Randnotiz

«…erkämpft das Menschenrecht»

50 Jahre allgemeine Erklärung der Menschenrechte – Empfang mit Cüpli, der Herr Bundesrat hält die Festrede. Die Schweiz ist weder Algerien noch China. Oppositionelle Demonstrationen werden hier nicht auf öffentlichen Plätzen zusammengeschossen, die Regierung ist frei gewählt. Hier gibt es sogar Volksrechte und die Gerichte sind unabhängig. Gesundheit, wir stossen an und lassen eine Träne kullern für die Unterdrückten der Welt, die wir leider nicht alle hier aufnehmen können. Sind die Menschenrechte noch mehr als eine freundliche Legitimationslüge?

Eines ist sicher: Sie sind derzeit kaum ein politisches Instrument der linken Innenpolitik. Allenfalls die Anwältlnnen, die nach Ausschöpfung sämtlicher innerstaatlicher Rechtsmittel «nach Strassburg gehen», also Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einreichen, benutzen die Europäische Menschenrechtskonvention. In der innenpolitischen Arena spielen sie allenfalls eine Rolle, wenn es um die Rechte von Flüchtlingen geht, also um Personen, die aus repressiven Regimes in die Schweiz kommen, um hier Zuflucht zu suchen.

Die Linke wäre gut beraten, sich die Menschenrechte politisch wieder anzueignen und auf ihre Fahnen zu schreiben. Dafür gibt es Gründe genug: die Tatsache etwa, dass immer mehr Personengruppen aus der Gesellschaft, insbesondere aus den Städten, ausgegrenzt werden – angefangen bei den Flüchtlingen und Migrantlnnen über die Drogenabhängigen bis hin zu den Arbeitslosen und Armen. Weiter: die fehlende Demokratisierung des wirtschaftlichen Bereichs; die Verstopfung der politischen Kanäle nicht nur des Parlamentarismus, sondern auch der direkten Demokratie; Bürokratisierung und fehlende politische Kontrolle der Exekutive … Hier geht es um Freiheit und Gleichheit, um substantielle Demokratie, mit anderen Worten: um eine Politik, die den Kern der Menschenrechte ernst nimmt.

Bei aller Bereitschaft, mit den Menschenrechten Politik zu machen, ist festzuhalten, dass deren traditionelle Konzepte nur noch bedingt greifen. Der Nationalstaat, in dem herkömmlich die Rechte der Bürger (und später auch der Bürgerinnen) gewährleistet werden sollten, ist angesichts der wirtschaftlichen Globalisierung und der politischen Internationalisierung zu klein geworden. Und selbst in ihrem klassischen Bereich, dem Schutz der Privatsphäre gegen staatliche Übergriffe, sind die Menschenrechte in ihrer kodifizierten Fassung technisch und sozial überholt: Wenn die freiwillige Preisgabe intimster Informationen die Voraussetzung für noch so geringe staatliche Leistungen ist, reicht der Schutz vor zwangsweiser Ausforschung der Privatsphäre nicht mehr. Wenn Persönlichkeitsprofile erstellt werden können und die Kommunikation durch die eigenen vier Wände hindurch – sofern man solche hat – abgehört werden kann, ist die Unverletzlichkeit der Wohnung zu wenig.

Statt der diesjährigen Festreden sind neue, radikale Diskussionen angesagt, um den utopischen Kern der Menschenrechte zu reaktivieren. Realpolitik muss hier auf Dauer versagen.

 

Heiner Busch ist Politologe und Mitherausgeber der Berliner Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei. Mehr zum Thema ist von ihm zu lesen im Widerspruch 35, Juli 1998: Keine Linke ohne Menschenrechtspolitik. Über ein vernachlässigtes politisches Projekt (Fr. 21.–, im Buchhandel oder über Tel./Fax 01 273 03 02).

 

 

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