Überwachung und andere Mythen

Auch in der Schweiz soll die Überwachung der elektronischen Kommunikation massiv ausgebaut werden. Zu glauben, dass sich damit Terroranschläge verhindern liessen, ist Wunschdenken.

Gemäss dem «Spiegel» waren sieben der acht Attentäter von Paris behördlich bekannte, verdächtige Islamisten. Sie kommunizierten unverschlüsselt per SMS, obwohl die Behörden diese Kommunikationsmittel überwachen. Der Drahtzieher des Anschlags, Abdelhamid Abaaoud, hatte bereits im Februar im «Dabiq», dem offiziellen IS-Propagandaheft, damit angegeben, dass er sich in Belgien aufhalte und einen Anschlag vorbereite, obwohl er von der Polizei überwacht werde. Die Behörden hatten alle nötigen Informationen, um die Anschläge zu verhindern. Es war jedoch nicht möglich, die wirklich relevanten Daten herauszufiltern. Noch mehr Überwachung und damit noch mehr Daten hätte das Erkennen der Mörder nicht vereinfacht, sondern zusätzlich erschwert. Wenn man eine Nadel im Heuhaufen sucht, hilft es nichts, zusätzliches Heu auf den Haufen zu kippen.

Clevere Terroristen

Den Sicherheitsbehörden gelingt es also nicht, dilettantische Attentäter zu entdecken. Cleveren Terroristen ist mit zusätzlicher Überwachung erst recht nicht beizukommen. Es braucht nicht viel Wissen, um komplett zu verschleiern, wer mit wem über welche Themen kommuniziert. Ein Beispiel: Sie nehmen das aktuelle Titelfoto der Online-Ausgabe des «Blick», jedes zweite Pixel des Bildes färben Sie ein klein wenig heller oder ein klein wenig dunkler, so dass sich daraus ein Morsecode ergibt. Danach laden Sie das Bild auf eine öffentliche Facebook-Seite. Ihr Kommunikationspartner kann nun das Bild herunterladen, mit dem Original auf der «Blick»-Website vergleichen und die Nachricht lesen. Niemand wird je erfahren, dass Sie überhaupt eine Mitteilung ausgetauscht haben, geschweige denn mit wem, oder was der Inhalt war. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, um Verschleierungs- und Verschlüsselungsverfahren zu nutzen, die den Überwachungsbehörden keinerlei Chance lassen.

Mythos Mustererkennung

Bisweilen liest man, dass sich Terroristen ausfindig machen liessen, wenn der Staat nur genügend Daten sammle. Ausgeklügelte Algorithmen würden Muster finden, um potentielle Attentäter frühzeitig zu erkennen.
Das Problem dabei: Um einigermassen sinnvolle Resultate zu erzielen, müssen Algorithmen für die Mustererkennung anhand einer grossen Anzahl von Beispielen «lernen», welche Datenspuren ein Gewalttäter hinterlässt. Es gibt jedoch nur eine Handvoll Fälle, die man dafür heranziehen kann. Versucht man es trotzdem, wird der Algorithmus eine Unmenge an falsch positiven Resultaten auswerfen: Bauern, die nach Düngersorten suchen, die auch für Sprengstoff taugen; Journalistinnen, die über den IS recherchieren; Jugendliche, die sich einen Spass daraus machen, möglichst abscheuliche Videos anzuschauen.

Freiheit oder Sicherheit

Wenn man mit blindwütiger Überwachung bloss die Anzahl potentiell Verdächtiger erhö- hen, aber keine Terroranschläge verhindern kann, warum fordert die bürgerliche Mehrheit in der Schweiz mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz trotzdem genau das? Die Antwort findet man nicht allzu weit zurück in der Geschichte: Die Fichen der 1970er- und 1980er-Jahre wurden nicht einfach zum Spass angelegt. Das Ziel der gigantischen Aktensammlung war es, Fichierten den Zugang zu relevanten Berufspositionen zu verwehren und sie im Falle einer Krise zu internieren. Auch jetzt gibt es bereits wieder Stimmen, welche Massnahmen wie präventiven Hausarrest für Verdächtige oder Ausgangssperren für Muslime fordern. Von der totalen Überwachung bis zum massiven Eingriff in die Freiheit eines ansehnlichen Teils der Bevölkerung ist der Schritt nicht weit. Es ist besser, jetzt wachsam zu bleiben.

Der Autor ist Software-Ingenieur und befasst sich mit Netzwerksicherheit und Kryptologie. Seinen Militärdienst hat er bei den Truppen für Elektronische Kriegsführung der Schweizer Armee geleistet.

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