14. September 2007 St. Peter Zürich

Dem Frieden dienen - mit dem Verbot von Kriegsmaterialexporten

Der berühmte Micha-Text beinhaltet drei Kernaussagen, die friedenspolitisch von höchster Relevanz und grösster Aktualität sind:

1. Die globale Ordnung soll auf allgemein verbindlichem Recht bauen und nicht auf der Macht mächtiger Nationen. Diese Aussage widerspricht diametral der weltpolitischen Entwicklung seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre.

2.Es ist die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren, das es ermöglicht, Schwerter zu Pflugscharen zu schmieden. Diese Aussage widerspricht diametral der Logik des sogenannten humanitären oder demokratischen Interventionismus, der die Illusion verbreitet, der Frieden baue auf den natürlich humanitären und selbstverständlich demokratischen Schwertern und nicht auf den zivilen Pflugscharen.

3. Wenn das Kriegshandwerk nicht mehr gelernt wird, wird jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum sein Leben geniessen können. Diese Aussage widerspricht der irrigen Meinung, Waffen und nicht Waffenlosigkeit bedeute Schutz und Sicherheit. Sie widerspricht auch dem systematischen Versuch, die pazifistische Grundstimmung in grossen Teilen der Welt als postheroische Immunschwäche abzutun. Selbst bei Linken entsteht häufig der Eindruck, Solidarität und Soldat hätten den gleichen etymologischen Ursprung.

Zuerst gehe ich auf die beiden ersten Punkte ein: die Verluderung des internationalen Rechts und die Remilitarisierung der Weltpolitik. Beide Entwicklungen sind engstens miteinander verbunden.

Vor gut einem Jahr wurde in der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift (ASMZ) der anfangs 2006 vom Pentagon veröffentlichte Quadrennial Defense Review Report vorgestellt. Der Autor der Besprechung, Albert A. Stahel, Professor an der Militärakademie der hiesigen Uni und Oberstleutnant, fasste den Report so zusammen:
„Erhaltung und Ausbau der riesigen Militärmaschinerie lassen nur einen Schluss zu: mit ihr sollen wichtige Rohstoffgebiete und strategische Schlüsselgebiete dieser Erde kontrolliert und schlussendlich die Weltherrschaft erlangt und erhalten werden.“ (ASMZ, 6 / 2006)

„Der Report selber spricht über weite Teile ungeheuchelten Klartext. So hielt dessen Herausgeber, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, unter dem Titel „The Long War“ unmissverständlich fest, worum es bei diesem geht:
„Dieser lange globale Krieg dient dazu, unsere Nation und ihre Interessen auf dem ganzen Globus auf Jahre hinaus zu verteidigen.“ Der neue Doppelbegriff „long and global war“ sollte den bisherigen Begriff „war on terror“ ablösen, der wegen dem Irak-Krieg, Abu Gharib, Guantanamo, Haditha und so weiter in Verruf geraten ist.

Zum lang dauernden und Welt umfassenden Krieg gehören auch humanitäre Aktionen. Im Report steht darüber in knappem Englisch: „They also demonstrate the goodwill and compassion ot the United States.“ Professor Stahel meint dazu in der ASMZ ebenso lakonisch: „Zu den weiteren Massnahmen gehört die humanitäre Hilfe, die sich im Sinne der Public Relations gut einsetzen lässt.“

Bereits der klassische Kolonialismus missbrauchte schöne Ideale für schnöde Interessen. Als die britische Armee Indien besetzte, tat sie es mit dem Argument, die Barbarei der Witwenverbrennung auszurotten. Als die Briten Indien verliessen, war sie viel reicher, die Inder viel ärmer und die Witwenverbrennung gab es immer noch. Als König Leopold mit dem päpstlichen Segen den Kongo kolonialisierte, was einem Drittel der Menschen das Leben kostete, lautete auch sein von naiven Idealisten geglaubtes Motiv, es ginge um die Befreiung Schwarzafrikas vom arabischen Sklavenhandel.

Übrigens sprechen auch die Strategiepapiere der Nato und der Europäischen Union (EU) eine viel ehrlichere Sprache, als man aufgrund der öffentlichen Rhetorik über „Menschenrechte“, „Demokratie“ und „Friedensförderung“ annehmen könnte. So ist in einer von den EU-Regierungen vor zwei Jahren beim EU-finanzierten Institute for Security Studies (ISS) in Auftrag gegebenen Studie zu lesen:
„Künftige regionale Konflikte könnten europäische Interessen tangieren (…), indem europäische Sicherheit und Wohlstand direkt bedroht werden. Beispielsweise durch Unterbrechung der Ölversorgung und/oder einer massiven Erhöhung der Energiekosten, der Störung der Handels- und Warenströme.“
Wie das konkret vor sich gehen könnte, illustriert folgendes Szenario: „In einem Land x, das an den Indischen Ozean grenzt, haben antiwestliche Kräfte die Macht erlangt und benutzen Öl als Waffe, vertreiben Westler und greifen westliche Interessen an.“ Ziel sei es, „das besetzte Gebiet zu befreien und die Kontrolle über einige der Ölinstallationen, Pipelines und Häfen des Landes x zu erhalten.“ Da die EU, die für solche Operationen eine Eingreiftruppe von bis zu 69'000 Soldaten und kleinere Kampfverbände namens „battle groups“ aufbaut, nicht damit rechnet, dass die UNO diese Neuauflage der altkolonialistischen Kanonenbootpolitik sanktionieren wird, verzichtete sie beispielsweise in der gescheiterten Verfassung wohlweislich auf ein UNO-Mandat.

Der globale Neomilitarismus, der den Kalten Krieg ablöste, verfolgt, wie ein nüchterner Blick auf die letzten zehn Jahre ergibt, sechs Hauptziele. Das erste ist die Sicherung der Rohstoffquellen und – routen.

Das zweite ist die strategische Kontrolle über die beiden aufsteigenden Wirtschaftsmächte China und Indien. Wenn es gelingt, über eine globale Hegemonie die Eliten der beiden Ländern, die selber nur über wenige Rohstoffe verfügen, einzubinden und notfalls zu erpressen, ist es möglich, von deren Massenheeren billiger Arbeitskräfte zu profitieren.

Drittens geht es darum, Migrationsströme mit militärischen Mitteln abzufangen. Genau so begründete anfangs Juli 2006 der VBS-Botschafter Raimund Kunz die Entsendung von Schweizer Soldaten nach Afrika. Eine der grössten Völkerwanderungen in der Geschichte der Menschheit, die auf uns zukommt, wird durch den Klimawandel verursacht werden. Das Pentagon berücksichtigt bereits heute entsprechende Szenarien bei seinen Planungen.

Der vierte in der Schweiz besonders leicht sichtbare Beweggrund für Auslandeinsätze liegt in der Relegitimierung von Armeen, die seit dem Ende des Kalten Kriegs unter einem grossen Sinndefizit leiden.

Der fünfte sind die Profite der Rüstungskonzerne. So wurde in den 1990er Jahren der für die Osterweiterung der Nato zuständige US-Ausschuss vom Vizepräsidenten des Rüstungskonzerns Lockheed Martin präsidiert.

Last but not least dient die Militarisierung der Aussenpolitik und die damit verbundene Spannungsstrategie der innenpolitischen Disziplinierung von Gesellschaften, die immer komplexer und unübersichtlicher werden. Die Angst vor dem Zerfall von Gesellschaften und der Drang, jene über starke Feindbilder zu bannen, gehört zu den konservativen Urreflexen.

Das wichtigste neue Feindbild nach dem Untergang der Sowjetunion ist der Islam. Die Islamophobie, wie der Judenhass eine alte abendländische Erblast, verbindet sich gerade bei den klassischen Trägern des Antisemitismus mit einer unkritischen Unterstützung Israels. In ihren Augen trägt Israel ähnlich wie bis vor wenigen Jahren Südafrika „the White Man’s Burden“ („ die Last des weissen Mannes“) in einem dem Abendland „feindlich“ gesinnten Umfeld. Das Irrwitzige an dieser Konstellation liegt darin, dass bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Juden den konservativen Abendländern als Abkömmlinge, wenn nicht Agenten eines fremden Morgenlandes galten.

Die humanitär-militärischen Symbiose führt dazu, dass das Militär das Humanitäre verschlingt. So sahen sich die Médecins sans Frontières vor zwei Jahren veranlasst, Afghanistan zu verlassen, nachdem sie 24 Jahre lang unter den Sowjets, den Warlords und den Taliban gewirkt hatten. Die USA, aber auch die Nato verunmöglichten mit ihrer Vereinnahmung des Humanitären dem angesehenen und unabhängigen Hilfswerk das Arbeiten.

Weiter muss heute festgestellt werden, dass das die Ideologie des humanitären Interventionismus mitverantwortlich ist für die neuen Rekordausgaben zugunsten des Militarismus. Im Jahre 2005 überstiegen die weltweiten Ausgaben für Armeen und Kriegsmaterial erstmals seit Ende des Kalten Krieges die Marke von 1 Billion US-Dollar. 40 bis 60 Milliarden, also rund ein Zwanzigstel davon, wären laut der Weltbank nötig, um die Milleniumsziele der UNO zu erreichen und die Armut auf der Welt zu halbieren. Letztes Jahr wurden weltweit 1204 Milliarden Franken für Militär und Rüstung ausgegeben, fast die Hälfte von den USA.

Damit wären wir bei der Volksinitiative für ein Verbot von Kriegsmaterialexporten. Die Schweiz exportiere letztes Jahr für 400 Millionen Franken Waffen. Etwa 70 Prozent der Exporte gingen an Armeen, die im Irak und/oder in Afghanistan Krieg führen. So ist Dänemark zum Hauptabnehmer aufgestiegen, weil es sowohl im Irak als auch in Afghanistan Truppen hat. Den zweiten und dritten Platz nehmen Deutschland und die USA ein.

Die Volksinitiative, die wir in einer Woche, am Weltfriedenstag, mit etwa 110'000 gültigen Unterschriften einreichen, hat einen alten und einen neuen Zweck. Der gute alte lautet: Die Schweiz soll nicht mit dem Tod Geschäfte machen. Der ebenso gute neue lautet: Die Schweiz soll dem globalen Krieg um Rohstoffe den Dienst verweigern, indem sie ihm weder Soldaten, noch Waffen zur Verfügung stellt.

Ein Auslöser für die Initiative war die Absicht des Bundesrates, ausgemusterte Panzer nach Pakistan und über die Emirate in den Irak zu senden. Finanzielle Interessen spielten bei einem Preis von 12'000 Franken pro Panzer eine marginale Rolle.

Es ging darum, den USA einen Kriegs-Dienst zu leisten. Zuerst einmal einen praktisch-militärischen: Die M113, insbesondere jene mit der Zusatzpanzerung, werden im Irak dringend benötigt.

Aber noch viel wichtiger war der symbolisch-politische Kriegs-Dienst. Schweizer Panzer im Irak hätte bedeutet, dass die Neutralität im Irak-Krieg auf Seiten der USA steht. Die USA haben ein riesiges Interesse, die Legitimitätsressource Neutralität anzuzapfen. Ihre wichtigsten Helfeshelfer im Bundesrat sind ausgerechnet die beiden SVP-Bundesräte. Die SVP ist neutral gegen die EU und neutral für die USA.

Unsere Volksinitiative dient also auch dazu, das Konzept einer aktiven, weltoffenen Neutralität zu fördern. Sie hat zusätzlich eine präventive Wirkung für die innere Sicherheit. Schweizer Panzer, aber auch Soldaten im long and global war rücken unser Land ins Fadenkreuz des Terrorismus.

Es ist ebenso zynisch wie kohärent, wenn der gleiche Armeegeneral und derselbe Militärminister mit dem Verweis auf die Terrorgefahr die Militarisierung der inneren Sicherheit vorantreiben und gleichzeitig, die Schweiz ins Schlepptau der Nato und der USA bringen und damit das Anschlags-Risiko erhöhen.

Schliesslich geht es uns mit der Volksinitiative für ein Verbot von Kriegsmaterialexporten um unser Kernziel: die Zivilisierung der Köpfe! Wir wollen die Einsicht verbreiten, dass Gewalt Probleme nicht löst, sondern vervielfältigt.

Dass in zivilen Lösungen viel mehr Potential steckt, wenn man sie ernsthaft sucht. Aber zivile Lösungen kann nur ernsthaft suchen, wer sich vom Irrglauben an militärische Lösungen emanzipiert hat. Wer seinen Haushalt an schöpferischen Phantasien fürs Militärische verschwendet, dem fehlen sie für zivile Alternativen.

(Klammer: Wir sind keine Fundamentalpazifisten. Wir wissen, dass es Ausnahme-Situationen gibt, wo Gewalt die Voraussetzung für zivile Lösungen schaffen kann. Aber sie kann das nur, wenn sie völkerrechtlich legitimiert ist und durch die UNO selber ausgeübt wird. Das sind die Lehren der letzten 10 Jahre. Zudem wären praktisch alle Situationen, wo sich die Ausübung von Gewalt aufdrängt, zu verhindern gewesen, wenn rechtzeitig die richtige zivile, wirtschaftliche, soziale, ökologische Politik betrieben worden wäre.)

Unsere Initiative will einen Beitrag leisten für einen radikalen Wandel im Denken und Handeln, auch der Linken. Die Innen- und Aussenpolitik soll sich an dem orientieren, was Micha so schön gesagt hat: „Und das Kriegshandwerk werden sie nicht mehr lernen. Und ein jeder wird unter seinem Weinstock sitzen und unter seinem Feigenbaum.“

Willy Brandt hat es ähnlich ausgedrückt: „Der Friede ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“

Josef Lang, Nationalrat Alternative Kanton Zug, Vertreter der Grünen Fraktion in der Sicherheitspolitischen Kommission, GSoA-Vorstand (www.joseflang.ch)