Nebel mit gewissen Aufhellungen

Nach Jahren der Orientierungslosigkeit hat das VBS einen klaren Richtungsentscheid getroffen. Die Armee marschiert Richtung Nato und Euro-Militarismus. Ein Rückblick auf ein Jahrzehnt des sicherheitspolitischen Umbruchs

Vor drei Jahren, im September 1996, schrieb ich an dieser Stelle einen Artikel über die Einsetzung der strategischen Studienkomission “Brunner” durch Adolf Ogi und die bevorstehende Entscheidung über einen Beitritt der Schweiz zum Nato-Partnerschafts-Abkommen PfP. Darin behauptete ich Folgendes: Das Militärdepartement bewege sich in einem “Spannungsfeld zwischen zwei sich wechselseitig ausschliessenden Optionen”. Die eine Seite wolle um jeden Preis an der nationalen Abschottungsideologie der geistigen Landesverteidigung festhalten, selbst wenn die Armee dadurch allmählich jegliche Plausibilität verlieren würde. Das andere Lager hingegen kümmere sich nicht mehr um “Neutralität, Miliz und ähnlichen ideologischen Plunder”, sondern um glaubwürdige Einsatzszenarien. Diese wiederum seien “ohne Professionalisierung und ohne Einbindung in eine Verteidigungsallianz des Nordens nicht zu haben”. Da Armeeführung und Landesregierung, so behauptete ich, sich zwischen diesen Optionen nicht entscheiden wollten und sich stattdessen “hinter einem Nebel von diffusen Bedrohungsbildern, Sicherheitsversprechen und Zauberwörtern wie Multifunktionalität und Subisidiarität” versteckten, werfe ihnen die NZZ nicht zu Unrecht “operative Konzeptlosigkeit” vor. Meine damalige Prognose: “Die Nebeldecke droht sich zu verdichten”.
Analyse richtig, Prognose falsch so ist die damalige Einschätzung aus einigem zeitlichen Abstand zu beurteilen.

Zerbrochener Konsens
Zuerst ein kurzer analytischer Rückblick. Die geopolitischen Umwälzungen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre und das glückliche Ende des Kalten Krieges setzten auch die Schweizer Armee unter einen ungeheuren Reformdruck. Doch an einem fahrenden Wagen wechselt man kein Rad: Erst nach der Abstimmung über die Initiative für eine Schweiz ohne Armee konnte die ideologische Modernisierung des helvetischen Militarismus beginnen. Ein erster Schritt dazu war der vom damaligen Divisionär Gustav Däniker verfasste, vom Bundesrat abgesegnete und im Oktober 1990 veröffentlichte “Bericht 90”, der die sicherheitspolitische Perspektiven neu zeichnete. Darin erhielten bislang untergeordnete Aspekte des militärischen Aufgabenspektrums ein weit grösseres Gewicht: der “Ordnungsdienst”, die “Existenzsicherung”, also die Bewältigung von “ausserordentlichen Lagen” durch die Armee, und der Beitrag zur internationalen Friedensförderung.
Natürlich sollte die Armee, so dachten damals zumindest EMD und bürgerliche Sicherheitspolitiker, weiterhin die bewaffnete Landesverteidigung sicherstellen. Das neue Konzept war ein “Sowohl-als-Auch”: sowohl bewaffnete Neutralität als auch Reform und neue Armee-Aufgaben. In den folgenden Jahren entbrannte dann der politische Kampf um die Gewichtung dieser beiden Elemente. Schon im Juni 1991 beklagte der damalige Verteidigungsminister Kaspar Villiger vor der Delegiertenversammlung der Schweizerischen Offiziersgesellschaft (SOG): “Es mehren sich die Anzeichen, dass sich auch innerhalb der Armeebefürworter relativ unversöhnliche Gruppen zu bilden beginnen, zwischen denen es schwierig ist, einen Konsens zu finden.”
Der Konsens wurde denn auch nie mehr gefunden. In einer ersten Phase vermied das Militärdepartement aber Konfrontationen. Es verzichtete darauf, einen ideologisch offensiven Reformkurs zu fahren zuerst wegen der F/A-18-Abstimmung 1993 und dann wegen der Niederlage bei der Blauhelmabstimmung 1994. Eine kurze Öffnungsinitiative zwischen diesen Stichdaten Villiger forderte im November 1993 eine ´Normalisierung der Beziehungen zur Nato und zur WEUª, Däniker die “solidarische Teilnahme der Schweiz an der Stabilisierung von Konfliktherden” musste abgeblasen werden. Stattdessen suchte das EMD nach immer neuen, für die Rechte ideologisch unverdächtigen Einsatzmöglichkeiten für die orientierungslose Armee. Man erfand die “Assistenzdienste”, versuchte militärische Einheiten abwechslungsweise als Hilfspolizei, Katastrophenhilfe oder bei der Migrationsbekämpfung zu positionieren und führte im übrigen einen rein technischen Reformdiskurs über Bestandesgrössen, Umgangsformen und wirtschaftskompatiblere Dienstmodelle.

Die Ära Ogi
Das war die Situation bis Ende 1995, als Adolf Ogi, wahrscheinlich der meistunterschätzte Bundesrat der Weltgeschichte (so auch im zu Beginn erwähnten Leitartikel der NZZ), ins EMD wechselte. Ogi verpasste seinem Departement einen neuen Namen, er trimmte das neue VBS und Armeespitzen auf seinen “Öffnungskurs”, startete eine neue Armee-Leitbild-Diskussion und erwischte mit dem Beitritt der Schweiz zur Nato-Partnerschaft Ende September 96 zwei Fliegen auf einen Schlag. PfPª (und Folgeprogramme) war erstens das nicht referendumsgefährdete Einfallstor zur militaristischen Öffnungspolitik; zweitens boten und bieten die PfP-Programme immer mehr ambitiösen Offizieren einen vernünftige Berufsperspektive: In der Gotthard-Festung gibt es heute keinen Blumentopf mehr zu gewinnen Ruhm und Ehre warten auf den “Amselfeldern” aller Länder.
So hat sich der sicherheitspolitische Nebel, den Armee und Militärpolitiker jahrelang über die zerstrittene Front der ehemaligen Kalten Krieger legte, langsam gelichtet. VBS-intern und in der Armeespitze ist der militaristische Öffnungskurs inzwischen unbestritten. Auch im Offizierskorps gibt es dagegen keinen Widerstand höchstens noch ein wenig Vorsicht. Im letzten Juni mahnte die SOG, ein zu forsches Vorgehen bei der Frage der bewaffneten Auslandeinsätze “drohe im Fiasko einer zweiten Blauhelmabstimmung zu enden”.

Klarer Richtungsentscheid
Dennoch: Der Richtungsentscheid ist eindeutig. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens Ressourcenknappheit und zweitens die Notwendigkeit konzeptioneller Kohärenz. Spezifische sicherheitspolitische Modelle bedingen spezifische Rüstungs- und Ausbildungsprogramme, und diese wiederum verschlingen immer knappere Ressourcen, konkret: Geld und Miliz-Offiziere. 1998 liessen sich statt der benötigten 1800 Leutnants gerade noch 1162 rekrutieren. Diese notorische Offiziersknappheit schränkt den Experimentierspielraum der Armee drastisch ein. Klare Perspektiven und Prioritäten sind auch bei Rüstungsentscheiden gefragt.
Zweitens ist nicht absehbar, wie sich die Schweizer Armee als Kampftruppe langfristig legitimieren soll, wenn nicht über die Integration in internationale “Friedenseinsätze” jeglicher Art. Militärs mit verschiedenen politischen Präferenzen können sich neuerdings wieder auf einen altbewährten gemeinsamen Nenner verständigen: Auf die “Rückbesinnung auf die militärische Kernkompetenz”, wie sie etwa der SVP-nahe Korpskommandant Ulrico Hess in diesem Sommer forderte (NZZ, 9.7.99). Die Fähigkeit zur Kriegsführung sei, so Hess, gerade auch für “Truppen, die im Ausland zum Einsatz kommen”, wichtig, und weiter: Armeeangehörige, die im Ausland ohne Waffen antreten würden, seien letztlich unglaubwürdig. Hier trifft sich der konservative Führungsoffizier Hess mit dem Reformpolitiker Ogi, aber auch mit einem traditionalistischen Bataillonskommandanten uund Generalstabsoffizier, der (in der NZZ vom 18.6.99), den Schwerpunkt wieder bei den “Kampfverbänden” beziehungsweise “Kriegsverhinderung und Verteidigung” setzen will, denn: “Die Betonung der Friedensförderung (…) ist als solche nicht in Zweifel zu ziehen. Problematisch ist allerdings, wenn für solche Aufgaben nicht dafür prädestinierte Truppen eingesetzt werden.”
Vom Tisch ist dagegen die während einigen Jahren forcierte und auch von der GSoA heftig kritisierte Tendenz, die Armee “multifunktional” für alle möglichen zivilen Aufgaben einzusetzen. Dagegen läuft zur Zeit sogar eine veritable Kampagne. Die SOG beklagt sich, die Armee werde “als billiges Instrument zu allen möglichen Dienstleistungen gerufen” und müsse daher zu oft die Ausbildung vernachlässigen. Auch Offiziersblätter wie die ASMZ wenden sich im Editorial plötzlich gegen die neuen Armee-Aufgaben (siehe ASMZ, 9/99). Der FDP-Nationalrat Erich Müller bezeichnet ebenda den Ruf nach einem Einsatz der Armee an der Grenze als “unsinnige” Forderung von “Extremisten”. In der NZZ kritisieren Offiziere wie Ulrico Hess, aber auch Militärredaktor Bruno Lezzi, der Ruf nach der Truppe erfolge viel “zu rasch”, die Aufrechterhaltung der “inneren Sicherheit” müsse Aufgabe der Polizei bleiben, der Beizug der Armee sei “auf Grund der Vielschichtigkeit der Problematik nicht erstrebenswert”: Kurz “Es kann nicht angehen, dass die Armee die Ausbildung in ihren Hauptaufgaben vernachlässigen muss, um zivile Aufgaben zu übernehmen” (NZZ vom 18.6.99).
Während sich die Militärs also auf eine neue Linie geeinigt haben “Mehr Kampfkraft plus Auslandeinsätze” haben sich die ideologischen Konservativen im Umfeld von SVP und Auns aus der militärischen Diskussion verabschiedet. Sie beharren auf dem inzwischen ziemlich abstrakten Selbstverständnis der geistigen Landesverteidigung. Ob die Armee damit noch genügend Plausibilität, Legitimität und also Geld erhält, um ihre teuren Waffen und Ausbildungsprogramme durchzuziehen, scheint diesen Kreisen schnuppe zu sein. “Unabhängigkeit” ist halt auch für diese Nationalkonservativen nicht mehr in erster Linie eine militärische Frage.
Die Ausgangslage für die kommenden sicherheitspolitischen Entscheide ist also klar viel klarer wohl als je zuvor im vergangenen Jahrzehnt. Daran ändert auch der Rechtsrutsch bei den Parlamentswahlen nichts. Bleibt noch die wichtige Frage nach der Position der friedenspolitisch engagierten Linken: Lesen Sie regelmässig die GSoA-Zitig, wenn Sie darüber mehr erfahren wollen.

, ,