Weichgebombt

Nun haben sie den Despoten also doch besiegt! „Die Doppelstrategie der Nato ,Bombardieren und gleichzeitig Verhandeln, hat zum Erfolg geführt”, sagte die Tagesschau von SF DRS, nachdem Milosevic dem G-8-Plan zugestimmt hatte; „Milosevic weichgebombt” hiess das in Blick-Sprache. Das erste Mal in der Geschichte, sagen Strategieexperten, sei ein Krieg ausschliesslich aus der Luft gewonnen worden.

Nur: Wer hat gesiegt? Und was wurde gewonnen? Nach der Katastrophe der „ethnischen Säuberung” des Kosovo, nach der Zerstörung des Landes durch den Krieg, bietet der G-8-Plan wenig, das den Namen „Frieden” verdiente. Dass die U«K wie vorgesehen die Waffen abgibt, ist unwahrscheinlich. Die serbischen Kräfte ziehen sich zurück, behalten aber die Waffen. Montenegro steht nach wie vor am Rande eines Bürgerkriegs. Die Mitglieder der Kfor-“Friedenstruppen” sind sich uneins. Die serbischen BewohnerInnen des Kosovo flüchten.

Feststimmung herrscht in Brüssel, und das serbische Staatsfernsehen verkündet den Sieg. Die Nato hat ihre Position in der Weltpolitik gefestigt, und Milosevic ist nach wie vor an der Macht. Natürlich sind die AlbanerInnen in den Flüchtlingslagern erleichtert, der grösste Horror ist vorbei. Doch ein Friede, ein friedliches Zusammenleben von AlbanerInnen, SerbInnen und anderen Ethnien im Kosovo, funktionierende zivilgesellschaftliche Strukturen in Serbien und im Kosovo sind weiter entfernt als noch vor den Bombardierungen. Ob sich die Nato-Länder auch dann noch für die Rückkehr der Flüchtlinge interessieren werden, wenn CNN bereits am nächsten heissen Ort ist, wird sich zeigen. Die Flüchtlinge aus den Kriegen in Bosnien und Kroatien jedenfalls sind heute weitgehend vergessen.
In den ersten Wochen des Nato-Kriegs hat der deutsche Verteidigungsminister Scharping gesagt: „Wenn die Nato nicht bombardiert hätte, hätten wir jetzt eine Situation und eine Frage. Die Situation wäre: Alle Albaner im Kosovo wären vertrieben. Und die Frage: Wieso habt ihr nichts getan?” Ob alle AlbanerInnen vertrieben wären, wenn die Nato nicht gebombt hätte, kann niemand wissen. Sicher aber ist: Jetzt haben wir genau diese Situation. Und die Nato hat wenigstens eine Antwort auf die Frage.

Die Nato hat die Massenvertreibungen nicht verursacht. Aber sie hat sie nicht stoppen können. Sie hat sie vielmehr noch angeheizt. Die Frage muss sich der Westen auch so gefallen lassen: Warum habt ihr nichts getan, bis es zu spät war? Es hiess, Milosevic verstehe nur die Sprache der Gewalt. Das Gleiche kann man der “Friedenstruppe” vorwerfen: Sie hat das Kosovoproblem nicht zur Kenntnis genommen, solange die AlbanerInnen gegen ihre Unterdrückung gewaltfrei Widerstand leisteten. Erst, als die Gewalt offen ausgebrochen war, reagierten die Nato-Staaten. Eingefallen ist der Nato nur, ihrerseits mit Gewalt zu drohen, bis sie sich Ende März entscheiden musste, die Glaubwürdigkeit zu verlieren oder zu bomben. Nena Skopljanac zeigt in ihrem Artikel auf den Seiten 4 und 5 dieser GSoA-Zitig, wo die internationale Gemeinschaft es verpasst hat zu handeln.

Es heisst, dieser Krieg sei der erste, der um der Menschenrechte Willen geführt worden sei. Wenn das so wäre: Wieso denn haben die Nato-Staaten keine Massnahmen getroffen, um den Vertriebenen von Anfang an helfen zu können? Wieso setzten sie Waffen wie Clusterbomben und urangehärtete Geschosse ein, die das Leben im Kosovo und in Jugoslawien nachhaltig beeinträchtigen? Offensichtliche strategische oder wirtschaftliche Interessen – wie seinerzeit das Öl in Kuweit – gibt es im Kosovo für den Westen nicht. Was, wenn nicht die Hilfe, waren die Interessen der Nato? Die Nato hat auf dem Amselfeld gezeigt, wer in der Welt für Ordnung sorgt. Sie hat die Uno desavouiert. „Selbstmandatierung” nennt sie diese Art, ihr Faustrecht über Völkerrecht zu stellen. Für die Entwicklung einer Rechtsordnung für unsere Welt ist dieser Schritt verheerend.

Der Krieg hat Milliarden gekostet, der angerichtete Schaden nicht mitgerechnet. Der Aufbau einer demokratischen Zivilgesellschaft ist dem Westen nie annähernd so viel wert gewesen. Einmal mehr wurde deutlich, wie in der Weltpolitik gerechnet wird. Für zivile Konfliktintervention fehlt das Geld, fehlen – auf Regierungsebene – die Ideen. Im Krieg hingegen sind Fragen nach den Kosten unanständig, denn man kämpft gegen das Böse schlechthin.
Die Schweiz als Nicht-Nato-Mitglied funktioniert in dieser Logik. Zwar leistet sie durchaus Hilfe, mit ihrem – umstrittenen – „Focus”-Projekt gar Pionierarbeit. Doch am eifrigsten unter den Departementen zeigt sich Ogis VBS. Etwas vom Dringlichsten schien dem Bundesrat nun die Bewaffnung der Schweizer Soldaten im Ausland zu sein (siehe unseren Beitrag auf Seite 8). Und innenpolitisch werden ausserordentliche Massnahmen ergriffen, nicht, um den Flüchtlingen in der Schweiz möglichst gut helfen zu können, sondern, um sie möglichst effizient abzuschrecken.

Die GSoA versucht mit ihren beiden Initiativen, zivile Handlungsmöglichkeiten zu stärken. Damit auf die Frage eines Tages eine andere Antwort als Krieg denkbar sein wird. Es geht hier nicht darum, triumphierend zu sagen: Wir haben es schon immer gewusst. Lieber wäre es uns, wir müssten zugeben, wir hätten uns geirrt. Die Nato hätte Recht behalten; es wäre ihr gelungen, mit wenigen, chirurgisch präzisen militärischen Schlägen die Verbrechen zu stoppen und Friede in Kosovo zu erreichen.
Weil wir auch weiterhin nicht daran glauben, dass Friede herbeigebombt werden kann, werden wir weitersammeln. Nicht, weil wir mit unseren Initiativen die Antworten auf alle Fragen hätten. Aber weil sie einen Schritt in die Richtung sind, von der wir überzeugt sind, dass sie der einzige gangbare Weg ist.

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