Präventiv und gewaltfrei

Anlässlich der Einreichung unserer neuen Initiativen am 10. September 1999 fand in Bern eine Medienkonferenz statt, an der VertreterInnen der GSoA und unterstützender Organisationen noch einmal klarstellten, was mit den Initiativen bezweckt wird. Die GSoA-Zitig veröffentlicht einige Voten.


Regine Aeppli, Nationalrätin SP, und Präsidentin des Schweizerischen ArbeiterInnenhilfswerks SAH:

Das SAH gehört zu den Organisationen, die die Initiative ´für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienstª unterstützt. (Die Zweitauflage der Armeeabschaffungsinitiative unterstützen wir hingegen nicht, weil die Abschaffung der Armee nicht zu unserem Kerngeschäft gehört.)

Erfolg oder Misserfolg von Volksinitiativen sind sehr oft davon abhängig, ob sie in Ereignisse eingebettet sind, die bei den Stimmberechtigten den Eindruck erwecken, dass Handlungsbedarf vorliegt. Das Zusammentreffen ist ein Glücksfall, der Misserfolg oft das Ergebnis institutioneller Hinhaltetaktik. Beides ist Bestandteil des Politikgeschäfts.

Vom Krieg im Kosovo als einem Ereignis zu sprechen, wäre zynisch. Der Krieg im Kosovo ist auch kein Einzelfall. Praktisch jedes Jahr in den letzten 20 Jahren gab es irgendwo auf der Welt einen oder mehrere Konflikte, die am Kulminationspunkt der Eskalation mit Gewalt ausgetragen wurden (Sri Lanka, Libanon, Algerien, Ruanda, zur Zeit Osttimor). Sehr häufig waren und sind die Opfer der Gewalt Angehörige religiöser oder ethnischer Minderheiten, auf deren Situation die Weltöffentlichkeit und die internationale Gemeinschaft erst reagiert, wenn die Waffen sprechen. Die Konflikte haben alle eine Geschichte, in deren Verlauf es immer wieder Chancen zu einer gewaltfreien ñ oder wenigstens gewaltfreieren ñ Konfliktlösung gegeben hätte.

Vor der Haustür

Der Krieg im Kosovo ist für das Bewusstsein der schweizerischen Bevölkerung insofern von besonderer Bedeutung, weil er praktisch vor unserer Haustüre stattgefunden hat, und weil uns sowohl mit den Tätern wie mit den Opfern eine gemeinsame Geschichte verbindet: die Geschichte der europäischen Arbeitsmigration seit dem zweiten Weltkrieg. Der Krieg hat uns bewusst gemacht, dass eine Politik, die einseitig auf kurzfristige nationale Interessen setzt, uns mittelfristig mit Konsequenzen und Folgekosten konfrontiert, die den Aufwand für eine aktive Friedens- und Aussenpolitik um ein Vielfaches übersteigen. Wer nicht völlig verbohrt oder grenzenlosem Zynismus verfallen ist, musste spätestens während oder nach diesem Krieg erkennen, dass die Mittel der Innenpolitik gegenüber solchen Entwicklungen völlig unbehelflich sind.

Die EU, welche ihre Migrationspolitik jahrelang auf Abschottung (´Festung Europaª) gerichtet hatte, begann diese Erkenntnis sogleich umzusetzen, indem sie einen Stabilitätspakt gründete. Sein Zweck deckt sich grundsätzlich mit den Absichten der ZFD-Initiative. Die politischen Bemühungen und Energien sollen verstärkt in die Gewaltprävention und die gewaltfreie Konfliktbewältigung investiert werden. Die Schweiz hat sich dem Stabilitätspakt angeschlossen und arbeitet aktiv darin mit.

Die Initiative ist aber nicht nur dem Frieden in Europa und der von Eigeninteressen bestimmten politischen Stabilisierung der Verhältnisse in unserer Weltgegend verpflichtet. Sie hat eine übergeordnete ideelle Zielsetzung. Sie will der nachhaltigen Umsetzung der Menschenrechte auf der ganzen Welt zum Durchbruch verhelfen. Sie ist getragen von der Überzeugung, dass Gewalt neue Gewalt sät und darum mit allen Mitteln vermieden werden soll.

Professionalität gefragt

Gleichzeitig ist sie geprägt von den Erfahrungen der unterstützenden Organisationen, dass es dafür mehr braucht als die Verbreitung der zehn Gebote und anderer übergeordneter ethischer Grundsätze. Es braucht dazu das Wissen der Konfliktforschung, und es braucht dazu die Fähigkeit, sich auf die spezifischen kulturellen Bedingungen, die in solchen Konflikten in Spannung geraten, einzulassen. Mit andern Worten: Es braucht nebst hohen menschlichen Qualitäten auch professionelle Fähigkeiten.

Die NGOs haben schon bisher einen wichtigen Beitrag in der Vermittlung zwischen Parteien am Ort des Konflikts geleistet, aber auch in der Innenpolitik als Seismographen für die nationale Aussenpolitik eine Rolle gespielt. Von den offiziellen Organen werden sie oft als Go-Between eingesetzt, wenn ein offizieller diplomatischer Einsatz politisch heikel ist. Manchmal verfügen sie über Beziehungen und Netze, die sie in der Entwicklungszusammenarbeit aufgebaut haben und dank der sie bei den Konfliktparteien das nötige Vertrauen geniessen, um zu vermitteln. Diese Rolle gehört aber nicht zu ihrem eigentlichen Pflichtenheft und auch nicht unbedingt zu ihren Kompetenzen.

Aus diesen und weiteren Gründen unterstützen deshalb Organisationen wie das Schweizerische Arbeiterhilfswerk, der Christliche Friedensdienst, Terre des Hommes, Centrale Sanitaire Suisse und weitere Hilfswerke, die international tätig sind, die Initiative.

Bindeglied

Ein ZFD, bestehend aus freiwilligen und gut ausgebildeten Personen, wäre das Bindeglied zwischen Entwicklungsorganisationen, Flüchtlingshilfswerken und den staatlichen Organen der Aussenpolitik. Mit einem solchen Dienst könnte die Schweiz dort einen Beitrag leisten, wo grosse und damit schwerfällige internationale Organisationen oft zu spät kommen oder ihr Einsatz der Politik zum Opfer fällt.

Es geht um die Schaffung eines zusätzlichen Instruments für die Beteiligung der Schweiz an der gewaltfreien Beilegung von Konflikten und der Umsetzung der vom Bundesrat angestrebten Menschenrechtspolitik.


Sicherheit durch Solidarität

eine feministische Perspektive

Der Christliche Friedensdienst (cfd) ist ein Hilfswerk und eine Friedensorganisation mit feministischer Ausrichtung. Seit der Idee der Lancierung der zwei Initiativen durch die GSoA vor vier Jahren haben wir den Prozess inhaltlich begleitet und feministische Kritik dort geübt, wo die Auseinandersetzung über geschlechterspezifische Auswirkungen von Militarismus, über die Zusammenhänge von Krieg, Militär, Gewalt und Geschlecht herauszukippen drohte.

Wir unterstützen die zwei Initiativen, weil wir die Ansicht der GSoA teilen, dass die Armee ein Sicherheitsrisiko ist und bleibt, auch wenn sie halbiert oder reformiert würde. Die Armee bietet Frauen keine Sicherheit vor Männergewalt, im Gegenteil: Sie verstärkt deren Ursachen, senkt die Schwelle zur Gewaltbereitschaft und fördert Gewaltverhältnisse, die unseren Zielen nach Frieden und Gerechtigkeit eindeutig entgegenlaufen. Auch die Suche nach einer neuen Legitimation und neuen Aufgabenfeldern für die Armee, wie es z.B. das neue Armeeleitbild und der Sicherheitsbericht 2000 vorschlagen, geht von einem falschen Konfliktverständnis aus: Sicherheit durch Kontrolle, mit der Armee haben wir es im Griff. Konflikte werden vor allem in militärischen Kategorien gesehen, die Politik kommt zu kurz.

Der Zivile Friedensdienst stellt für uns eine Alternative zur militärischen Symptombekämpfung dar. Nicht Armeen und Gewalt können Konflikte lösen, sondern nur ein langfristiges Engagement von Frauen und Männern, die Frieden im Sinne von sozialer Gerechtigkeit als Prozess verstehen.

Konflikte wird es immer geben. Der freiwillige ZFD kann nicht die Ursachen von Gewalt und Unfrieden beseitigen. Er kann hingegen alle Anstrengungen fördern, um Formen der nicht gewalttätigen Konfliktaustragung zu entwickeln. Der ZFD verbessert so die Möglichkeiten der Menschen, Konflikte politisch anzugehen und ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände zu nehmen.

Wir wollen aber mit einem ZFD keine Friedens-Rambos ausbilden. Ein ZFD, wie wir ihn uns vorstellen, muss auch die Grundlage für einen bewusst gewaltfreien Umgang zwischen Frauen und Männern schaffen. Wir sehen Sicherheit durch Solidarität gefasst ñ so wie es der Titel der Initiative meint: ´Solidarität schafft Sicherheit: Für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst (ZFD)ª. Es gilt immer zu fragen: Sicherheit für wen? Erst ein Sicherheitsbegriff, der weibliche Lebensrealitäten mit einschliesst, wird den Bedürfnissen aller gerecht.

Annette Hug, cfd


Deux initiatives pertinentes

Les 18 mois d’activité intense de récolte et de discussion avec la population, nous confirment la pertinence de nos initiatives: il y a une partie importante des citoyen-ne-s de ce pays qui contestent la nécessité de baser la politique de sécurité de la Suisse du 21ème siècle sur l’armée, même si celle-ci se réforme vers la ´OTAN-compatibilitéª et la professionnalisation d’une partie de ses effectifs.

Le sens ou le non-sens de la défense militaire est une question de fond que la commission Brunner et le rapport de politique de sécurité 2000 n’ont pas voulu traiter. Ce qui se passe actuellement au niveau des services de renseignement militaires est d’ailleurs significatif: ce n’est que maintenant, après l’éclatement du scandale Bellasi, qu’enfin on se pose aussi la question de fond, à savoir si l’on a vraiment besoin de cet instrument aux mains des militaires. Nous osons espérer que l’on prenne d’autant plus au sérieux les démandes des plus que 110’000 signataires de nos initiatives pour le développement d’une politique de sécurité civile et solidaire au lieu du renouveau de l’instrument militaire.

La guerre au Kosovo nous a montré l’actualité de nos initiatives: pendant la guerre, beaucoup plus de gens approchaient spontanément les stands de récolte, soit parce qu’ils étaient favorables ou parce qu’ils étaient contraires à l’intervention de l’OTAN, ou tout simplement parce qu’ils ressentaient le besoin de discuter sur ce qui se passait. La guerre n’a pas fait augmenter ou diminuer la proportion de gens qui signaient nos initiatives, en revanche elle accru l’attention du public pour les thèmes de la politique de sécurité et de la gestion des conflits. Là où des mobilisations contre la guerre se sont organisées, comme au Tessin avec le ´Comitato contro le guerreª, il y a eu aussi des nouvelles personnes qui ont participé à la récolte de signatures.

Enfin, le constat généralement admis sur le manque de soutien international aux forces qui úuvraient pour une solution non violente du conflit au Kosovo pendant les dix ans qui ont précédé la guerre, ce constat a aussi facilité le soutien à l’initiative pour un service civil volontaire pour la paix (SCP). Ce service permettrait à la Suisse de s’engager davantage dans des domaines comme la démocratisation, le respect des droits humains ou le soutien aux médias indépendants, pour réduire la spirale de la violence dans des conflits au lieu de l’attiser.

La grande majorité des signatures ont été récoltées directement par des militant-e-s du GSsA. Les organisations et partis qui soutiennent les initiatives ne se sont pas formellement engagés dans la récolte, mais plusieurs militant-e-s de ces organisations ont participé à des récoltes. Une large majorité des signatures ont été récoltées avec des stands dans la rue ou lors de fêtes et festivals. Nous avons récolté aussi devant les locaux de vote, mais avec la diffusion du vote par correspondance dans plusieurs cantons, ce moyen de récolte ne suffit de loin plus pour assurer l’aboutissement d’initiatives populaires. Au niveau des récoltes dans la rue, par exemple avec nos chariots mobiles, nous avons remarqué des grandes différences de traitement de la part des différentes polices municipales. Alors qu’à Genève nous n’avons jamais été inquiétés par la moindre remarque de la part d’un agent, à Lugano après dix minutes de récolte sur la Piazza della Riforma à l’occasion de ´Estival Jazzª j’ai été conduit au poste de police, d’où l’on m’a relâché qu’au bout de trois quarts d’heure et en échange de la promesse de ne plus essayer de récolter une seule signature sur la principale place publique de la ville.

Tobia Schnebli, GSsA Romandie et GSsE Tessin


Konflikte angehen statt Image polieren

Mit ihrer ersten Armeeabschaffungsinitiative stellte die GSoA in den 80er Jahren das Selbstverständnis der Schweiz zur Diskussion: Sie kritisierte ihre Neutralitäts- und Milizmythen und thematisierte die Absurdität militärischer Verteidigungskonzepte im Kalten Krieg.

Die Initiative für eine Schweiz ohne Armee, die wir heute einreichen, wurde in einem völlig veränderten politischen Umfeld entwickelt, lanciert und gesammelt. Keine einzige Armee in Europa bereitet sich heute auf einen Verteidigungskrieg vor. Das vorherrschende militärische Szenario ist vielmehr die weltweite Intervention in bewaffnete Konflikte je nach Interessenlage der intervenierenden Staaten oder Militärbündnissen. Auch die Schweizer Armee versucht, sich diesem Szenario anzuschliessen. Schweizer Soldaten sollen ñ laut geplantem Militärgesetz bald auch bewaffnet ñ in Konfliktgebieten eingesetzt werden. Und um das Image im eigenen Land zu polieren, schaufelt die Armee Schnee im Lawinenwinter und Sand im Überschwemmungsfrühling ñ egal wie teuer und ineffizient. Humanitärer Einsatz in Albanien, heimische Katastrophenhilfe und Flüchtlingsbetreuung: So präsentiert sich die Armee gern der Öffentlichkeit. Doch 98 Prozent der Ressourcen und Manntage werden immer noch für ein veraltetes Verteidigungsszenario verschleudert. Diese 98 Prozent wollen wir ersatzlos streichen, über den Rest wollen wir diskutieren.

Die paradoxe Logik der Argumentation aus dem VBS lautet: Die Schweiz ist militärisch nicht mehr bedroht ñ also schickt das VBS die Armee überall dort hin, wo sie wenigstens den Anschein von Nützlichkeit erwecken könnte. Zur Abwehr von aktuellen Bedrohungen sind ´nicht primär militärische Mittel nötigª, wie der Brunner-Bericht konstatiert, also wird die Armee auf die Bewältigung dieser Bedrohungen getrimmt.

Auf diese sicherheitspolitischen Slalomfahrten, aber auch auf internationale Entwicklungen antwortet unsere Initiative:

  1. Weit und breit ist kein Feind in Sicht ñ schaffen wir die Armee ab.

  2. Die zentrale Herausforderung heute sind gewaltsam ausgetragene Konflikte. In Absatz 2 stellen wir die bewaffnete Beteiligung der Schweiz zur Diskussion. Mit unserer Initiative für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst machen wir einen Vorschlag zur gewaltfreien Konfliktbearbeitung.

  3. Die Armee ist die teuerste Katastrophenhelferin. In Absatz 3 übertragen wir die Hilfeleistung zivilen Behörden.

  4. Die Armee schwächt den Wirtschaftsstandort Schweiz. Doch gibt es armeeabhängige Arbeitsstellen, und die betroffenen Menschen sind uns nicht egal. Deshalb beauftragen wir in Absatz 3 der Übergangsbestimmungen den Bund, die Umstrukturierung der betroffenen Betriebe zu fördern.

Die beiden Initiativen, die wir heute einreichen, wollen die schweizerische Sicherheitspolitik neu abstecken und damit zu einer Öffnung der Schweiz beitragen. Nicht der Anschluss an ein Militärbündnis tut diesem Land not, sondern ein Anstoss für eine offene Politik gegenüber den realen Konflikten in Europa und weltweit. Diesen Anstoss möchten wir mit unseren Initiativen geben.

Renate Schoch, Sekretärin GSoA Schweiz

 

, ,