Stellungnahme zum Gutachten von Margrith von Felten und Karin Haeberli

Anschlussfähige Friedenspolitik

Von Hans Hartmann

Das von Margrith von Felten und Karin Haeberli verfasste Gutachten richtet sich explizit an «die GSoA-Männer». Als solcher fühle ich mich irritiert. Kritik soll irritieren. Aber Irritation ist dann nicht produktiv, wenn nichts als ein Gefühl gegenseitigen Unverständnisses zurückbleibt.

«Wer versteht hier eigentlich wen nicht?», fragte ich mich bei der Lektüre des Gutachtens immer wieder. Vielleicht trägt es zum besseren gegenseitigen Verständnis bei, wenn ich mein Unbehagen wenigstens punktuell verbalisiere.

An einem zentralen Missverständnis ist die GSoA selbst sicher nicht unschuldig. Es geht um die Forderung nach einer «umfassenden Friedenspolitik». Diese Parole war in den 80er Jahren ein sinnvolles Signal dafür, dass Friedenspolitik sich nicht in der Armeeabschaffung erschöpfen sollte, dass die GSoA bereit war, über ihr unmittelbares Anliegen hinauszudenken. Problematisch war allerdings die auch in der GSoA verbreitete Vorstellung, eine solche «umfassende Friedenspolitik» liesse sich mit einem Massnahmenkatalog «konkretisieren». Die Suche nach den fundamentalsten Einzelvorschlägen musste daher immer wieder fehlschlagen.

Die Autorinnen des Gutachtens haben also recht, wenn sie der GSoA vorhalten, sie hinke bis heute hinter diesem umfassenden Anspruch her. Nicht recht, haben sie allerdings mit ihrer in Bezug auf beide Initiativprojekte geäusserten Vermutung, die GSoA wolle mit diesen Projekten einen solchen Anspruch «konkretisieren». Die erste GSoA-Initiative verlangte, die Schweiz müsse eine umfassende Friedenspolitik innert zehn Jahren «verwirklichen». Die heute aktiven GSoAtInnen sind in dieser Hinsicht bescheidener geworden.

«Zentrumssichten»

Das Gutachten will eine Sicht (die gsoatische) korrigieren, «die sich für allgemein ausgibt, sich aber höchstens auf das Halbe bezieht». Die Kritik und Erweiterung unserer – notwendigerweise – begrenzten Perspektive lassen wir uns sehr wohl gefallen. Der Anspruch auf Allgemeingültigkeit muss der GSoA aber nicht ausgetrieben werden, denn er exisitiert nicht.

Die Gutachterinnen selbst erheben allerdings sehr wohl einen verallgemeinernden Anspruch. Sie beanspruchen eine «ganzheitliche Sicht» auf die friedenspolitische Diskussion, und sie wollen «dem Ziel einer umfassenden Friedenspolitik» näherkommen. Kein Wunder, setzen sie der zu Recht kritisierten «MänneraugenZentrumsSicht» undifferenziert «Frauen, Frauenrealitäten, Frauenwissen, Fraueninteressen und –prioritäten» entgegen, obschon doch gerade der verallgemeinernde Männerblick all diese Kategorien des «Nicht-Mann-Seins» erst schafft. Darf man denn – zum Beispiel – die Sicherheitsbedürfnisse einer zapatistischen Guerilla-Comandante mit den Frauenrealitäten einer tamilischen Flüchtlingsfrau in Chur oder einer Schweizer SP-Nationalrätin begrifflich einfach so auf den Punkt bringen? Auch eine solche, andere «ZentrumsSicht» verdeckt Differenzen und bringt die Vielfalt von «Frauenrealitäten» zum verschwinden.

Zum Verschwinden bringt diese Sicht auch Frauen, die sich in der einen oder anderen Weise mit der GSoA beziehungsweise ihren Ideen identifizieren – denn die Ignoranz der GSoA, so das Gutachten, «verunmöglicht» es Frauen, «sich der GSoA anzuschliessen». Es gibt aber diese «unmöglichen» Frauen. Auch das ist sprachliche Gewalt. Wenn sich einige GSoAtInnen in der letzten GSoA-Zitig dagegen wehren wollten, finde ich das verständlich. Sie verteidigen keineswegs «die GSoA-Männer», sondern das simple Recht, im Blick der Gutachterinnen nicht unterzugehen.

Chancen für Friedensengagement

Wenn die GSoA-Projekte nicht die «umfassende Friedenspolitik» auf dem Silbertablett präsentieren wollen – was wollen sie dann? Natürlich sind wir daran interessiert, dass andere – Menschen mit anderen Realitäten und Sichtweisen – mit unseren Vorschläge etwas anfangen können, dass sie interessante Anknüpfungspunkte für ihre eigenen Ideen entdecken. Frieden ist nur als Lernprozess denkbar. Wir versuchen ernsthaft, anschlussfähige Friedensinitiativen zu entwickeln, die die Chancen für aktives Friedenshandeln verbessern. Und wir hoffen, diesbezüglich mit unserem Projekt einige Schritte weiter zu sein als vor einem Jahrzehnt mit der «Alles-und-nichts-Utopie» einer umfassenden Friedenspolitik.

Die Kritik, zu wenige Frauen hätten bisher ihre Perspektive in die neuen GSoA-Projekte eingebracht, ist berechtigt. Überhaupt: Auch wenn wir in den vergangenen Jahren mehr als je zuvor über unseren helvetischen Tellerrand hinausgeblickt haben, bleibt unsere Sicht ziemlich provinziell – verglichen jedenfalls mit der «Lebensrealität der Mehrheit der Weltbevölkerung», welche von Felten und Haeberli für sich in Anspruch nehmen. Die Texte für unsere Initiativprojekte haben wir daher so offen wie möglich gedacht.

Mögliche Anknüpfungspunkte

Natürlich ist dennoch nicht alles möglich. In der von den Gutachterinnen angestrebten Diskussion über «eine gerechtere Verteilung aller Arbeit unter den Geschlechtern» sind die Initiativtexte kein Meilenstein. Auch das Patriarchat werden sie nicht abschaffen. Aber die Debatte um die Abschaffung der Armee kann kollektive Männergewaltphantasien erschüttern. Und der Vorschlag für einen Zivilen Friedensdienst zielt auf eine Schärfung des Bewusstseins für verschiedenste Gewaltverhältnisse – in und ausserhalb der Schweiz. Das ist doch nicht nichts.

Warum soll ein ZFD nicht auch Frauen die Chance eröffnen, ihr «praktisches und theoretisches Wissen über Konfliktfähigkeit und für gewaltfreies Handeln» (Gutachen) zur Geltung zu bringen? Warum soll der ZFD nur «zum Projektionsfeld für Friedensmänner-Heldenphantasien» taugen –wie das Gutachten suggeriert, indem es ein in der GSoA-Zitig publiziertes Einsatz-Szenario lächerlich macht, das paradoxerweise von einer deutschen Friedensaktivistin und Mitarbeiterin an dortigen ZFD-Bemühungen stammt? Wieso soll zwischen «GSoA» und «Friedensfrauen» kein konstruktiver Dialog möglich sein, wenn doch – so steht es im Gutachten – sich alle befragten «Expertinnen grundsätzlich einig waren, die Schweiz habe als Land, das in grossem Mass von internationalen Zusammenhängen profitiere, auch Pflichten gegenüber der internationalen Gemeinschaft wahrzunehmen»?

Ich habe von den Autorinnen weder Jubelgeschrei für die vorliegenden Initiativvorschläge noch ein pfannenfertiges, feministisches Konzept für die «umfassende Friedenspolitik» erwartet – sondern schlicht auch Hinweise darauf, wie die Initiativtexte für von Frauen gemachte Erfahrungen empfänglicher werden. Das ist kein Ding der Unmöglichkeit: Die im Gutachten formulierte Kritik an einer Lohnersatzregelung ist bereits in unsere Textdiskussion eingeflossen. Und verschiedene kritische Einwände der Gutachterinnen werden hoffentlich den Argumentationshorizont von uns GSoAtInnen erweitern.

Aber viel zu oft werden im Gutachten ernstgemeinte Denkangebote gerade auch zur Stärkung des Einflusses von Frauen in den zu schaffenden Friedensstrukturen – von einem Quotierungsvorschlag bis zur expliziten Nennung von Frauenorganisationen – als schlechter Witz abgetan. Das ist demotivierend. Mitnehmen werde ich vom Gutachten allerdings einen anderen Input: Die GSoA muss sich noch viel mehr darum bemühen, nicht als eitle Vorreitertruppe von Friedensstrategen zu erscheinen, sondern als das, was sie ist: als Basisinitiative mit Denkangeboten für alle, die sich dafür interessieren.