Nicht sanieren, abschaffen!

Die Armee versucht sich neu zu legitimieren. Nationale Verteidigung gegen den Feid im Osten ist out. Sicherheit durch Kontrolle heisst die neue Doktrin. Das Problem Armee löst sich nicht von selbst. Auch wenn wir uns das noch so wünschen • Von Marco Tackenberg und Nico Lutz

Die GSoA steht vor einer Entscheidung. Hat sie die «verdienstvolle Aufgabe der Armee-Saniererin erfüllt» (SZ, 31.3.96), und soll sie sich auflösen? Das würde einigen so passen. Oder soll sie sich inskünftig um nichts weniger als die Folgen der Globalisierung kümmern? Das meinen andere. Tatsache ist: Die sicherheitspolitische Antwort auf die fundamental veränderte Lage, die mit dem Fall der Berliner Mauer begann, steht noch aus. Es ist fast schon banal: Der Schweizer Armee ist der Feind verlorengegangen. Kriegszustand herrscht höchstens im Departement ‹Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport›.

Sollen wir zuwarten, bis Milizfundis, Neutralitätsfetischisten und Nato-Euphoriker zu einem helvetischen Konsens der sicherheitspolitischen Dreifaltigkeit gefunden haben? Man kann es drehen und wenden wie man will: Obwohl «jede Aussicht auf einen grossen europäischen Krieg fehlt» (Kurt R. Spillmann, ETH-Zürich), steckt mit Ausnahme Norwegens kein Land Europas einen grösseren Anteil seines Budgets in die Rüstung. Während 200’000 Menschen zwischen Genf und Romanshorn ohne Arbeit sind, leistet sich die Schweiz ein Heer, welches mehr als doppelt so viele Soldaten umfasst wie Dänemark (33'000), Belgien (47'000), Portugal (54'000) und Schweden (64'000) zusammen!

Mehr als Geld

So berechtigt die Frage nach den Kosten des Militärs ist, sie stand für die GSoA nie im Vordergrund. Es geht uns um mehr. Es geht um die Fragen, welche Sicherheit wir wollen und wie diese Sicherheit zu haben ist. Die Antwort der Armee ist klar: Sicherheit und Frieden für jede Lebenslage ist unsere Armeeaufgabe.

Die alte Leier von der Armee, welche die Bevölkerung vor fremden Militärs schützt, provoziert höchstens noch ein müdes Lächeln. Darum spricht sie heute vielmehr von Öffnung gegenüber der Welt, von Frieden und internationalem Engagement. ‹Solidarität› ist das neue Zauberwort der Militärstrategen. Mit ‹Solidarität› sollen neue professionelle Einheiten für die Armee begründet werden. Denn innerhalb von Stunden müsse die Armee ready sein, irgendwo auf der Welt Frieden zu schaffen. Ist das die Solidarität, die wir meinen? Was uns als Akt selbstloser Menschlichkeit verkauft wird, verweist bereits im Ansatz auf ein falsches Konzept: Irgendwo auf der Welt gibt es einen bewaffneten Konflikt. Die Armee fährt hin und löst das Problem. Frieden als Resultat eines ‹chirurgischen Eingriffs›. Sicherheit durch Abschreckung ist Schnee von gestern, weil der böse Feind im Osten zusammengebrochen ist. Sicherheit durch Kontrolle wird zur neuen Doktrin.

Wollen wir die Armee durch die Passivität der Friedensbewegung sanieren helfen? Wollen wir, dass uns selbsternannte Armeereformer die Kampfwertsteigerung der M-109 Panzerhaubitzen als Akt der internationalen Solidarität - auch in Sarajevo braucht es schliesslich schwere Waffen - verkaufen? Während das traditionalistische Neutralitätsbild erodiert, planen die Armee-Technokraten im Nato-Vorzimmer «Partnerschaft für den Frieden» bereits die Militarisierung des europäischen Integrationsprozesses. Und nennen das «Solidarität mit Europa».

Verantwortung statt Gehorsam

Die Armee ist keine Institution wie jede andere. Noch immer verlangt sie von jedem Soldaten die Bereitschaft, für das ‹Vaterland› zu sterben. Sie kommt nicht aus ohne Autoritätsstrukturen, ohne Unterwerfung und Befehlsgehorsam. So gehört die Armee zu den letzten Bastionen der Tugenden, welche man einst als ‹männlich› rühmte. In der Rekrutenschule erlernen junge Männer die Einordnung in ein hierarchisches System, in welchem statt der persönlichen Verantwortung dem eigenen Gewissen gegenüber die Verpflichtung gegenüber der Institution Armee gilt (Paul Parin). Und als selbstverständlich vermittelt die Armee, dass der Einsatz von Gewalt unausweichlich ist, wenn andere Mittel versagen.

«Gehorsam statt Verantwortung» und «Gewalt als Zauberstab» sind falsche Konzepte, die dringend notwendige gesellschaftliche Entwicklungen behindern, wenn nicht verunmöglichen. Wie sollen wir eine gesellschaftliche Ächtung von Diskriminierung und Gewalt gegenüber Frauen erreichen, wenn im Männerbund Armee Gewalt als letztes Mittel zur Verteidigung eigener Interessen eingeübt wird? Wie können wir mehr Menschen in die Verantwortung für die Zukunft dieser Gesellschaft einbinden, wenn die Armee den jungen Männern predigt: «Nicht mitdenken, sondern gehorchen»? Nein, so geht das nicht!

Chance nutzen

Wenn wir im nächsten Jahr Initiativen für eine Schweiz ohne Armee und für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst lancieren, dann darum, weil wir wenig Vertrauen in die Strategie «Abwarten und Teetrinken» haben. Wir wollen das Nachdenken nicht an eine Studienkommission delegieren. Vertrauen in die Demokratie setzt Vertrauen in gesellschaftliche Denkprozesse voraus.

Mit der Lancierung einer Volksinitiative kann die GSoA «Denk-Räume» schaffen. Wir wollen eine öffentliche Diskussion über die Frage, welche Instrumentarien wir zur Lösung aktueller Probleme brauchen. Zu hoffen, dass ausgerechnet die Armee die richtigen Antworten auf diese Frage findet, ist mehr als naiv. Es geht darum, die Armee wirklich dorthin zu stellen, wo sie hingehört: zum alten Eisen. Und nicht baff zuzuschauen, wie sich das Militär den neuen Rostschutzanstrich für die nächsten zehn Jahre verpasst.