«Tschou, wie geits?»: als Freiwilliger im Kosov@

Es war kein leichter Entschluss. Heute kann ich sagen, dass ich richtig entschieden habe: Ich habe drei Monate als Freiwilliger im Jugend-Projekt von SCI und GSoA in Vushtrri gearbeitet. Agnes, Joachim und ich waren das erste Team, das in den Kosov@ reiste. Ich bin der erste Rückkehrer in die Schweiz. Hier mein Erfahrungsbericht.

Aller Anfang ist schwer, zumindest nicht einfach. So war das auch bei uns. Wir brachten viele Vorstellungen und Ideen aus der Schweiz mit nach Vushtrri, für die wir später nur noch ein Schmunzeln übrig hatten. Unsere Aufgabe war: Rekognoszieren, evaluieren, formulieren. Wie beim rekognoszieren für eine Schulreise muss man sich zuerst fragen: Wo überhaupt liegt genau unser Ziel? Gibt es einen Weg zum Ziel? Wenn ja, welcher Weg ist der beste? Wie viele SchülerInnen können wir mitnehmen? Laufen schon viele andere diesen Weg? Wer kann uns behilflich sein dabei und uns auf die Gefahren oder Problemstellen aufmerksam machen? Fragen über Fragen, die einen dichten Nebel um uns bildeten.

Aufgaben und Probleme des ersten Teams
Der Nebel verzog sich nur sehr langsam. Immer wenn man das Gefühl hatte, etwas erkennen zu können, kam eine neue Nebelschwade und wir konnten unsere Hände nicht mehr vor der Nase sehen. Häufig waren wir auch in der Situation, dass wir zwar ein Ziel ganz klar vor Augen hatten, aber es wegen verschiedener Umstände nur sehr mühsam erreichen konnten. Konkret beschäftigten wir uns in den ersten zwei Monaten vor allem mit dem Aufbau unseres Büros (Telefonanschluss, Internet usw.), mit unserer Registrierung als Organisation vor Ort, mit der Eröffnung eines Bankkontos, mit einer umfangreichen Umfrage in den Schulen, mit Kontakten zu anderen Organisationen und lokalen Leuten, mit ersten Formulierungen der Projektideen, mit ungültigen Verträgen und mit uns selber (Organisation innerhalb des Teams).
Am meisten zu schaffen gab uns aber die Tatsache, dass manche Leute in Vushtrri schlicht nicht begriffen, was unsere Aufgabe als erstes Team war. Wir konnten ihnen auch nicht erklären, was wir machen, was uns beschäftigt und was uns immer wieder blockiert. Sie wollten uns einfach in Aktion sehen beim Spielen und Lernen mit den Kindern, bei Freizeit-Aktivitäten mit den Jugendlichen. Sie wollten sehen, dass wir arbeiten. Genau das konnten wir aber noch nicht in der Form.
Wir waren ständig am Arbeiten, fast Tag und Nacht, aber diese vorbereitenden Arbeiten waren nicht sichtbar. Im ersten Team mitzuarbeiten war sehr interessant, da wir das Projekt und seinen weiteren Verlauf entscheidend mitprägen konnten. Es war manchmal aber auch undankbar und unbefriedigend, da man nichts Konkretes vorweisen kann und sich immer wieder selber neu motivieren muss. Ich bin sehr froh, dass wir im letzen Monat unseres Aufenthalts konkrete Aktivitäten für die Kinder starten konnten.

Das Leben eines Freiwilligen in Vushtrri
Um acht Uhr morgens begann unser Tag. Mit einem Ohr Richtung Badezimmer wurde gefrühstückt. Kaum hörten wir Wasser plätschern, kam Leben in unsere Wohnung. Flaschen wurden aufgefüllt, es wurde geputzt und abgewaschen, und wenn es noch reichte, konnten wir uns an einer Dusche erfreuen. Aber das kam relativ selten vor, denn entweder hatte es kein Wasser mehr oder dann war mal wieder Stromausfall angesagt. Geduscht oder ungeduscht ging es dann zur Arbeit in unser Büro im Kulturhaus.
Wir hatten kein Auto und waren deshalb viel zu Fuss unterwegs. Unsere Arbeitsbedingungen waren nicht gerade optimal, aber wir haben uns daran gewöhnt, wie noch so an manch anderes. Zum Beispiel an das Warten: Im Kosov@ gibt es ein ungeschriebenes Gesetz: «Halte nie einen Termin ein!»
Die Bevölkerung in Vushtrri schätzte uns aber sehr. Wir wurden äussert gut behandelt und hatten viele ganz gute Freunde. Wir fühlten uns mit der Zeit irgendwie ein bisschen zuhause in Vushtrri. Es ist normal, dass wir uns vor allem mit den RückkehrerInnen aus der Schweiz oder Deutschland angefreundet haben – und von denen gibt es viele. Irgendwie ist es doch schon sehr speziell, wenn man durch Vushtrri läuft und plötzlich hört, wie ein Albaner sagt: «Tschou, wie geit’s?» – «Guet, u dir?» – «Es mues!»
Wir arbeiteten jeweils bis in den Abend hinein. Den Abend verbrachten wir häufig bei Familien oder im Restaurant in Vushtrri, wo man übrigens hausgemachte Berner Röschti bestellen kann. Manchmal verkrochen wir uns aber auch in unserer kleinen Wohnung, weil es uns zu viel wurde. In Vushtrri kennen sich alle. Wir wurden auf Schritt und Tritt beobachtet. Manchmal mussten wir uns am Sonntag nach Prishtina in die Anonymität flüchten. Wir passten uns dem Rhythmus der Menschen im Kosov@ an und gingen spät ins Bett. In Gedanken an den nächsten Tag und seine Überraschungen schlief ich dann ein, wenn nicht gerade ein Rudel bellender und jaulender Hunde vor dem Haus durchzog.

Was haben wir erreicht?
Wir versuchten von Anfang an, etwas auf die Beine zu stellen, das auch nach dem Rückzug internationaler Freiwilliger aus Vushtrri weiter funktionieren kann. Unser langfristiges Projekt nennen wir «KIDS». Die «KIDS» sind eine Gruppe von 15-20-jährigen Jugendlichen aus Vushtrri, welche für die anderen Kinder und Jugendlichen aus Vushtrri Aktivitäten organisieren. Um bei der Gruppe dabeisein zu können, muss man verschiedene Aufnahmebedingungen erfüllen und vor allem sehr engagiert sein. Als Mitglied hat man Pflichten, aber auch die Möglichkeit, einmal das zu organisieren, was bisher noch nicht möglich war. Die Mitglieder sind stolz, eines der «KIDS» zu sein.
Als eher kurzfristiges Projekt kann man das Sommerferienprogramm bezeichnen. Mit diesem Programm haben wir den Kindern von Vushtrri (auch vielen Waisenkinder) die Möglichkeit geboten, während ihrer 10-wöchigen Sommerferien an verschiedenen Aktivitäten teilzunehmen. Einerseits boten wir verschiedene Kurse oder Workshops an (Malen, Origami-Falten), Deutschkonversation für Rückkehr-Kinder usw. und andererseits sind wir jeweils von Montag bis Freitag auf dem Schulhausplatz anwesend und offerieren den anwesenden Kindern Aussenaktivitäten (Spiele). Jeweils am Freitag fand ein spezieller Anlass statt (kleine Wanderung mit Picknick, Olympiade mit Preisen). Um diese Aktivitäten durchzuführen, sind seit August auch Kurzzeitfreiwillige für einen Monat im Einsatz. Wir organisierten diesen Sommer in Zusammenar- beit mit der italienischen Organisation «Amici dei Bambini» den ersten «Vushtrrian School Football Cup», ein Fussballturnier für SchülerInnen, das über 3 Tage hinweg stattfand. 20 Teams machten mit. Es war ein sehr anstrengendes Turnier, aber den SchülerInnen hat es sehr gut gefallen.

Gedanken danach
Ich bin wirklich froh, den Schritt gewagt zu haben. Ich habe viel gelernt und lebe bewusster als vorher. Die Erfahrungen, die ich im Kosov@ gesammelt habe, sind für mich persönlich bedeutend. Ich habe das nicht für meine Karriere gemacht, sondern für mich und für die Kinder in Vushtrri. Die Menschen wussten unsere Freiwilligenarbeit sehr zu schätzen. Wir lebten mit der Bevölkerung und so wie sie. Ich möchte Freiwillienarbeit nicht mit «Entwicklungshilfe» gleichsetzen, sondern mit «Engagement». Dieses Projekt hat mir die Möglichkeit gegeben, als junger Mensch einen konkreten Beitrag zu leisten und wichtige Erfahrungen fürs Leben zu sammeln – auch ohne einem hohen Anforderungsprofil zu entsprechen. Keine Sekunde habe ich meinen Entscheid bereut. Was sind drei Monate aufs Leben? Nichts. Was bedeuten mir diese drei Monate fürs Leben? Verdammt viel.
Weitere Informationen über das Projekt unter www.4u2.ch

Per E-Mail im Kontakt mit der Schweiz
Die folgenden Ausschnitte aus meinen Rundmails in die Schweiz sollen Eindrücke aus dem Kosov@ und unserem Leben als Freiwillige vermitteln:

«Einiges ist verblüffend dem ähnlich, wie ich es mir vorgestellt habe. Das meiste aber ist anders, nämlich so, wie es eben in seiner Einmaligkeit nur hier und nur zu diesem Zeitpunkt und nur in der Beziehung zu mir so und nicht anders vorkommen kann.»

«Kosovo, ein Land geprägt von Ruinen, riesigen Müllhalden, stinkenden Fabriken, Tausenden Internationaler, mörderischem Verkehr, Friedhöfen, Denkmälern und wilden Hunden. Zwischen all diesem entsteht neues Leben, wie zarte Pflänzchen, die wachsen und wachsen und hoffen, dass sie nicht schon bald wieder geknickt werden.»

«In den ersten Tagen in Vushtrri tranken wir pro Tag etwa 25 Cajs (Schwarztee). Wir lernten halb Vushtrri kennen (Eltern, Kinder, Grossvater, Onkel, Schwester, Bruder des Grossvaters, Schwester der Tochter, Tante, Cousin usw.). Bei allen gab es Caj und Pitta bis zum Abwinken (was leider nichts bringt). Mein Magen lief in den ersten Tagen auf Hochtouren. Caj, WC, Pitta und Caj, WC, Caj, WC …..»

«Ich bewundere die Menschen hier. Ihr Lebensmut, ihre Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft nach all dem Erlebten berühren mich sehr. Jeder versucht sich irgendwie durchzuschlagen, wobei niemand seinen Nachbarn vergisst.»
«Korruption ist alltäglich hier, auch für uns.»

«Ich beginne langsam zu verstehen, was sich hier über Jahre hinweg für unbeschreiblich grausame Szenen abgespielt haben. Und das am Ende des 20. Jahrhunderts in Europa!»

«Mein Gemütszustand ist im allgemeinen sehr gut, doch manchmal ist es sehr schwierig, Abstand zu gewinnen. Es gibt zuviel, worüber ich mir den Kopf zerbrechen kann und was mich sehr traurig und nachdenklich stimmt. Wir können uns im Team aber sehr gut aussprechen, was extrem wichtig ist.»

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