Unmündigkeit, nicht Unsicherheit ist das Problem

Die Nato-Präsenz im Kosovo, in welche die Swisscoy eingebettet sind, steht für eine globale wie regionale Fehlentwicklung.

Das Ende des Kalten Krieges und erst recht die Auflösung des Warschauer Paktes 1991 stürzten die meisten Armeen in Legitimations- und die Rüstungskonzerne in Absatzkrisen. Am stärksten betroffen war die Nato, die ihre Existenz immer mit der des Warschauer Paktes begründet hatte. Gleichzeitig bot die Implosion des so genannt «realsozialistischen» Lagers den USA die Chance, ihre militärische Macht imperial auszuweiten. Zur Bannung der Gefahr wie zur Wahrung der Chance sollte sich der grossserbische Tyrann Milosevic als klassischer «Diabolus ex machina» erweisen.

Uno bootet Nato aus

Am Anfang des Balkankrieges standen eine Uno und eine OSZE, die dank ihrer Rolle bei der friedlichen Auflösung des Ostblocks ein hohes Ansehen genossen, was sie für die Nato umso gefährlicher machte. Am Schluss standen im Frühjahr 1999 ein Kosovokrieg ohne Uno-Mandat, die Verwandlung der Nato in ein globales Offensivbündnis und die Marginalisierung der Vereinten Nationen. Der US-amerikanische Kriegstreiber Robert Kagan schrieb 2003 im neokonservativen Kultbuch Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der neuen Weltordnung, dass die «Existenzfähigkeit des Bündnisses» zu den «Hauptzielen der amerikanischen Intervention» im Kosovo gehört hat, «so wie die Erhaltung der Allianz ein Hauptmotiv der früheren Intervention der USA in Bosnien» gewesen war. In Begriffen aus der Schweizergeschichte ausgedrückt: Der Sonderbund des reichen Nordwestens dieses Planeten hat innert eines Jahrzehntes den Bund der Völker ausgebootet. Der völkerrechtswidrige Irakkrieg vier Jahre später war eine Folge dieser Fehlentwicklung. Und der Islamische Staat ist, wie wir wissen, die Folge dieser Folge. Der Luftkrieg gegen Serbien war damals – auch von linken Kreisen – humanitär begründet worden. Aber zuvor hatten die USA und die anderen Nato-Staaten einen Beschluss, 2’000 Beobachter der OSZE in die heissen Zonen des Kosovo zu schicken, hintertrieben. Die Wahrscheinlichkeit, dass deren Zeugenschaft weitere Menschenrechtsverbrechen hätten verhindern können, ist hoch. Die zivil-polizeiliche Lösung bekam keine Chance, weil die Nato den militärisch-kriegerischen Weg wollte und für ihre Zukunft auch brauchte.

Vertreibung von Minderheiten

Trotz der Präsenz Zehntausender Soldaten konnte danach nicht verhindert werden, dass Tausende von SerbInnen und der Grossteil der einst 130‘000 Roma von albanischen Nationalisten vertrieben wurden. Die Schweizer Vertretung in Priština musste durch parlamentarische Interventionen gezwungen werden, auch Roma einzustellen.
Eine weitere Folge der militärischen Präsenz ist die Bevormundung einer Gesellschaft, die dadurch in ihrer wirtschaftlichen, bürgerschaftlichen, sozialen, kulturellen und menschlichen Entwicklung zusätzlich gehindert wird. Im Kosovo passierte genau das, wovor der grosse Philosoph Immanuel Kant in seinem Ewigen Frieden gewarnt hatte: Interventionismus behindert den Gang aus der Unmündigkeit. Tatsächlich ist heute das vitale Problem des Kosovo nicht die Unsicherheit, sondern die Unmündigkeit. Ein Ausdruck davon ist die grassierende Korruption, eine Konsequenz der Wegzug der jungen Generationen. Der Kosovo ist nicht nur ein gescheiterter Staat, es ist eine gescheiterte Gesellschaft.

Zivile statt militärische Solidarität

Ein Verzicht auf militärische Präsenz bedeutet nicht, einem Land den Rücken zuzukehren, dessen BürgerInnen hier in der Schweiz eine starke Rolle spielen. Die Schweiz kann Beiträge leisten im Aufbau einer Berufsbildung, in der Gestaltung multikultureller Gemeinwesen oder in der Sicherheit. Vor sechs Jahren besuchte ich im Rahmen einer nationalrätlichen Delegation die Swisscoy unter anderem im ethnisch gespaltenen Mitrovica. Dabei machte mir ein aus dem zweisprachigen Freiburg stammender Offizier grossen Eindruck. Aber für seine hervorragende Sozialarbeit braucht er weder Uniform noch Waffen.