Zehn Jahre notwendiger Weiterentwicklung

Vor 10 Jahren ging es der GSoA um einen innenpolitischen Aufbruch den Abschied von der geistigen Achtungsstellung. Heute verlangen die GSoA-Initiativen eine solidarische aussenpolitische Öffnung: die Geschichte einer notwendigen Weiterentwicklung

Der 26. November 1989 war einzigartig. 35,6 Prozent der SchweizerInnen haben für eine Schweiz ohne Armee gestimmt. Dies, nachdem der Bundesrat in seiner Botschaft an das Parlament siegesgewiss behauptet hatte, die Schweiz habe keine Armee, sie sei eine Armee. Die Armee-Schweiz erlebte im November 1989 dann ihre Katastrophe.
Die GSoA-Initiative war Kristallisationspunkt für zentrale innenpolitische Diskussionen. Es ging um das Selbstverständnis der Schweiz. Das machte einen wesentlichen Teil der Dynamik in der Abstimmungskampagne aus. ´Die dominierende Igelmentalität der schweizerischen Nachkriegsgeschichte ist verabschiedet wordenª, fasste die GSoA ihren Erfolg 1990 im ´Aufruf zur Tatª zusammen. Dieser Prozess war einmalig. Zu meinen, man könne heute mit der Forderung nach einer Schweiz ohne Armee die gleiche Dynamik auslösen, wäre verfehlt. Ebenso verfehlt wäre jedoch auch zu meinen, die erste Initiative wäre der wesentliche Motor für die Reformbewegung der Armee gewesen. Zu offensichtlich wurde dank dem Ende des Kalten Krieges, dass Landesverteidigung, die Überrüstung der Schweiz und 600’000 Soldaten unter Waffen keine Perspektive haben.

Neue Herausforderungen
Die Militärs behaupteten bis 1989, Abschreckung durch hochgerüstete Armeen sei die einzige Möglichkeit, in Europa den Krieg zu verhindern. Aber auch die friedens- und sicherheitspolitischen Argumente der GSoA waren geprägt vom Kalten Krieg: Krieg in Europa bedeutete atomarer Overkill und Vernichtung, und da Kriege weder führ- noch überlebbar seien, müsse man sich darauf auch nicht vorbereiten. Beide Argumentationen sind heute überholt. Trotz ñ oder wegen ñ riesiger militärischer Potenziale wurden in Europa nach dem Fall der Mauer Kriege geführt. Und die Friedensbewegung war in der Entwicklung konkreter Alternativen zu militärischen ´Friedensinterventionenª gefragt. Es konnte nicht mehr länger genügen, eine Vielzahl von Visionen in die Forderung nach einer umfassenden Friedenspolitik zu projizieren, wie dies in der ersten GSoA-Initiative geschah. Umweltpolitik, internationale Solidarität, Gestaltung des Wohnumfeldes, Beziehungen am Arbeitsplatz ñ mit umfassender Friedenspolitik meinte die GSoA damals alles und nichts. Nun waren konkretere Handlungsansätze gefragt.

Armee ist aussenpolitischer Kristallisationspunkt
Das Tabu Armee als Garant des bewaffneten Sonderfalles Schweiz ist gebrochen, selbst das VBS hat sich von der geistigen Landesverteidigung losgesagt. Es stimmt: Ein Tabu kann man nicht zweimal brechen. Doch darum geht es heute nicht. Die aussenpolitische Öffnung und die Frage nach dem Beitrag der Schweiz zu einer internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik stehen heute an. Derzeit liegen zwei Vorschläge auf dem Tisch: Einbindung in eine europäische Friedens- und Sicherheitspolitik durch Nato-Annäherung ñ das ist der Vorschlag der Armeemodernisierer. Oder: Abseitsstehen und Festhalten an der bewaffneten Neutralität. Das wollen die Traditionalisten. Für die friedenspolitische Linke sind beide Verschläge untauglich. Mit den GSoA-Initiativen zeigen wir eine dritte Option auf, die bisher kaum sichtbar war: die einer solidarischen und zivilen Öffnung der Schweiz. Die friedens- und sicherheitspolitische Perspektivendiskussion ist heute wiederum ñ aus anderen Gründen als 1989 ñ Kristallisationspunkt für zentrale Fragen.

Zehn Jahre Lernprozess
Auch das Selbstverständnis der GSoA hat sich in den letzten zehn Jahren stark verändert. Nach der erfolgreichen Niederlage im November 1989 waren wir uns in der GSoA einig, dass wir eigentlich gewonnen hätten und nun mindestens ein neuer friedenspolitischer Kompromiss fällig sei. Als Konsequenz auf die Zustimmung von 35,6 Prozent der Stimmberechtigten und 72 Prozent der aktiven Wehrmänner für die GSoA-Initiative lancierte die GSoA einen Aufruf zur Massendienstverweigerung, um das Recht auf Militärdienstverweigerung einzufordern. Seit 1992 ist in der Bundesverfassung endlich ein ziviler Ersatzdienst enthalten. Die GSoA hat wesentlich zum politischen Druck beigetragen, der die offizielle Schweiz zu diesem Zugeständnis bewegte. Ernüchternd musste die GSoA 1996 aber zur Kenntnis nehmen, wie rasch diese offizielle Schweiz mit diesem Druck zu leben gelernt hatte. In der konkreten Umsetzung des Zivildienstes blieben zentrale Forderungen der Friedensbewegung unerfüllt, und die jüngsten Reformvorschläge stellen den Zivildienst gar wieder in Frage.
Als im Februar 1992 die sicherheitspolitische Kommission des Ständerates den Kauf von 34 F/A-18 Kampfflugzeugen beschloss, handelte eine Arbeitsgruppe der GSoA blitzschnell. Noch bevor die GSoA-Vollversammlung den Lancierungsbeschluss gefällt hatte, war in der Sonntagspresse zu lesen: Die GSoA macht eine Stop-F/A-18-Initiative.
GSoA-intern gab es einige Kritik am Entscheidungsprozess, in den Medien und in weiten Bevölkerungskreisen war die GSoA aber top. In nur einem Monat sammelte sie über eine halbe Million Unterschriften, über 73 Prozent der BürgerInnen lehnten im Mai 1992 laut Meinungsumfragen den Kauf der Kampfflieger ab. Ein Jahr später folgte die Ernüchterung: 57 Prozent der SchweizerInnen stimmten 1993 dem Kauf der 34 F/A-18 zu. Die GSoA war sowohl der Schlüssel zum Initiativerfolg ñ niemand anderes hätte 1992 so schnell die Initiative zustande gebracht ñ und gleichzeitig der Stolperstein auf dem Weg zum Abstimmungserfolg. Vielleicht hätte die GSoA in der Abstimmungskampagne um die Flieger einiges besser machen können. Vielleicht lagen zuwenig klare Konzepte für zivile und gewaltfreie Handlungsalternativen im ehemaligen Jugoslawien vor. Beides ist Spekulation. Deutlich wurde aber: Mit der GSoA diskutiert man nicht über sicherheitspolitische ´Kompromisseª. Die Stop-F/A-18-Initiative wurde zur Gretchenfrage ´Für oder gegen eine glaubwürdige Landesverteidigung?ª Aus dieser Erfahrung folgerten viele GSoAtInnen: Aufgabe der GSoA ist nicht, an Kompromissen zu arbeiten, sondern Druck zu machen, dass Veränderungen notwendig werden.

Konkrete Friedensarbeit als Grundlage für neue Initiativen
Eine Reihe von GSoAtInnen zog sich nach der F/A-18-Abstimmung zurück. Die GSoA wandte sich konkreter Friedensarbeit zu. Sie baute ihre Unterstützung für Antikriegs- und Menschenrechtsgruppen im ehemaligen Jugoslawien aus. Diese Arbeit wurde öffentlich kaum zur Kenntnis genommen ñ obwohl sie vom Aufwand her mit dem Engagement gegen die Kampfflugzeuge vergleichbar war.
Im Juni 1994 stand das Gesetz über schweizerische Truppen für friedenserhaltende Operationen (Blauhelmvorlage) zur Diskussion. In der GSoA fanden zahlreiche kontroverse Debatten statt. Für die Vorlage sprach, dass die Schweiz sehr wohl einen Beitrag zu einer internationalen Sicherheitspolitik leisten sollte. Für viele GSoAtInnen war unter klaren völkerrechtlichen Bedingungen auch ein bewaffneter Einsatz denkbar. GegnerInnen argumentierten, dass die Welt sicher nicht mehr Soldaten brauche und die Schweiz einen viel sinnvolleren Beitrag leisten könne. Nach intensiven Diskussionen beschloss die GSoA die Parole ´leer einlegenª. Einmal mehr wurde in der GSoA die Dringlichkeit deutlich, zivile Alternativen zu militärischem Konfliktmanagement zu entwickeln. Sowohl die konkrete Unterstützungsarbeit von Antikriegskräften im ehemaligen Jugoslawien wie auch das Dilemma rund um die Blauhelmabstimmung spielten bei der Ausarbeitung der Initiative für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst (ZFD) eine wichtige Rolle.

Drei Jahre intensiver Diskussion vor Lancierung
Ende 1994 fanden an verschiedenen Regionalgruppensitzungen Diskussionen über den laufenden Reformprozess in der Armee und über gsoatische Handlungsperspektiven statt. Im März 1995 setzte die GSoA-Vollversammlung eine neue Initiative für eine Schweiz ohne Armee wieder auf die Traktandenliste. In den Diskussionen zeigte sich, dass es neben der Forderung nach einer Schweiz ohne Armee in einer zweiten Initiative um einen konkreten Vorschlag im Bereich der nichtmilitärischen Konfliktbearbeitung gehen sollte. Im Frühling 1996 lagen erste Vorschläge für zwei Initiativen vor. Bis im März 1997 wurden diese ausgearbeitet. Im Herbst 1997 schliesslich beschloss die GSoA-Vollversammlung, die beiden Initiativen im März 1998 zu lancieren. Einige langjährige und prominente GSoA-Aktivisten traten nach dem Lancierungsbeschluss aus der GSoA aus.
Es war klar: Die Sammelkampagne würde kein Sonntagsspaziergang. Im Gegensatz zur Unterschriftensammlung in den achtziger Jahren war keine Friedensbewegung und auch keine Sozialistische ArbeiterInnen-Partei mehr da, die kräftig mitsammelte. Und im Gegensatz zur Kampagne gegen die F/A-18-Kampfflugzeuge musste sich die
GSoA darauf einstellen, die Initiativen ohne Unterstützung einer öffentlichen Diskussion zu Stande zu bringen. Dass die Initiativen dennoch und erst noch trotz bescheidenen finanziellen Ressourcen zustande gekommen sind, ist zum Einen darauf zurückzuführen, dass die Projekte nach einem langen internen Diskussionsprozess breit abgestützt waren. Zum Anderen beweist es, dass sich für zukunftsfähige Vorschläge nach wie vor viele Menschen mobilisieren lassen. Und dies wiederum ist ein Zeichen, dass sich die GSoA in den vergangenen zehn Jahre in die richtige Richtung weiterentwickelt hat.