Keine Spielwiese

Nach Monaten inhaltlicher Grundlagendebatte tritt jetzt wieder die Diskussion um den Initiativ-Text in den Vordergrund. Der nachfolgende Artikel erläutert, was warum neu formuliert wurde. Ist die vorliegende Fassung konsensfähig? Eine Vorentscheidung wird an der Vollversammlung vom 24. November fallen.

Als die GSoA-VV Ende März dieses Jahres in Solothurn mit 60 zu 8 Stimmen beschloss, auf der Basis der damals vorliegenden Text-Entwürfe das Projekt einer Doppelinitiative weiterzuverfolgen, war wohl den meisten klar, dass noch viel inhaltliche Arbeit geleistet werden musste.
Vor allem der Punkt 4 des Entwurfs stiess auf Skepsis. Zwar wurde dieser Punkt in einer Konsultativabstimmung mit 21 zu 12 Stimmen (bei 9 Enthaltungen) gutgeheissen. Aber auch ein Vorschlag der GSoA Genf, die im Entwurf erwähnten ‹bewaffneten Einheiten› durch den Begriff ‹zivile Einheiten› zu ersetzen, erhielt kurz danach ein Mehr von 23 zu 11 Stimmen (bei 4 Enthaltungen).

Differenzierte Debatte

Die leise Verwirrung, die sich aus diesen Voten ablesen liess, hatte auch ihr Gutes. Fast alle GSoAtInnen nämlich, die sich seit dem Frühling an der inhaltlichen Debatte beteiligten, stimmen in einem zentralen Punkt überein: Die Schwierigkeiten der Friedensbewegung beim Positionsbezug gegenüber multinationalen, bewaffneten «Friedensinterventionen» gründen in ernsten moralischen und politischen Dilemmata. Es wäre moralisch unhaltbar, bewaffnete Nothilfe in ethischen Ausnahmesituationen (etwa organisierter Völkermord) ein- für allemal auszuschliessen. Und es wäre politisch und moralisch unverantwortlich, militärische Strafgewalt zu unterstützen, die kaum verschleiert der Logik nationalstaatlicher Grossmachtinteressen folgt (Nato, Uno-Sicherheitsrat).
Dieser breite Grundkonsens ermöglichte während dem letzten halben Jahr eine differenzierte Diskussion in der GSoA – ein handlungsweisender Positionsbezug blieb trotzdem schwierig. Ob die jetzt vorgeschlagene Formulierung den Bedenken beider Seiten genügt, muss an der VV geklärt werden. Ich glaube aber, wir sind ein paar Schritte weiter gekommen.

Was ist neu?

Im Unterschied zum ersten Entwurf lässt sich der vorliegende Text nicht mehr auf ein konkretes Szenario ein. Von (maximal 800) bewaffneten Schweizer Freiwilligen ist nirgends mehr die Rede. Dafür spielt die dritte Übergangsbestimmung – sie geht im wesentlichen auf einen Kompromissvorschlag aus den Reihen der GSoA Genf zurück – den Ball in Sachen «Beteiligung an internationalen Friedensmissionen» dorthin, wo er vorderhand hingehört: zum Bundesrat und zum Parlament. Diese hätten sich nach einer allfälligen Annahme der Initiative zuerst mit den Dilemata bewaffneter «Friedenserhaltung» und «Friedensschaffung» auseinanderzusetzen. Ein allfälliger Gesetzesvorschlag unterläge dem fakultativen Referendum.
Eine Zeit lang diskutierten wir eine Variante, gemäss der ein solches Gesetz explizit die Teilnahme an «bewaffneten Friedensinterventionen» hätte regeln sollen. Juristische Vorabklärungen haben aber ergeben, dass diese Formulierung möglicherweise im Widerspruch zu Artikel 17.1 («Die Schweiz hat keine Armee») stünde.
Sowohl politisch wie auch verfassungsrechtlich könnten daraus Probleme entstehen. Daher fügten wir in den Verfassungsartikel 17 neu einen 2. Absatz ein, der erstens eine Präzisierung des Begriffs Armee beinhaltet und zweitens einen gesetzlichen Spielraum im Bereich ‹Beteiligung an internationalen Friedensbemühungen› eröffnet. Sollte die Schweiz also dereinst einer demokratisierten Uno bei der Rekrutierung von Blauhelm-Freiwilligen unter die Arme greifen wollen, wäre dazu keine Verfassungsrevision nötig. Damit andererseits aus dem Spielraum keine Spielwiese wird, auf der man überholte nationale Verteidigungsanstrengungen unter dem Vorwand ‹internationale Friedensbemühungen› zu legitimieren versucht, bleiben letztere explizit auf das Ausland beschränkt. Die Grundlage für eine wie auch immer geartete Wehrpflicht wäre übrigens mit dem aktuellen Artikel 18 der Bundesverfassung ebenfalls abgeschafft.
Im Initiativtext neu hinzugekommen ist ein Absatz (Art. 17.3), der sich gegen die angestrengten Bemühungen der Schweizer Armee richtet, sich in Bereichen ziviler Politik ‹unentbehrlich› zu machen. Wir sind der Meinung, Aufgaben des Katastrophenschutzes, die Bewachung von Konferenzen und Botschaften sowie Beiträge zum transnationalen Rettungswesen können effizienter von zivilen Organen erfüllt werden. Dazu braucht es keine Armee, sondern politische Erfindungsgabe. Asylpolitik, Verbrechensbekämpfung und Ordnungsaufgaben sollten in einem Rechtsstaat sowieso den zivilen Behörden obliegen.
Den zweiten und dritten Abschnitt, sowie den ersten Satz des vierten Punktes des ersten Initiativentwurfs haben wir neu im Artikel 18 zusammengefasst. Mit diesem Artikel würden zum ersten Mal Begriff und Ziel einer schweizerischen Sicherheitspolitik in der Verfassung festgelegt. Während ‹Sicherheit› im Vokabular der Militaristen gegenwärtig zum ideologischen Kampfbegriff mutiert, der das Militärische im Zivilen verankert, zielt die Initiative auf die gesellschaftlich-globalen Grundlagen von Frieden. Verzichtet haben wir auf den Passus, der eine Umlagerung der Mittel auf die zivile Friedenssicherung verlangt. Entweder erreicht man damit nicht substantiell mehr als mit dem übrigen Text oder man handelt sich Schwierigkeiten hinsichtlich des Gebots der Einheit der Materie ein (siehe Halbierungsinitiative).

Alle an die VV

Eine geringfügig anders lautende Variante des Initiativtextes wurde im Oktober in einer gesamtschweizerischen Koordinationssitzung vordiskutiert. Das Echo war generell positiv. Noch sind aber nicht alle juristischen Fragen bereinigt. Abzuklären bleibt insbesondere, ob die Initiative im Unterschied zum ersten Versuch in den 80er Jahren ohne Auslegungsklausel auskommt («Keine Bestimmung dieser Verfassung darf so ausgelegt werden, dass sie die Existenz einer Armee voraussetze oder rechtfertige.») Vor allem aber steht nochmals eine vertiefte politische Auseinandersetzung an. Die bevorstehende VV bietet eine wichtige Gelegenheit, um die Vor- und Nachteile der überarbeiteten Fassung abzuwägen und allenfalls weitere Vorschläge zu präsentieren. Kommt hin und bringt Eure Meinung ein! Die bisherige Arbeit hat uns, so hoffe ich wenigstens, einem Konsens ein gutes Stück näher gebracht – gemeinsam schaffen wir am 24. November einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer Schweiz ohne Armee.