«Einfach unnötig»

Wehrhaftigkeit, Nazi-Gold, Staatsverschuldung und warum die Präsidentin des Jungen LdU des Kantons Zürich zur Armeeabschafferin geworden ist.

Angela, in einem Tages-Anzeiger-Leserinbrief hast du kürzlich geschrieben, die Armee sei unnütz. Sie verschlucke nur eine Menge Geld, das dringend gebraucht würde, um der Jugend des Landes eine Zukunftsperspektive zu eröffnen. War die Armee schon früher ein Thema für Dich?

Angela Chiarini: Sie war eher ein Nebenthema. Der Nutzen unserer Armee war mir nie ganz klar, aber es fehlte mir an Argumenten. Ich war früher der Ansicht, es sei gut, die Armee als Zeichen der Wehrhaftigkeit zu haben, zur Warnung an «Feinde». Heute zweifle ich daran. In einem heutigen Krieg hätten wir militärisch eh keine Chance mehr. Mit der Armee gäbe es nur mehr Tote.

Wie erklärst du deinen «Gesinnungswandel»?

Es gab kein einschneidendes Erlebnis. Ich habe einfach immer mehr Fragezeichen dahinter gesetzt. Wichtig war die Diskussion um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Sie hat gezeigt, dass nicht die Armee die Schweiz damals vor dem Krieg bewahrt hat, sondern das geschickte Lavieren von Regierung, Nationalbank und Wirtschaftsvertretern. Meine Meinung hat sich in dieser öffentlichen Diskussion gebildet. Für mich ist klar geworden: Die Schweiz hat den Krieg nicht überstanden, weil die Mannen an der Grenze gestanden sind.

Gibt dir die Armee ein Sicherheitsgefühl?

Nein! Was mich beschäftigt, sind die Kosten. Ich finde es einfach unnötig, jedes Jahr Milliarden von Franken in etwas zu investieren, das nichts nützt. Wir verschulden uns immer mehr, unter anderem wegen dieser Armee. Diejenigen, die heute 10 Jahre alt sind, müssen diese Schulden dereinst abstottern. Das macht mir Angst. Es geht aber nicht nur ums Geld: Junge Männer verlieren heute berufliche Chancen durch die Dienstpflicht. Eine militärische Karriere hat viel an Attraktivität eingebüsst. Die Kollegen von mir, die ins Militär mussten, haben jedenfalls nichts profitiert. In meinem Beruf, beim Siebdruck, spielt der militärische Grad keine Rolle. In meinem Freundeskreis wollte niemand weitermachen. Jetzt ist es wenigstens möglich, Zivildienst zu leisten. Das bringt anderen Menschen sozial etwas.

Es gibt Leute, die nicht zuletzt aus solchen Überlegungen, eine Berufsarmee propagieren. Was hältst du davon?

Eine Berufsarmee birgt die Gefahr des Machtmissbrauchs durch einzelne Grössenwahnsinnige. So etwas könnte ich nicht unterstützen. Anders sehe ich das bei den Blauhelmen, die 1994 in der Volksabstimmung ja abgelehnt wurden. Ich war damals dafür, weil ich finde, dass sich die Schweiz nicht immer mehr abschotten sollte.

Warum sollte denn die «Öffnung» gerade beim Militär beginnen?

Blauhelme greifen nicht an, sie helfen. Sie müssen Konflikte schlichten helfen. Was auf der Welt passiert, geht uns jedenfalls auch etwas an.

Wie sollte sich deiner Meinung nach die Schweiz gegenüber einem Konflikt wie beispielsweise dem in Bosnien verhalten?

Sie sollte den Menschen helfen, ihr Land wieder aufzubauen, das Know-How exportieren. Wir können auch von anderen Ländern lernen. Es gibt aber Situationen, wo du nicht alleine helfen kannst. Da müssen mehrere Nationen zusammenspannen. Die Rolle der Neutralität leuchtet mir nicht mehr ein, man kann sich heute nicht mehr neutral verhalten. Aber die Neutralität ist eine heilige Kuh in diesem Land.

Du bist im Jungen LdU politisch aktiv. Warum?

Für Politik habe ich mich schon immer interessiert. Ich hatte auch Interesse an den Jungliberalen, aber beim JLdU hat mich das soziale Engagement überzeugt. Vor drei Jahren wurde ich gefragt, ob ich Lust hätte, auf der JLdU-Liste für den Nationalrat zu kandidieren. Nachher habe ich mich stark engagiert, und irgendwann wurde ich zur Co-Präsidentin gewählt.

Was sagen deine ParteikollegInnen zu deinem Brief im Tagi?

Viele haben sich dasselbe gedacht, aber ich habe es dann mal öffentlich ausgesprochen. Der Zürcher Vorstand teilt meine Meinung. Der Co-Präsident war richtig begeistert. Bei der Abstimmung über die Abschaffung 1989 hat der JLdU Stimmfreigabe beschlossen, weil man sich nicht einigen konnte.

Teilt die Mutterpartei eure Haltung?

Ich weiss es nicht. Ich habe sie auch nicht gefragt, sonst hätte sie vielleicht das Veto eingelegt - im übrigen ist der JLdU selbständig. Eine Reaktion habe ich bisher nicht erhalten.

Glaubst du, dass die Forderung der Armeeabschaffung heute selbstverständlich ist?

Nein. Die SchweizerInnen haben Respekt vor diesem Thema. Das sieht man daran, dass sich so viele durch die Diskussionen um die Schweiz im Zweiten Weltkrieg angegriffen fühlen. Aber ich glaube, die Bedrohung im Zweiten Weltkrieg zieht als Argument nicht mehr.

Du hast vermutlich schon davon gehört, dass die GSoA plant, im nächsten Frühling eine Armeeabschaffungsinitiative zu lancieren. Wie stellst du dich dazu?

Persönlich gefällt mir die Initiative. Junge Leute können sich immer mehr mit dem Gedanken der Armeeabschaffung anfreunden. Ich könnte mir vorstellen, dass die Initiative mehr Stimmen macht als das letzte Mal, obwohl die Opposition dagegen wieder sehr heftig sein wird. Das Arbeitsplatzargument wird sicher eine grosse Rolle spielen. Die Arbeitsplätze, welche die Armee garantiert, bringen jedoch längst nicht so viel Geld, wie sie kosten. Die Konversion von Armeebetrieben muss gefördert werden.

Was meinst du zur zweiten Initiative, die einen zivilen Friedensdienst vorschlägt?

Ich finde sie gut. Dass der zivile Friedensdienst Konflikte auch präventiv bearbeiten will, finde ich sehr sinnvoll. Ausserdem bringt ein solcher Dienst auch jenen, die ihn leisten, persönlich etwas - viel mehr als ein paar Wochen im grünen Gwändli zu verbringen.

Angela, vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellten Catherine Wiedmer, Renate Schoch und Hans Hartmann.