Intervention und Grenzen

Das Buch <Der Geruch des Grauens> des Südosteuropa-Korrespondenten Werner van Gent (Radio und Fernsehen DRS, Wochenzeitung WoZ) ist eine Analyse der <neuen Weltordnung>. Die internationale Gemeinschaft – ein Produkt des 20. Jahrhunderts – hat sich zum Ziel gesetzt, humanitäre Werte zu verteidigen. Ein durchaus hehres Ziel, doch die Bilanz nach zehn Jahren fällt zutiefst ernüchternd aus. Die Systemgrenze zwischen Ost und West sei nach dem Kalten Krieg durch eine Vielzahl neuer Grenzen abgelöst worden, die oft mitten durch Volksgruppen gezogen wurden. Das Verhaltensmuster der <neuen Weltordnung> bei Konflikten bringt van Gent auf die Eskalations-Formel <wegschauen, panikartiger und darum halbherziger Einsatz politischer Mittel und dann der Bombenkrieg>. So war es im 2. Golfkrieg gegen den Irak und so war es letztes Jahr auf dem Balkan. Van Gent wagt diesen Vergleich – trotz allen Differenzen zwischen den beiden Konflikten -, um die <humanitären> Interventionen politisch erklären zu können.

Van Gent argumentiert, der Westen reagiere erst auf Ereignisse in Konfliktgebieten, wenn die Grenzen souveräner Staaten oder seine eigenen Grenzen bedroht sind. Systematische Verbrechen innerhalb eines Staates werden zur inneren Angelegenheit erklärt. Beispiel Irak: Gegen Ende des ersten Golfkrieges begann der Irak – damals noch Verbündeter des Westens und freundlicher Abnehmer von westlichem Rüstungsmaterial – mit der Operation <Al Anfal>, dem auch mit Giftgas geführten Vernichtungsfeldzug gegen die kurdische Zivilbevölkerung im Norden des Landes. Obwohl die internationale Gemeinschaft davon wusste, war ihr dies keine Reaktion wert. Es waren ja keine Grenzen und keine materiellen Interessen bedroht. Erst als Saddams Truppen 1991 in Kuweit einfielen, kam es als Reaktion zum Bombenkrieg gegen den Irak.

Beispiel Balkan: Beim Abschluss des Abkommens von Dayton 1995 wurde das Thema Kosov@ absichtlich beiseite gelassen, obwohl das Gebiet schon damals – im geschönten Jargon der internationalen Gemeinschaft – als <potenzieller Krisenherd> bezeichnet wurde. Auch hier: ein innerstaatlicher Konflikt, der (vorläufig) keine Grenzen bedrohte. Erst im Laufe des Jahres 1998 richtete sich das Interesse der Medien-Öffentlichkeit auf diesen Konflikt. Er hatte sich soweit ausgeweitet, dass die Stabilität und damit die Grenzen in der Region gefährdet waren.

Werner van Gent liefert mit seinem Buch eine lesenswerte Beschreibung der internationalen Kriseninterventionspolitik, die nicht viel Gutes für die Zukunft erwarten lässt. Ein Buch aber auch, dass dazu auffordert, der Medienberichterstattung künftig kritischer zu begegnen – verfasst ausgerechnet und wohl nicht zufällig von einem Journalisten selbst.

Van Gent, Werner: Der Geruch des Grauens – Die humanitären Kriege in Kurdistan und im Kosovo, Rotpunktverlag, Zürich 2000.