Fein, feiner

Von Nico Lutz • Die beiden GSoA-Initiativen erhalten ihren letzten Schliff. Am 23. November wird die Vollversammlung über die Lancierung entscheiden. Im Frühling 98 kann es losgehen.

«Ich habe gehört, die GSoA startet wieder eine Initiative für eine Schweiz ohne Armee. Könnt ihr mir Unterschriftenbogen schicken?» Anfragen wie diese aus einer Berner Agglomerationsgemeinde erreichen uns in letzer Zeit häufiger. Zum Glück. Aber ganz so schnell sind wir auch wieder nicht. Wir bereiten einen Langstreckenlauf und keinen kurzen Sprint vor. Und das braucht eine solide Vorbereitung.

Initiativen sind in doppelter Hinsicht ein kollektiver Diskussionsprozess: Erstens haben wir in der GSoA die beiden Initiativtexte in einer intensiven Diskussion erarbeitet. Zweitens werden wir nach der Lancierung mit hunderttausend Menschen auf der Strasse über unsere Vorstellungen von Sicherheits- und Friedenspolitik diskutieren. Den ersten Schritt haben wir praktisch hinter uns. Wir haben uns in den vergangenen Jahren gründlich mit der offiziellen Schweizer Sicherheitspolitik beschäftigt und in zahlreichen Veranstaltungen, Seminaren und Sitzungen unsere Alternativen formuliert. Das Resultat lässt sich sehen: Wir haben zwei Initiativen für eine Schweiz ohne Armee und einen Zivilen Friedensdienst ausgearbeitet.

Feinarbeit

In den Grundzügen wurden beide Initiativtexte bereits von der GSoA-Vollversammlung gutgeheissen. An einem GSoA-Arbeitswochenende im Tessin sind wir im vergangenen Juni beide Initiativtexte nochmals durchgegangen, haben Satz für Satz vorwärts und rückwärts diskutiert und letzte Retouchen angebracht. Beispielsweise haben wir - bevor das mehr als ernüchternde Abstimmungsresultat der Kriegsmaterialexportverbots-Initiative bekannt war - einen zusätzlichen Abschnitt in der Initiative «Sicherheit statt Verteidigung: Für eine Schweiz ohne Armee» eingefügt, der vom Bund eine aktive Rüstungskonversions-Politik verlangt. Beide Initiativen werden nun von verschiedenen Juristen auf Herz und Nieren geprüft.

Last call for papers

In dieser GSoA-Zitig drucken wir beide Initiativtexte erneut ab. Wir wollen damit möglichst vielen Menschen und Organisationen nochmals die Möglichkeit geben, über die Initiativtexte zu diskutieren und ihre Vorschläge einzubringen. Anregungen und Änderungsvorschläge werden wir an der GSoA-Koordination vom 11. Oktober (siehe GSoA-Daten auf Seite 8) diskutieren. Alle sind herzlich willkommen teilzunehmen und sich einzubringen. Den Text, den wir dort verabschieden, wollen wir der Vollversammlung vorlegen.

Startvorbereitungen

Die sorgfältige Ausarbeitung der Initiativtexte ist das eine. Die Vorbereitung einer breiten Kampagne, um gemeinsam mit vielen Menschen die beiden Initiativen auch zu sammeln, ist das andere. Und das haben wir - zumindest zum Teil - noch vor uns. Hier und dort beginnen sich eingeschlafene GSoA-Regionalgruppen wieder zu regen. In der Ostschweiz, in Luzern, in Biel und im Thurgau finden wieder GSoA-Sitzungen statt. Das ist ein guter Anfang. Mit Sommeraktionen bei Festivals haben wir viele Adressen von Frauen und Männern gesammelt, die bereit sind mitzuhelfen. Knapp 20'000 Unterschriften wurden uns von diesen Interessierten bereits zugesichert. Auch das ist nicht schlecht. Dennoch: Wir haben noch ein gutes Stück Arbeit vor uns. Verschiedene Regionalgruppen dösen noch vor sich hin, und die Beteiligung an den GSoA-Koordinationssitzungen dürfte auch noch reger sein.

Die GSoA ist keine Unterschriftensammel-Maschine und hat keinen grossen und bezahlten Organisationsapparat. Die GSoA, das sind viele Menschen, die sich gemeinsam für eine wichtige Idee, eine Schweiz ohne Armee und einen Zivilen Friedensdienst, auf den Weg gemacht haben. Und nur gemeinsam kommen wir auf diesem Weg auch weiter!

Die Initiativtexte

Sicherheit statt Verteidigung: Für eine Schweiz ohne Armee

I Art. 17

1 Die Schweiz hat keine Armee.

2 Bund, Kantonen, Gemeinden und Privaten ist untersagt, militärische Streitkräfte zu halten. Gesetzliche Regelungen, welche die Beteiligung an internationalen Friedensbemühungen ausserhalb der Schweiz betreffen, sind vorbehalten. Gesetze und Staatsverträge mit solchen Regelungen sind obligatorisch dem Volk zur Abstimmung zu unterbreiten.

3 Bisher von der Armee wahrgenommene zivile Aufgaben wie Hilfeleistungen für Katastrophenschutz oder Rettungsdienste werden von den zivilen Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden übernommen.

Art. 18

Die Sicherheitspolitik des Bundes ist darauf ausgerichtet, konfliktträchtige Ungerechtigkeiten im In- und Ausland abzubauen. Er handelt dabei nach den Grundsätzen der Demokratie, der Menschenrechte und der friedlichen Konfliktlösung. Insbesondere fördert er Chancengleichheit und gerechte Beziehungen zwischen den Geschlechtern, zwischen den sozialen Gruppen und zwischen den Völkern sowie eine umweltverträgliche und gerechte Verteilung der natürlichen Ressourcen.

II

Die Artikel 13, 15 zweiter Satz, 19-22, 34ter Absatz 1 Buchstabe d, 42 Buchstabe c, 85 Ziffer 9 und 102 Ziffer 11 der Bundesverfassung werden aufgehoben.

III

Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt geändert.:

Art. 24 (neu)

1 Nach der Annahme der Verfassungsbestimmungen von Artikel 17 und 18 durch Volk und Stände werden keine Rekrutenschulen, Wiederholungskurse und militärischen Ausbildungskurse mehr durchgeführt.

2 Die Bestände, Geräte und Einrichtungen der Armee sind innerhalb von 10 Jahren vollständig abzubauen oder einer zivilen Nutzung zuzuführen.

3 Der Bund fördert die Umstrukturierung der von der Abrüstung betroffenen Betriebe und Verwaltungen auf zukunftsgerichtete zivile Güter und Dienstleistungen und unterstützt betroffene Beschäftigte und Regionen.

 

Solidarität schafft Sicherheit: Für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst

Art. 8 bis (neu)

1 Die Schweiz unterhält einen zivilen Friedensdienst (ZFD) als Instrument einer aktiven Friedenspolitik.

2 Der ZFD trägt im In- und Ausland dazu bei, Gewaltverhältnisse abzubauen sowie deren Neuentstehung zu verhindern. Dazu entwickelt er insbesondere Massnahmen im Bereich der friedlichen Beilegung gewalttätiger Auseinandersetzungen, der Früherkennung und Prävention von Gewaltpotentialen, des sozialen Wiederaufbaus und des Schutzes der Lebensgrundlagen.

3 Die Mitarbeit im ZFD ist freiwillig. Dienstleistende werden für Einsätze sowie einsatzspezifische Aus- und Weiterbildung angemessen entschädigt. Bei den Friedensdienstleistenden wird eine gleichmässige Vertretung beider Geschlechter angestrebt.

4 Der ZFD bietet in Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen, Nichtregierungsorganisationen und Privaten eine Grundausbildung an, die Wissen und Praktiken gewaltfreier Konfliktbearbeitung vermittelt. Sie bereitet auf ZFD-Einsätze vor und steht allen in der Schweiz wohnhaften Personen kostenlos offen.

5 Der ZFD sorgt für die einsatzspezifische Aus- und Weiterbildung von Friedensdienstleistenden. Er berücksichtigt dabei persönliche Qualifikationen der Dienstleistenden und Bedarf.

6 Der ZFD organisiert auf Anfrage von Nichtregierungsorganisationen, staatlichen Institutionen und internationalen Organisationen unbewaffnete Friedenseinsätze. Dabei arbeitet er eng mit lokalen Organisationen zusammen.

7 Der ZFD wird mit öffentlichen Mitteln finanziert. In der Regel beauftragt er geeignete nichtstaatliche Organisationen mit der Planung und Durchführung von Einsätzen.

8 Eine unabhängige, geschlechterparitätisch zusammengesetzte Kommission entscheidet über die Ausgestaltung und Durchführung der Grundausbildung, der einsatzspezifischen Aus- und Weiterbildung sowie der Einsätze des ZFD. Darin arbeiten insbesondere Organisationen mit, die friedens-, frauen- umwelt-, migrations- und entwicklungspolitische Anliegen vertreten.

II

Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt geändert:

Art. 12

1 Einsätze sowie einsatzspezifische Aus- und Weiterbildung im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) gemäss Art. 8 bis BV gelten als unverschuldete Verhinderung der Arbeitsleistung. Der Kündigungsschutz richtet sich nach den Bestimmungen über den Zivildienst.

2 Der ZFD darf keine bestehenden Arbeitsplätze gefährden oder geltende Arbeitsbedingungen verschlechtern.

3 Solange in der Schweiz ein Zivildienst besteht, werden die im Rahmen der Grundausbildung, der einsatzspezifischen Aus- und Weiterbildung und der Einsätze des ZFD geleisteten Tage als Zivildiensttage angerechnet.

4 Ist binnen fünf Jahren kein Ausführungsgesetz zu Art. 8 bis BV in Kraft gesetzt worden, regelt der Bundesrat bis zur Gesetzesinkraftsetzung den ZFD mittels Verordnung.