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Bushs schneller Brüter

FACTS 13/2003, 27.3.03
Seit Jahren feilt der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz an einer neuen Weltordnung. Der Angriffskrieg gegen den Irak ist nur der Anfang.
Von Stefan Barmettler

Punkt 7 Uhr wird im abhörsicheren Sitzungszimmer zur Befehlsausgabe angetreten. In der Tischquerachse thront Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, die Hände auf einem Aktenstoss, zu seiner Linken Paul Wolfowitz, der Vize, daneben und gegenüber die Drei- und Vier-Sterne-Prominenz, angeführt von Generalstabschef Richard B. Myers. Da werden die Ereignisse der letzten Nacht rekapituliert und die Ziele für die nächsten Stunden festgelegt.

«Dick, wie lange dauert der Krieg noch?», drängt Rumsfeld süffisant.

Myers, in dunkelblauer Fliegeruniform, hat natürlich keine Antwort. Länger jedenfalls, als den Strategen im Pentagon lieb ist.

Die Arbeitsteilung im fensterlosen Raum ist perfekt: Rempler Rumsfeld, den «Fortune» einst unter die «zehn härtesten Chefs Amerikas» wählte, heizt den mit Orden dekorierten Militärs tüchtig ein, Wolfowitz liefert den strategischen Unterbau für die Taktik des Tages, und die Generalität nickt. Und meldet sich nach einer Stunde ab.

Keiner wagt es, dem Duo Rumsfeld/ Wolfowitz zu widersprechen. Rumsfeld, ein ehemaliger Pharma-Manager, der das Süssmittel NutraSweet lancierte, ist nun daran, mit hoch explosiven Produkten den Markt Irak zu penetrieren. Wolfowitz, den man im Verteidigungsministerium das «Hirn des Pentagon» nennt, stellt den Schlachtplan in den strategischen Kontext. Später am Tag informieren sie den Präsidenten, der gelegentlich nachhakt, ansonsten aber den zwei Schlachtrössern vertraut.

Rumsfeld/Wolfowitz haben ihrem Chef nicht nur einen Invasionsplan vorgelegt, sondern eine komplette Neuordnung des Nahen Ostens. Die Rede ist von einer Domino-Theorie. Nicht jener aus dem Kalten Krieg, die jede Preisgabe eines Reisfeldes als Vormarsch des Kommunismus sah. Pentagon-Hirn Wolfowitz hat ein positives Domino konstruiert: Ist Saddam Husseins Terrorregime pulverisiert, wird Demokratie – saisongerecht wie tausend Blumen – aus den Trümmern spriessen. «Strategische Transformation einer Region» nennt es der Obergärtner aus dem Pentagon.

Das Alles-wird-blühen-Theorem trieb Amerika in den Irak-Krieg. Erstaunlich allemal: Es ist nicht Colin Powells State Department, das die Blaupause für die wichtige Region Nahost vorzeichnet, es sind die Rechtsausleger aus dem Pentagon. Besonders Wolfowitz gefällt sich in der Rolle des Schattenaussenministers, der den globalen Bogen schlägt. Mal argumentiert er mit dem leuchtenden Beispiel Türkei, mal mit der verfehlten Verteidigungspolitik Frankreichs in den Dreissigerjahren, immer aber landet er zielsicher im Irak-Diskurs, wo es Saddam Hussein wegzuräumen gilt.

Der Vorteil des Chefstrategen: Er hat das Ohr des Präsidenten. Der nennt ihn kollegial «Wolfie», dieser antwortet respektvoll «Mr. President». Die Achse dieser Gleichgesinnten ist inzwischen so eng, dass die «New York Times» dem offiziellen Aussenminister, Powell, am Wochenende zum Rücktritt riet. Begründung: «Im Kampf der Ideen – wie die USA künftig ihre Macht ausüben sollen – steht Powell auf verlorenem Posten.»

Im State Department reibt man sich derweil die Augen, ist überrascht, wie schnell das Pentagon die US-Aussenpolitik gekapert hat. Der Irak ist längst zum Testlabor der Hardliner geworden und Saddam Hussein zur Laborratte, an der die neue Medizin ausprobiert wird. Präventiver Angriff ist die eine – nächtens in Bagdad appliziert. Wolfowitz hat die Erstschlag-Strategie – ein radikaler Bruch mit der Aussenpolitik der Vereinigten Staaten – bereits vor einem Jahrzehnt formuliert und im Zweifelsfall, «wenn kollektives Handeln nicht verfügbar ist», zum Alleingang geraten.

Nun wird umgesetzt, was der ehemalige Professor, der schüchtern wie ein Col-lege-Student wirkt und monoton wie ein subalterner Buchhalter spricht, vorgedacht hat. Wie hat er sich mit Lageanalysen, Zeitungsartikeln, Geheimreports die Finger wund geschrieben und in Vorträgen den Mund fusselig geredet. Die Prämisse war stets: US-Politik basiert auf militärischer Stärke. Und: «Wir müssen unseren Willen durchsetzen können.»

Gut beraten, wer sich hurtig arrangiert, verdammt all jene, die aufmucken, ernsthaft bedroht, wer gar leise Sympathie für den Gegner hegt. Dem Texaner Bush schmeckt die Präpotenz, die da aus jeder Zeile dampft. Überhaupt wirkt Bushs Politik zunehmend als Xerox-Kopie von Wolfowitz’ Manifest. So hat dieser für die Liquidierung des ABM-Vertrags plädiert, weil er den Aufbau eines Schutzschildes verhindere, mit dem von Schurkenstaaten abgefeuerte Raketen frühzeitig vom Himmel geholt werden sollen. Ende 2001 hat Bush zum Verdruss der Russen den ABM-Vertrag aufgekündigt. – Weil er den Aufbau eines Raketenschutzschildes verhindere, wie er über den Atlantik echote.

Wolfies Lautsprecher zur Verbreitung der rabiaten Rhetorik ist die Denkfabrik Project for the New American Century, die er 1997 gegründet hat. «Wir müssen Verantwortung übernehmen für die einzigartige Stellung Amerikas und für eine Weltordnung, die unserer Sicherheit, unseren Prinzipien und unserem Wohlstand dienlich ist», steht in der Präambel der Grundsätze des neokonservativen Denkvereins. Unterschrieben haben neben Wolfowitz Verteidigungsminister Rumsfeld, Vizepräsident Dick Cheney, L. Lewis Libby (Cheneys Stabschef), Zalmay M. Khalilzad (Bushs Gesandter für Afghanistan) und Jeb Bush (Bruder des Präsidenten). So ist im neuen amerikanischen Jahrhundert die Allmacht der grössten Nation auf Erden zu sichern:

  • Erhöhung des Rüstungsbudgets auf 3,8 Prozent des Bruttosozialprodukts
  • Kündigung sämtlicher Abrüstungsverträge, die den Aufbau einer Raketenabwehr behindern
  • Verteidigung der atomaren Überlegenheit, unter anderem mit bunkerbrechenden Nuklearbomben
  • Ausbau eines globalen Netzwerks von Militärbasen
  • Kapazität zum Führen und Gewinnen von zwei simultan geführten Kriegen
  • Vollständige militärische Kontrolle des Weltalls
  • Regierungswechsel in Ländern wie Irak, Iran, Syrien, Nordkorea, Libyen

Der Umbau der US-Strategie könne Jahre in Anspruch nehmen, resümiert der 90-seitige Bericht 1998, ausser: «Die USA würden durch ein katastrophales Ereignis getroffen – ein neues Pearl Harbor.»

Das neue Pearl Harbor geschah am 11. September 2001: New Yorks Twin Towers stürzten ein, 2600 Menschen fielen dem Al-Kaida-Terror zum Opfer. «Eine neue Realität entsteht – die Welt hat unser Tun zu akzeptieren», schrieb damals der gebürtige New-Yorker Wolfowitz. Höchste Zeit also, sich an die Exekution der lange gehegten Pläne zu machen. Der ABM-Vertrag ist gekündigt, der Ausbau der Armee in vollem Gang, der Regimewechsel im Irak angeblich nur noch Tage entfernt.

Wie das zu bewerkstelligen ist, hat der schnelle Brüter, der von den Demokraten zu den Republikanern wechselte, längst beschrieben. Unter dem Titel «Saddam must go: A How-To-Guide» folgerte er im Wochenmagazin «Weekly Standard»: «Wir müssen die Elitegarden nachhaltig attackieren, sie sind die Stützen von Saddams Terrorregime» – diese Woche, fünf Jahre nach seiner Publikation, wird das Bagdad-Manual umgesetzt.

Als Argument für den Waffengang dient ihm Asien, wo Demokratie auf dem Vormarsch ist. «Japan war die einzige Demokratie, als ich vor über zwanzig Jahren als Assistent im Büro für Fernost anfing», lautet einer seiner Lieblingssätze. Noch lieber verweist der polyglotte Denker, der sechs Sprachen spricht, auf Indonesien, das er von seiner Tätigkeit als Botschafter kennt. Die dort praktizierte Trennung von Religion und Staat sieht er als leuchtendes Beispiel für den Golf. «Wenn die Demokratie im Irak reüssiert, wird das auf Syrien, Iran und den ganzen Nahen Osten abstrahlen.» Die USA müssen da nur etwas nachhelfen – allenfalls mit ein paar Cruisemissiles.

Aussenminister Powell hat dem konservativen Heisssporn wenig entgegenzusetzen. Der Regimewechsel im Irak war im Bush-Kabinett beschlossene Sache, als er noch verzweifelt nach Stimmen im Sicherheitsrat rang. Auf Rumsfeld war jedenfalls Verlass: Mit präzisen Störmanövern («altes Europa») hat er die Bemühungen der Diplomaten torpediert. Dem müsse man ein dickes Klebeband über den Mund spannen, gab ein Powell-Berater die gereizte Stimmung unter den beiden verfeindeten Lagern wieder.

Eine kleine Revanche im ungleichen Kampf war es, als das State Department einen Geheimbericht durchsickern liess, der eine Demokratisierungswelle in Nahost als Fantasie abtat. Bereits im Irak würde das sehr schwierig, heisst es nüchtern. Doch da waren die Bomben bereits auf Bagdad programmiert.

Die Falken um Rumsfeld und Wolfowitz siegen auf der ganzen Linie. Und krempeln die US-Aussenpolitik nach ihrem Gusto um, weit über den Irak hinaus. So war es Wolfowitz, der beim unerfahrenen Bush durchsetzte, dass die palästinensische Hamas und die libanesische Hisbollah auf die Terrorliste der USA rückten und der Iran prominente Aufnahme in der «Achse des Bösen» fand. Und es war Scharon-Freund Wolfowitz, der darauf drängte, dass Palästinenserpräsident Arafat in Washington zur unerwünschten Person erklärt wurde. Powell hatte monatelang gewarnt, den PLO-Chef frühzeitig abzuschreiben.

Die Rivalität ist alt zwischen State Department und Pentagon, doch schon lange nicht mehr haben sich die Militärs im Nadelstreifenanzug so prächtig durchgesetzt. Auch anderswo wird man den Kurswechsel bald zu spüren bekommen. Wolfowitz, lizenzierter Mathematiker und promovierter Politologe, hat China als Bedrohung ausgemacht, als er noch an der Johns Hopkins University lehrte. Um einiges näher liegt ihm Taiwan, vor dessen Generälen er unlängst das neuste Raketenabwehrsystem von Lockheed angepriesen hat, wohlwissend, dass dies die Chinesen erzürnen wird. Unzimperlichen Umgang droht er auch im Fall Nordkorea an. Powell hatte auf eine Fortsetzung von Clintons Dialogpolitik gesetzt – und ist auch hier übergangen worden.

Noch gibt sich der offizielle Aussenminister – hochdekoriert in Vietnam, gefeiert im Golfkrieg – nicht geschlagen. Auf die Frage, ob sich jetzt der Terminator-Stil aus dem Pentagon überall auf der Welt durchsetzen werde, meinte Powell fast schon verzweifelt: «Nein, nein, nein.»

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Im September 2000 veröffentlichte das neokonservative Project for the New American Century (www.newamericancentury....

von eku eku, 02.04.2003, 14:43
Moin, nach studium so einiger artikel über paul wolfowitz, unter berücksichtigung meiner sonstigen erkenntnis...

von Beat Graf, 31.03.2003, 12:03
Paul Wolfowitz ist, neben C. Rice, mein absolutes Lieblingsmitglied im Bush- Kabinett. Er ist ein brillianter Strate...

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