Verpasste Chancen 2

Ich finde es schade, dass die öffentliche Diskussion um das Gutachten von Karin Haeberli und Margrith von Felten bis jetzt hauptsächlich unter Frauen stattfindet. Trotzdem muss ich jetzt auch zum Thema schreiben:

1. Einen ganz herzlichen Dank an die beiden Frauen, die mit viel Engagement eine grosse Arbeit auf sich genommen haben, in der sie Themen und Sichtweisen aufzeigen, welche die GSoA ruhig einmal genau betrachten soll. Dass jetzt versucht wird, die Arbeit als feministisch-utopistisches Gebilde wegzuschieben, hat mich sehr betroffen gemacht.
Die GSoA ist auf Kritik von aussen angewiesen und sie muss diese ernst nehmen, wenn sie mit ihren Projekten keine Bruchlandung erleiden will. Von dieser zwar stellenweise polemischen aber reichhaltigen und fundierten Analyse kann die GSoA profitieren. Das heisst nicht, dass ich alle Argumente der Autorinnen teile, aber das Gutachten ist sehr wohl ein gutes Arbeitsinstrument, um aufzuzeigen, wie die GSoA frauenspezifische Standpunkte ausklammert und was dabei zu ändern wäre.

2. Zwei Richtigstellungen: Erstens wurde das Gutachten nicht, wie in der GSoA Zitig März 97 zu lesen steht, im Auftrag der GSoA Basel erstellt. An der März-VV 96 ist der Antrag zur Erstellung eines frauenspezifischen Gutachtens (leider) völlig diskussionslos aber mit grossem Mehr angenommen worden. Zweitens war die Aufgabe von Haeberli und von Felten nicht, der GSoA Empfehlungen zu geben, sondern – wie die Autorinnen zu Beginn des Gutachtens klar aufzeigen – die Initiativtexte aus feministischer Sicht zu beurteilen und Grundzüge einer feministischen, das heisst ganzheitlichen Friedenspolitik zu skizzieren. Genau das machen Haeberli und von Felten. Dass es daneben auch eine ganze Menge konkreter Empfehlungen gibt, ist ein grosses Plus dieser Arbeit.

3. Leider werden – wie dies in der letzten GSoA-Zitig behauptet wird – tatsächlich Chancen verpasst, aber von Seiten der GSoA. Das Gutachten bietet reichlich Diskussionsstoff und Anregungen. So wird beispielsweise ausführlich darauf hingewiesen, dass die GSoA als fast reine Männergruppierung einiges zum Thema Männer, Männergewalt und Krieg zu sagen hätte, wenn diese Zusammenhänge aufgearbeitet würden. Oder es wird darauf hingewiesen, dass in Sachen Demokratie bzw. soziale Gerechtigkeit in der Schweiz einiges an Defiziten besteht. Diese Defizite anzugehen würde dem GSoA-Zitat von 1989 «Friedenspolitik ist Gesellschaftspolitik zum Abbau von Gewalt und zum Aufbau sozialer Gerechtigkeit» mehr entsprechen als etwa einen Friedensdienst zu schaffen, wobei die Diskussion um eine staatliche Unterstützung bestehender Gruppen wie die Peace Brigade International (PBI) sicher wichtig ist. Nur sehe ich hierfür andere Möglichkeiten als eine Initiative, z. B. auf parlamentarischer Ebene, da dafür keine Verfassungsänderung nötig ist.

Äusserungen wie auf Seite 6 des Gutachtens – «den Zusammenhang zwischen Gewaltherrschaft und Geschlechterfrage zu erkennen, ist hingegen für die Verwirklichung einer umfassenden Friedenspolitik, ist allein schon für die Annäherung an eine entsprechende Friedenspolitik unabdingbar» – oder das Zitat von Ulrike Pittner auf Seite 14 – «die Jahrtausende alte männliche Vormachtstellung gegenüber Frauen hat dazu geführt, dass sich ein geschlechterspezifisches Verhältnis zur Gewalt ausgeprägt hat. Gewalt ist ein männliches Erfolgsrezept, das in militärischer Hordenbildung staatlich angewendet wird. Man(n) verfährt nach dem Recht des Stärkeren. Frauen (…) sind einem anderen Erfolgsrezept vertraut geworden, das nicht die Gewalt, sondern gerade deren Umgehung als Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen nimmt. Ihre Intelligenz ist eine andere als die des Zusammenschlagens wenn es zu Interessenkollissionen kommt» – solche Äusserungen und Zitate sind weder «dürftige Empfehlungen» noch stempeln sie alle Männer als gewalttätig ab. Sie weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, welche Prämissen der Diskussion die GSoA beinahe immer ausblendet.

Dabei würde gerade das Einbeziehen der weiblichen Realitäten auch dort, wo sie von den männlichen abweichen, die Arbeit der GSoA zu einer gesellschaftsrelevanten Arbeit machen. Es wäre vielleicht endlich möglich, den Anspruch von friedenspolitischer Arbeit, den die GSoA 1989 stellte, einzulösen. Nach den GSoA-Diskussionen der letzten Zeit muss ich aber, vor allem mir selber, eingestehen, dass ich die Hoffnung aufgegeben habe, die GSoA werde durch die Umsetzung von frauen- und männerspezifischen Ansichten eine radikale Friedenspolitik betreiben können. Initiativen machen um jeden Preis, wenn sie weder allgemein begeistern, noch grössere Diskussionen auslösen, macht für mich wenig Sinn. Zumal wenn deren Inhalt auch noch zwiespaltige Aspekte enthält.