Funktionaler Analphabetismus

Der Grosse Beglaubiger, unsere Datenbank, die jeden Unterschriftenbogen registriert, um uns die Übersicht über unsere Sammelkampagne zu gewähren, ist ein unsympathisches Programm. Längst haben wir über 100’000 Unterschriften gesammelt, doch der Grosse Beglaubiger lässt keine Feststimmung aufkommen: Unbestechlich korrigiert er unseren Sammelstand wegen dem dauernd steigenden Anteil an ungültigen Unterschriften nach unten, gnadenlos schreibt er längst überfällige (und wahrscheinlich von verwirrten Pöstlern oder arbeitsscheuen Gemeindeangestellten gekidnappte) Bögen ab, und stoisch kalkuliert er die Ausfälle ein, die bei der letzten Beglaubigungs-Aktion wegen der Schlamperei in etlichen Gemeindestuben zu erwarten sind. Seit neuestem berücksichtigt der Grosse Beglaubiger sogar das abschliessende Streichkonzert auf der Bundeskanzlei und sagt so das zu erwartende „amtliche Endergebnis” voraus. Dieses liegt, wer hätte es gedacht, immer noch unter 100’000 gültigen Unterschriften. Tja, logisch, sonst könnten wir jetzt ja aufhören mit Sammeln.

Vertrauen ist schlecht…
Man mag über den Grossen Beglaubiger lästern, aber er hat auch seine Vorteile. Zum Beispiel macht es eine gute Gattung, wenn wir unseren Bögen auf dem Weg durch den Bürokratendschungel einen hübschen Begleitbrief mitgeben, der nicht nur eine detaillierte Bedienungsanleitung für die UnterschriftenbeglaubigerInnen enthält, sondern auch die Registriernummern der einzelnen Bögen nebst Total der darinnen gesammelten Unterschriften. Für unsere – immer auf grösstmögliche Arbeitsökonomie bedachten – Gemeindeverwaltungen ist so viel Seriosität natürlich eine Einladung dazu, das lästige Zählen der Unterschriften unauffällig zu überspringen und zuhanden der Bundeskanzlei einfach die ungültigen Unterschriften vom mitgelieferten GSoA-Sammeltotal zu subtrahieren.
Bei unserem letzten Beglaubigungs-Versand ist nun dem Grossen Beglaubiger ein kleiner Fehler unterlaufen: Das Sammeltotal für die ZFD-Initiative war für verschiedene Gemeinden nicht korrekt. Jetzt stehen die faulen Unterschriftenzähler schön blöd da: Dass z.B. Kreuzlingen falsch liegt, wo das Arbeitsamt das Unterschriftenzählen offenbar im Rahmen von Beschäftigungsprogrammen abwickelt, ist ja noch nachvollziehbar. Aber warum davon abgesehen nur Basellandschäftler Gemeindeangestellte (allen voran Arlesheim, Birsfelden und Bottmingen) so vertrauensseelig sind, bleibt schleierhaft.
Für die GSoA hat sich die Sache allerdings auch nicht gelohnt: Der Grosse Beglaubiger hat sich nämlich zu unseren Ungunsten verrechnet, so dass wir den fehlbaren Gemeinden die Unterschriftenbögen mit Bitte um Korrekur retournieren mussten. Wir haben jetzt beim Grossen Beglaubiger angeregt, sich auch einmal zu unserem Vorteil zu irren.

… Kontrolle noch schlechter
Von den Gemeindeverwaltungen dürfen wir selbiges nämlich nicht erwarten. Ganz im Gegenteil greifen diese gegen Ende der Sammelfrist zu immer radikaleren Methoden, um die Quote der gültigen Unterschriften zu drücken. In Thalwil etwa wird das Stimmrechtalter 18 besonders eng ausgelegt und nur die Unterschrift von StimmbürgerInnen akzeptiert, die bei Beginn unserer Sammelkampagne schon 18 waren. Das führt dazu, dass auch die Unterschrift von 19jährigen „wg.Geb.Dat.” für ungültig erklärt wird. Selbst ein formeller Protest unsererseits und ein mea culpa des zuständigen Gemeindeschreibers änderte daran letztlich nichts. Thalwiler Jugend wehre dich!
Den grössten Vogel abgeschossen hat im Beglaubigungssommer 1999 allerdings die Stimmregisterzentrale im Bevölkerungsamt der Stadt Zürich. Nachdem unlängst der langjährige Doyen des Unterschriftenzählens, Herr Eggspühler, pensioniert worden ist, scheint sich dort der funktionale Analphabetismus eingenistet zu haben: Nicht weniger als 84 Unterschriften haben die Zürcher bei der letzten Beglaubigung als „unleserlich” ausgeschieden. Kein Wunder, waren alles in allem fast 30 Prozent der Zürcher Unterschriften ungültig. Wenn wir dereinst unsere Initiativen eingereicht haben, dürfen sich die zuständigen Beamten etwas von der GSoA wünschen: wahlweise eine Lupe, eine Twix-Tel-CD oder ein Lesekurs für AnfängerInnen.

Oder soll doch die SVP, der neuerdings so viel an der Direkten Demokratie liegt, eine Initiative lancieren, die Inkompetenz bei der Unterschriftenbeglaubigung verbietet.