Manifest und GSoA

Was soll einem Linken und Grünen mehr zu denken geben: die Haiderisierung Blochers, der mit seinem Abrufen antisemitischer Gefühle und mit seiner Kampagne gegen die “Erpressung” das nach der Shoa landesüblich gewordene Mass an Nationalkonservativismus überschritten hat; die FAZisierung der Inland-NZZ, welche in der laufenden Geschichtsdebatte eine ähnliche Haltung vertritt, wie sie die (bisher auffällig reaktionärere) Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in der Revisionismus-Debatte der 80er Jahre eingenommen hat und jetzt in den Wehrmachts-Ausstellungs-Kontroversen einnimmt. (In dieser Frage wie auch in dem thematisch zwar nahen, geographisch aber entfernten japanischen Schulbuch-Streit ist mein Leibblatt der Aufklärung treu geblieben.); oder die auffälligeZurückhaltung der meisten Linken und Grünen in der laufenden Auseinandersetzung über die Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs und über den damaligen und heutigen Antisemitismus?

Wenn ich mit einem SVP-Mitglied streite, finde ich das erste am bedenklichsten. Wenn ich mich mit einem NZZ-Redaktor unterhalte, ist es das zweite. Wenn ich in einem Organ schreibe, das vor allem von Linken und Grünen gelesen wird, betone ich das dritte.

Dem Manifest vom 21. Januar 1997 geht es ähnlich, wie es der GSoA bis in den Sommer 1989 ergangen ist. Es bildet eine Art Oase in der Wüste, wobei dieses Bild nicht nur das Verhalten der offiziellen Schweiz, sondern auch das ihrer offiziellen Opposition festhält. Wie damals wollen die meisten linken und grünen Köpfe heute nicht wahrnehmen, dass es hier um eine Schlüssel-Frage im wahrsten Sinne des Wortes geht. Genau wie die GSoA ein Schlüssel war zur Öffnung von Türen und Fenstern, um das helvetische Haus auszumiefen, ist heute das Manifest ein Werkzeug, um mit den Reduit-Relikten aufzuräumen. Das ist nicht nur wichtig aus Gründen der Moral, sondern auch aus solchen der Realpolitik. Nur eine Schweiz, welche ihre Vergangenheit verarbeitet und ihre Reduit-Mythen einigermassen überwunden hat, ist bereit zur Öffnung gegenüber Europa und gegenüber der Völkergemeinschaft.

Es ist deshalb um so erstaunlicher, dass ausgerechnet die Euroturbos die ausgezeichnete Chance, sich mit dem angeschlagenen (und deshalb besonders aggressiven) Nationalismus anzulegen, nicht packen. Hier liegt eine Erklärung für die Passivität eines Grossteils des rotgrünen Lagers: Pragmatismus, Technokratismus und Opportunismus haben die Sensibilität für grundsätzliche und ethische Fragen und Debatten erodiert. Dazu kommt, dass ein Teil der SP- Basis ebenso mythenresistent ist wie die Mehrheit ihrer Altersgenosslnnen. Bei etlichen Grünen spielt die veraltete Anhänglichkeit ans Nationalstaatliche eine Rolle («Die Schweiz ist klein und small is beautiful!») Nicht unterschätzen dürfen wir das 68er Erbe eines undifferenzierten und damit populistischen Antiamerikanismus, der sich jetzt von seiner reaktionären Seite zeigt. Schliesslich gibt es, wenn auch eher marginal, noch den antisemitischen Flügel des Antizionismus.

Mit ihrem – ich wage das Wort – Versagen, erfüllt die Linke dieses Landes nicht nur ihre aufklärerische Pflicht nicht. Sozis und Grüne verpassen auch eine ausgezeichnete Chance, sich mit Veranstaltungen, Stellungnahmen, Unterschriftensammlungen inhaltlich zu stärken und mit neuen, vor allem jungen Leuten, in Diskussion zu treten.

PS. Sollte es GSoAtlnnen geben, welche das Manifest noch nicht unterschrieben haben, können sie es bestellen über Postfach 6948, 3001 Bern, Tel: 077/684841.