Hinterbollhagen, die bereits einige Meter von der Strasse abgedrängt wurde. Und werweissen, wofür wohl die schwarzvermummten Uniformierten demonstrieren, die nun ihrerseits die Strasse blockieren. Als diese das Angebot ablehnen, ihre Schilder mit passenden Slogans zu beschriften – «Sonst meinen wieder alle, ihr habt keine Inhalte!» – bleibt nur die Vermutung, dass die durchsichtigen Schilder symbolisch für die Forderung nach mehr Transparenz stehen. Einige Polizisten schmunzeln – für einen Moment gelingt es, die Menschen hinter den Uniformen freizulegen.

Auch nach dem massiven Einsatz von Wasserwerfern, bei dem mehrere AktivistInnen verletzt werden, bleibt die Stimmung gut. «Wenn ihr uns mit Taufpanzern bespritzt, müsst ihr uns schon einen Namen geben!» verlangen die Clowns. «Eure Kinder werden so wie wir!» rufen die BlockiererInnen. Die friedlichen Sitz- und Stehblockaden werden bis zum Ende des G8-Gipfels anhalten. Die Fokussierung der Massenmedien auf den «Schwarzen Block» nach den bedauerlichen Ausschreitungen bei der Auftaktkundgebung in Rostock wird allmählich aufgegeben angesichts der über 10’000 Menschen, die gewaltfreien zivilen Ungehorsam üben.

Gezielte Falschmeldungen

Eines sei hier noch richtiggestellt: Die unter anderem in der Schweizer Gratiszeitung «20 Minuten» ungeprüft weiterverbreitete Polizeimeldung, wonach Clowns Beamte mit Säure bespritzt haben sollen, gehört eindeutig ins Reich der Legenden – und diente wohl dazu, die PolizistInnen zu einem harten Durchgreifen zu bewegen. Wie Spiegel Online nach Rückfragen bei den Rostocker Krankenhäusern berichtete, war die ominöse Flüssigkeit harmlos, wahrscheinlich handelte es sich um handelsübliche Seifenblasen-Flüssigkeit…

Was tun, wenn sich die Staatschefs der acht grössten Industrienationen hinter einem 12,5 Millionen Euro teuren Zaun in einem Luxushotel verschanzen und der Protest gegen ihre militaristische und sozial ungerechte Politik medial auf apolitische Krawalle reduziert wird? “Rebel Clowning” lautet die Antwort einer “Armee”, die Kriminalisierung und ritualisierte (Staats-)Gewalt durch subversives Strassentheater unterlaufen will. Ein Erlebnisbericht aus Heiligendamm.

«Die Macht, und zwar jede Macht, fürchtet nichts mehr als das Lachen, das Lächeln und den Spott. Sie sind Anzeichen für kritischen Sinn, Phantasie, Intelligenz und das Gegenteil von Fanatismus.» – Dario Fo anlässlich der Verleihung des Nobelpreises für Literatur 1997 in Stockholm.

Mittwoch, 6. Juni, 7.30 Uhr: Im Wald nahe des Protest-Camps Wichmannsdorf versammeln sich rund 120 seltsam verkleidete Närrinnen und Narren. Die «Clandestine Insurgent Rebel Clown Army» (klandestine aufständische Rebellen Clown Armee) macht sich bereit zur «Operation Tickle». Nach einer guten Stunde auf Schleichwegen und einem kurzen Delegierten-Plenum im Wald nimmt die Armee Marschformation ein. «Love and Respect!» und «Vamos a la Playa!» («Auf zum Strand!») singend geht es im Gleichschritt weiter in Richtung Ostseebad Heiligendamm. Nach einigen Ausweichmanövern durch Wald und Wiese gelangen wir schliesslich tatsächlich bis zum drei Meter hohen, mit NATO-Stacheldraht gesicherten Zaun.

Free G8!

«Freiheit für alle Politiker-Gefangenen!» rufen einige Clowns dort und bieten einen Geiselaustausch an: «Wenn ihr Angela Merkel aus dem Käfig rauslasst, geht jemand von uns freiwillig hinein.» Mittlerweile sind wir von einer Hundertschaft PolizistInnen eingekesselt, die keinen Spass versteht. Toilettengänge werden untersagt, und als wir einem Beamten Süssigkeiten anbieten, antwortet der: «Jetzt gibt’s Saures! In einer halben Stunde seid ihr alle in der Gefangenensammelstelle.»

Doch da immer mehr Medienschaffende am Westgate ankommen, entscheidet sich die Polizei doch gegen eine Massenverhaftung. Zu offensichtlich sind wir nicht die «kriminellen Chaoten», welchen die Polizei im Vorfeld der Proteste ein rigoroses Durchgreifen angedroht hatte. Der Kessel öffnet sich, ein Anti-Konfliktteam der Polizei erscheint. Doch auch die Konflikt-Manager können nicht erreichen, dass die Clowns die Strasse freigeben. Da gleichzeitig am anderen Eingangstor eine Sitzblockade mit rund 5’000 Menschen stattfindet, ist das Gipfel-Hotel Kempinski nur noch per Helikopter oder Schnellboot zu erreichen. Das Ziel der Kampagne «Block G8» ist somit erreicht.

Taufpanzer und Polizisten für Transparenz