Die Nato und ihre diaboli ex machina

Der sunnitische Extremismus wie der gross russische Nationalismus sind die Früchte des Sieges der Nato über die UNO in den 90er Jahren.

Nach dem Kalten Krieg gab es eine UNO, die stärker war denn je, und eine Nato, deren raison d’être in Frage gestellt war. Die UNO und ihre OSZE genossen dank der friedlichen Auflösung des Ostblocks ein hohes Ansehen. Die Nato, die ihre Existenz immer mit dem Warschauer Pakt begründet hatte, ging ihrer Legitimität verlustig. Gleichzeitig bot die Implosion der Sowjetunion den USA die Chance, die militärische Macht imperial auszuweiten. Damit diese Chance gepackt werden konnte, bot sich der serbische Tyrann Slobodan Milosevic gleich sam als diabolus ex machina an. Am Ende des letzten Jahrzehnts des letzten Jahrhunderts standen im Frühjahr 1999 der völkerrechtswidrige Kosovokrieg und die Verwandlung der Nato in ein Offensivbündnis mit globaler Mission.

«Ein tragischer Irrtum»
Die 1990er Jahre werden in die Geschichte eingehen als das Jahrzehnt, in der es dem anfänglich geschwächten Sonderbund des reichen Nordwestens gelungen ist, den anfänglich starken Bund der Völker politisch zu marginalisieren und militärisch auszubooten. Der 1993 erhobenen Forderung von UNO-Generalsekretär Boutros-Ghali, die Weltorganisation mit ausreichenden militärischen Kapazitäten aus zustatten, erteilte die Nato eine klare Absage. Gleichzeitig hielt das Geheimmemorandum MC 327 fest, dass der UNO keine Aufklärungserkenntnisse weiter geleitet werden, was deren «Scheitern» in Bosnien vorprogrammierte. Der US-amerikanische Sicherheitsexperte Robert Kagan schrieb in seinem 2003 erschienenen neo konservativen Kultbuch «Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der neuen Weltordnung», dass die «Existenzfähigkeit des Bündnisses», zu den «Hauptzielen der amerikanischen Intervention» im Kosovo gehört habe, «so wie die Erhaltung der Allianz ein Hauptmotiv der früheren Intervention der USA in Bosnien» gewesen war. Gleichzeitig breitete sich die Nato im Territorium des ehemaligen Warschauer Paktes aus. Das bedeutet ein Bruch des Versprechens, das Bundeskanzler Kohl, Präsident Bush und deren beiden Aussenminister Genscher und Baker gegenüber Gorbatschow gemacht hatten. In der jüngsten Ausgabe der US-Zeitschrift Foreign Affairs wird der ehemalige US-Diplomaten George F. Kennan aus dem Jahre 1998 zitiert: «Ich denke, dass sie (die Nato-Osterweiterung) ein tragischer Irrtum ist.» Russland werde auf eine Art und Weise reagieren, dass die Expansions-Befürworter behaupten können, « wir haben gegenüber euch immer gesagt, dass die Russen nun mal so sind. » Tatsächlich haben die westlichen Militärs mit ihrer expansiven Politik den Nationalismus in Russland gestärkt und damit Putin zur Macht verholfen. Zu den Hauptzielen des globalen Neomilitarismus gehörte die Sicherung der Rohstoffquellen und -routen sowie das Abfangen von Migrationsströmen. Weiter ging es darum, Armeen, die nach dem friedlichen Ende des Kalten Krieges unter einem massiven Sinndefizit litten, gegen über Gesellschaften, welche eine Friedensdividende einforderten, zu relegitimieren. Die Tatsache, dass der für die Nato-Osterweiterung zuständige US-Ausschuss vom Vizepräsidenten des Rüstungskonzerns Lockheed Martin präsi diert wurde, weist auf besondere wirtschaftliche Motive hin.

«Langer und globaler Krieg»
Zweieinhalb Jahre nach dem Kosovokrieg kam der 11. September. Die Funktion des diabolus ex machina übernahm im neuen Jahrzehnt Al Kaida. Ohne ihr spektakuläres Attentat wäre es unmöglich gewesen, die militärisch-imperialen Errungenschaften der 90er derart offensiv um zusetzen. Es begann das, was Präsident George W. Bush den «War on terror» und sein Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zusätzlich den «long and global war» tauften. In Afghanistan, wo dieser begann, kostete er 30’000 Menschenleben. Noch verheerender sind die Folgen des zweiten grossen Feldzuges, des Irak-Kriegs, dem bis heute über 100’000 Menschen zum Opfer fielen. Zurückgelassen hat die Invasion eine irakische Gesellschaft, welche konfessionell und ethnisch stärker gespalten ist denn je. Besonders verheerende Folgen hat die völlige Ausgrenzung der sunnitischen Minderheit. Ohne deren ehe maligen Partei- und Armeekader hätte der «Islamische Staat» nie die Stärke gewonnen, die er heute hat. Der «War on Terror» wurde auch deshalb zu einem «langen und globalen Krieg», weil er zahlreichen Regimes half, ihren Staatsterrorismus so richtig zu entfalten. Das machten unter anderen Putin gegen die Tschetschenen, Israel gegen den Libanon und die Palästinenser, die singhalesischen Nationalisten gegen die Tamilen, die indischen Neoliberalen gegen die Naxaliten, die chinesischen Zentralisten gegen die Uiguren. Nur eine universelle und damit neutrale Weltorganisation kann die Welt wieder friedlicher machen. Es gehört zu den friedenspolitischen Kernaufgaben, alles zu tun, um Sonderbünde wie die Nato zu schwächen und die UNO zu stärken.