Das Schlupfloch, das keines ist

Die Rüstungsindustrie will mehr Waffen nach Saudi-Arabien liefern. Obwohl die Schweizer Gesetzgebung solche Exporte verbietet, haben die Bundesbehörden erwogen, heimlich die Ausfuhr Tausender Pistolen an das fundamentalistische Regime zu bewilligen.

Auf dem Papier hat die Schweiz eine der strengsten Kriegsmaterialgesetzgebungen der Welt. Gleichzeitig zählt die Schweiz zu den fünf Ländern, die im Verhältnis zur Bevölkerung weltweit am meisten Waffen exportieren: Pro Kopf produzieren wir deutlich mehr Kriegsmaterial als die USA und mehr als doppelt so viel wie Deutschland. Wie geht das auf?

Die Erklärung ist einfach: Unter dem Druck der Rüstungslobby halten sich die Schweizer Kontrollbehörden, das heisst das Seco, nicht an den Text des Gesetzes und der Verordnung. In einer Reihe von entscheidenden Punkten ist die heutige Bewilligungspraxis nicht mit der Gesetzgebung vereinbar.

Bereits 2009 kritisierte eine Gruppe von siebzig RechtsprofessorInnen in einem offenen Brief, dass die Schweiz Waffen an Staaten exportiert, die in einen bewaffneten Konflikt verwickelt sind – obwohl die Kriegsmaterialverordnung (KMV) das verbietet. Der Bundesrat bleibt den Rechtsgelehrten bis heute eine Antwort schuldig. Die Behörden bewilligen weiterhin Ausfuhren an Länder, in denen bewaffnete Konflikte herrschen, beispielsweise Indien. Hinter vorgehaltener Hand hört man als Begründung, dass der Gesetzgeber es ja sicher nicht so strikt gemeint habe mit den bewaffneten Konflikten.

Pistolen für die Diktatur
Weil Saudi-Arabien die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzt, sind Waffenlieferungen an dieses Land gemäss der Schweizer Gesetzgebung tabu. Schon seit Jahren bewilligen die Kontrollbehörden dennoch Ausfuhren von Munition an die Diktatur – mit der fantasievollen Begründung, dass Munition unter die Ausnahmeregeln für «Ersatzteile» falle.

Der Schweizer Rüstungsindustrie ist das jedoch nicht genug. Mitte Januar hat «10vor10» einen geheimen Brief veröffentlicht, in dem die Spitzen der Industriedachverbände den Bundesrat aufforderten, eine Lieferung von Zehntausenden Pistolen im Wert von 45 Millionen Franken nach Saudi-Arabien zu bewilligen. Der Deal sollte via die USA abgewickelt werden, damit das Geschäft legal sei. Der Brief verweist dabei auf Artikel 18 des Kriegsmaterialgesetzes (KMG), der Ausnahmeregelungen vorsieht, wenn Kriegsmaterial nicht als Ganzes, sondern als Baugruppen verkauft wird.

Artikel 18 KMG sieht jedoch bloss administrative Erleichterungen bezüglich der Einholung von sogenannten Nichtwiederausfuhrerklärungen vor. Aber an den Kriterien für die Bewilligung ändert er nichts. Wenn die Gefahr besteht, dass das Kriegsmaterial an einen unerwünschten Endempfänger weitergeleitet wird, müsste das Seco das Exportgesuch laut Artikel 5 der Kriegsmaterialverordnung ablehnen. Mit anderen Worten: Das Schlupfloch, dass die Rüstungsindustrie angelblich ausnützen will, existiert gar nicht. Dennoch haben die Kontrollbehörden das Gesuch an den Bundesrat weitergeleitet. Die Begründung lautet wiederum: Der Gesetzgeber wird es ja schon nicht so eng gemeint haben, wie es in der Verordnung steht.

Öffentlicher Druck als einziges Mittel
Jedem Juristen und jeder Juristin stehen bei einer solchen Begründung die Haare zu Berge. Gäbe es eine Möglichkeit, die Entscheide des Seco vor einem Gericht anzufechten, müsste die Bewilligungspraxis massiv geändert werden. Leider gibt es diese Möglichkeit nicht. Die parlamentarische Geschäftsprüfungskommission wäre die einzige Instanz, welche die Rechtmässigkeit der Bewilligungen der Kontrollbehörde überprüfen könnte. Aber diese Kommission hat weder die Zeit, noch die Ressourcen, noch die Motivation, ihrer Pflicht nachzukommen.
Damit bleiben nur noch die Medien und die Öffentlichkeit, welche die Rolle einer Aufsichtsbehörde einnehmen müssen. Das ist in einem Rechtsstaat unbefriedigend. Immerhin: Dank des öffentlichen Drucks – auch der GSoA – hat der Bundesrat nach dem «10vor10»-Bericht den Pistolendeal mit Saudi-Arabien schlussendlich doch noch gestoppt.