GSoA Vollversammlung 2005

Die Vollversammlung im Restaurant Kreuz in Nidau stand ganz unter dem Thema der Inneren Armeeeinsätze. Nach einer Begrüssung rollten vier GastrednerInnen das Thema aus verschiedenen Perspektiven auf. Martin Schaub, Assistent am Institut für öffentliches Recht der Universität Zürich, analysierte verfassungsrechtlichen Aspekte. Barbara Müller von der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit sprach über Sicherheitsbedürfnisse. Sie zitierte etwa aus einer ETH-Studie zu den Ängsten der Schweizer Bevölkerung. Die militärisch-polizeiliche Sicherheit steht hier lange nicht an erster Stelle. Gerade für junge Frauen sei beispielsweise häusliche Gewalt das höchste Todesrisiko. Jo Lang, Mitglied GSoA-Koordination und für die Alternative Zug im Nationalrat suchte nach politischen Gründe für Innere Einsätze und kam zum Schluss, es handle sich in erster Linie um ein Legitimationsprojekt der Armee. Catherine Weber, Aktivistin der Demokratischen JuristInnen, diskutierte das Thema unter dem Aspekt der Aufweichung des staatlichen Gewaltmonopols. Nicht nur die Armee sondern auch private Sicherheitsfirmen übernehmen in der Schweiz immer mehr Polizeiaufgaben. Sie kritisierte auch den militärischen Geheimdienst, der ohne demokratische Kontrolle agiert und national wie international mit Geheimdiensten zusammenarbeitet.

Am Nachmittag wurden die Themen in Arbeitsgruppen vertieft diskutiert. Die eine oder andere Idee daraus dürfte in den nächsten Monaten sichtbar werden…

David Buchmann: Begrüssung

“Die Armee schafft sich ab!”, konnte man vor zwei Wochen im Beobachter lesen. Der Nationalrat weigerte sich – zum ersten Mal in der Geschichte der Eidgenossenschaft – das Rüstungsprogramm anzunehmen. Dazu kam es, weil neben der Ratslinken auch viele Rechtsaussen gegen das Programm stimmten. Zankapfel war der Kauf von zwei Transportflugzeugen für Auslandeinsätze. Dass das VBS sogar von der Stahlhelmfraktion im Stich gelassen wurde, ist ein Zeichen für die tiefe Sinnkrise der Armee. Aber machen wir uns keine Illusionen: Die Armee wird sich nicht selber abschaffen, dazu braucht es weiterhin unser Engagement in der GSoA.

Ich möchte euch im folgenden – anstelle eines formellen Jahresberichtes – einige Punkte der Arbeit der GSoA im Jahr 2004 in Erinnerung rufen. Dieser persönliche Bericht aus der Koordination hat daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das wäre bei der Vielzahl von Aktivitäten, die von Menschen in der GSoA geleistet werden, auch kaum möglich.

Zu den Aktivitäten der GSoA-Koordination:

In der Koordination diskutieren wir alle wesentlichen Entscheide und beschliessen Aktivitäten. Wir treffen uns regelmässig einmal im Monat. Hier bereiteten wir Auftritte der GSoA vor, etwa die Pressekonferenzen gegen die Ausweitung der inneren Einsätze, zum WEF-Verweigerungsaufruf und gegen die Beteiligung an der EU-Truppe in Bosnien. Oder auch die zahlreichen Aktionen, etwa gegen die RUAG oder vor dem Bundeshaus. Die Koordination ist auch der Ort, an dem wir unsere Positionen zu sicherheitspolitischen Fragen diskutieren – aktuell beispielsweise zur Frage der Wehrpflicht, die im Sommer 2004 einigen Wirbel verursachte. Diese Absprache in der Koordination war auch Voraussetzung für die gute Zusammenarbeit mit Jo Lang, der die Interessen und Ideale der GSoA seit 2003 auch im Nationalrat vertritt. Aus dieser Zusammenarbeit sind unter anderem Vorstösse entstanden, die Jo im Parlament einreichen konnte. Über Jo hat die Koordination auch die Möglichkeit bekommen, schneller Informationen aus dem VBS zu erhalten.

Im Sommer 2004 fand neben der monatlichen Koordination auch noch jeden Monat eine Kampagnensitzung statt, zur Vorbereitung der Aktivitäten gegen den Kauf neuer Kampfflugzeuge. Das mittlerweile gegründete Organisationen-Bündnis gegen neue Kampfflugzeuge ist ein direkter Erfolg dieser Arbeiten.

Die Koordination hat im letzten Jahr zu einem grossen Teil aus Mitgliedern der Sekretariatsgruppe bestanden. Hier möchten wir längerfristig wieder eine grössere Breite schaffen, denn die Diskussionsbeiträge von Freiwilligen sind ein unersetzlicher Beitrag an das Funktionieren der GSoA-Koordination. Ihr seid also eingeladen, euch auf die Koordinationsliste einzutragen.

Erfreulich war, dass sich im letzten Jahr fast immer alle Regionalgruppen an der Koordination beteiligen konnten.

Zu den Arbeiten der Sekretariatsgruppe:

Die Sekretariatsgruppe der GSoA, im Jahr 2004 aus ca. 150 Lohnprozenten zusammengesetzt, hat einen Grossteil der administrativen Arbeiten, die im Rahmen von Koordinationssitzungen beschlossen wurden, ausgeführt. Letztes Jahr erlebten wir einige Wechsel: In Basel hat Barbara Heer schnell und mit grosser Zuverlässigkeit einen Grossteil der Arbeiten übernommen, die vorher von Reto Leuenberger ausgeführt worden waren. Reto, momentan in Genf im Zivildienst, bleibt weiterhin Mitglied der Koordination. Wir sind froh darüber und möchten uns bei ihm für die tolle Arbeit, die er in den letzten Jahren in Basel geleistet hat, ganz herzlich bedanken. Nico Lutz, stolzer Vater von Florian geworden und mit neuer Stelle bei der unia, musste in der GSoA Bern kürzer treten, steht uns aber mit Rat und Tat weiterhin zur Seite. Nicos Verdienste um die GSoA müssen wohl kaum hervorgehoben werden, sein Arbeitseifer hat die GSoA in den letzten Jahren geprägt. Nico, ganz herzlichen Dank für deinen bisherigen Einsatz in unserer Organisation!

Zur Verstärkung des nationalen Sekretariats können wir seit Herbst 2004 auf Tom Cassee zählen. Tom war in den letzten Jahren für die Juso massgeblich an der Kritik gegen das World Economic Forum in Davos beteiligt; wir freuen uns sehr, dass er mit uns weiterdenkt, wie wir auf eine zivilere Schweiz in einer friedlicheren Welt hinarbeiten können.

Die anderen im Jahr 2004 angestellten Mitglieder der Sekretariatsgrupppe – Giancarlo, Tobia und Gaetan in Genf. Lena und Luzia in Basel, David, Sämi und Maja in Bern sowie Stefan in Zürich – müssen an dieser Stelle unerwähnt bleiben, doch wir bedanken uns auch für ihren grossen Einsatz.

Zum Schluss:

Die grössten Verdienste um die GSoA haben aber diejenigen tausende Menschen in der Schweiz und im Ausland, die unsere Arbeit finanziell unterstützen und uns mit Telefonanrufen, Emails, Zuschriften und Leserbriefen kritisch und anregend begleiten. Ihnen gebührt der grösste Verdienst dafür, dass die GSoA zukünftige Aufgaben zuversichtlich angehen kann.

David Buchmann, Sekretär und Koordinationsmitglied GSoA


Barbara Müller: Innen und Aussen

Sicherheit wird bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts verstanden als Lebens-Sicherung und verbunden mit Begriffen wie Eigentum, Wohlfahrt, Ruhe und Frieden. Verantwortlich für den Schutz dieser Güter sind Obrigkeit oder Staat. Dieses wohlfahrtstaatliche Verständnis von Sicherheit wird in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts durch Fragen nach Sicherheit vor ökologischen Katastrophen und den Risiken der technologischen Entwicklung ausgeweitet. In den 90er Jahren kommt mit der «inneren Sicherheit» eine neue Dimension hinzu, die zunehmend die Aspekte der sozialen Sicherheit überlagert und sich eher nach der Abgrenzung gegen «Aussen» denn nach einem Schutz des «Innen» richtet. Immer mehr ist denn auch nicht mehr die «Politik» zuständig für die Garantie dieser Sicherheit, sondern die Militär-Strategen. Nach dem 11. September ist diese Entwicklung noch einmal in eine neue Phase getreten, das innen vs. aussen wurde im Diskurs ergänzt durch das zivilisiert vs. archaisch, das fortschrittlich vs. rückständig und das vielzitierte Gute vs. das Böse. Daraus entstand das heute verbreitete nationalistisch, ethnisierend und kulturell gefärbte Stereotyp der westlichen, stabilen, aufgeklärten und demokratischen Rechtsstaaten auf der einen Seite und der politisch instabilen, kulturell fremden, tendenziell korrupten und von Machteliten oder religiösen Fundamentalisten beherrschten Staaten des Südens auf der anderen Seite. Die «Andern», die von «aussen», erscheinen nun auch innerhalb des Systems als Bedrohung für die eigene Sicherheit, wobei Kultur, Herkunft und Geschlecht wichtige Unterscheidungs- und Zuschreibungskriterien sind. Geht man von einem solchen Bedrohungsszenario aus, ist die Abgrenzung und Ausgrenzung ein naheliegendes Denkschema, und es erscheint nur logisch, dass das «Innen» vor den Gefahren durch das «Aussen», geschützt werden muss. Ob mit dem «Innen» in unserem Fall die Schweizer und Schweizerinnen gemeint sind oder gar alle in der Schweiz lebenden Personen, oder nicht vielmehr die Schweiz als Wirtschafts- und Handelsplatz, als Veranstaltungsort des WEF, als Verhandlungspartnerin der EU und als Möchtegern-Partnerin der NATO, sei dahingestellt.

Die ETH-Studie «Sicherheit 2004» kommt zum Schluss, dass sich 85% der Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger «sehr» oder «eher sicher» fühlen. Interessant ist, dass bei den Sicherheitsaspekten nicht die Sicherheit vor Terrorismus oder Verbrechen an erster Stelle steht, sondern soziale Sicherheitsaspekte im Bereich Gesundheit, Einkommen und Arbeitsplatz. Betrachten wir die Sache aus der Geschlechterperspektive, fühlen sich die Frauen wesentlich unsicherer als die Männer. Nur 23% der Frauen fühlen sich «sehr sicher» gegenüber 37% der Männer. Dieses Ergebnis wäre wahrscheinlich noch unterschiedlicher, würden explizit genderspezifische Fragen gestellt.

Eine Genderperspektive einzunehmen bedeutet, die Frage zu stellen, wer, unter welchen Voraussetzungen, in welcher Situation, mit welchen Interessen, wie spricht.
Um herauszufinden, weshalb Frauen und Männer in der Schweiz sich so unterschiedlich «sicher» fühlen, bzw. dieses «sicher» so unterschiedlich definieren, lohnt sich ein Blick auf die Liste der Antwortmöglichkeiten, welche in der Studie «Sicherheit 2004» angeboten werden. Da fehlen aus einer feministisch friedenspolitischen Betrachtungsweise Aspekte wie

  • Die Sicherheit vor Ausbeutung der Arbeitskraft
  • Die Garantie von Bewegungsfreiheit und der Zugang zu objektiver Information
  • Der Schutz vor sexueller Gewalt und Belästigung
  • Das Recht, den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin zu wählen und über die Anzahl der Kinder und die Formen der Lebensplanung zu entscheiden
  • Der Schutz von körperlicher Unversehrtheit
  • Der Schutz vor häuslicher Gewalt.

Zwar ist eine allgemeine Frage über die Wichtigkeit einer «guten, sicheren familiären Beziehung und Geborgenheit» aufgeführt, und in der letztjährigen Studie (sie kommt jährlich heraus) werden zum ersten mal auch Fragen nach dem «Schutz vor Gewalt» und einer «gesicherten Gesundheitsversorgung» gestellt. Sie sind aber überhaupt nicht geschlechtsspezifisch oder -sensibel gestellt, und ich bin mir fast sicher, dass auch die Massnahmen, um diese Sicherheit zu gewährleisten, nicht nach geschlechtsspezifischen Kriterien erarbeitet werden.

Ich möchte dies an einem Beispiel aufzeigen: Eine der Fragen im Bericht «Sicherheit 2004» geht darum, ob mann oder frau damit einverstanden ist, dass es für unsere Sicherheit wichtig ist, dass auf öffentlichen Plätzen und in öffentlichen Verkehrsmitteln vermehrt Überwachungen per Video stattfinden. Fast 25% der Frauen und 21% der Männer sind damit einverstanden. Im selben Frageblock geht es auch um die Kontrolle des Ausländeranteils in der Schweiz und um ein härteres Durchgreifen der Polizei gegen gewaltbereite Demonstranten, womit implizit auch gleich angetönt ist, wer die öffentlichen Plätze und Verkehrsmittel «unsicher» macht.
Wen erstaunt es, dass von den Befragten allgemein repressive den integrativen Massnahmen zur Gewährleistung der inneren Sicherheit vorgezogen werden?
In der Folge wird also in einen Überwachungsstaat investiert, es werden Kameras installiert, 24 Stunden-Videoaufnahmen gemacht, es werden in immer mehr Schweizer Städten Wegweisungsgesetze erlassen – und den Leuten wird vorgemacht, dass sie sich jetzt sicher fühlen können. Würde man aber die Frage andersrum stellen, nämlich danach, WOVOR sich die Männer und Frauen fürchten auf öffentlichen Plätzen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, müsste man als Massnahme vielleicht städtebauliche Veränderungen vornehmen, mehr Licht in Parkhäusern und Pärken installieren und Geld in zivile ZugsbegleiterInnen investieren.

Die Kontextabhängigkeit des Redens über Sicherheit wird auch deutlich in der Nationalfondsstudie «Gewalt im Alltag und organisierte Kriminalität», die im Jahr 2002 erschienen ist. Diese Studie kommt nämlich zum Schluss, dass «Gewalt in der Schweiz kein Problem ist, welches die innere Sicherheit des Landes bedroht, hingegen im sozialen Nahraum und in der Familie präsent ist.» Interessanterweise sind es ja z.T. gerade jene Mittel, welche von Sicherheitsexperten angewendet werden, um uns gegen «aussen» zu schützen, welche das «innen» – ich meine damit jetzt den Privatraum – bedrohen: Exzessive Kontrolle und Waffen. Es erstaunt deshalb nicht, dass nur 5% der Frauen (im Gegensatz zu 20% der Männer) befürworten, dass in der Schweiz fast jeder Soldat eine Waffe und Munition zu Hause hat.
Hier entdecken wir also noch eine neue Dimension von «Innen», den privaten Raum, für den sich unsere SicherheitsexpertInnen nicht wirklich zuständig fühlen. In diesem «Innen» spielt sich all das ab, nachdem in der ETH- Studie nicht gefragt wurde: Die Ernährung, das Wohnen, die Beziehung, das Familienleben, die Sexualität, die freie Entscheidung über Ausbildung und Berufswahl. Dieses «Innen» sind die Menschen jedoch je länger je lieber bereit, nach aussen zu kehren. Niemand fragt sich mehr, was Coop und Migros mit den Informationen machen, die sie via Supercard und Cumulus über unser Einkaufsverhalten erfahren, alle lassen wir die Mitmenschen an unseren Telefongesprächen via Handy teilnehmen und unterdessen sind wir auch bereit, persönliche und intime Fragen zu beantworten, wenn wir in oder über die USA reisen.

Wenn wir nun die Zwiebel soweit geschält haben, dass wir vom «Innen» eines Nationalstaats noch weiter vorgedrungen sind zum «Innen» des Privatraums, haben wir verschiedene Räume feministischer Sicherheitspolitik durchquert. Die feministische Friedenspolitik geht von einem umfassenden Verständnis von Sicherheit aus, das kontextabhängig definiert ist und den Privatraum ebenso wie die gesamtgesellschaftliche Ebene einbezieht. Entsprechend gehen wir davon aus, dass die verschiedenen Ebenen des «Innen» und des «Aussen», nicht von einander getrennt werden können, weder in der Reflexion noch in der Projektarbeit. Wir suchen nach Zusammenhängen zwischen militaristischen innen- und aussenpolitischen Sicherheitsdiskursen und der Konstruktion von Frauenbildern, die Gewalt gegen Frauen tolerieren oder legitimieren. Wir fragen also nach der Wechselwirkung zwischen dem «Aussen» und dem «Innen» und suchen nach Möglichkeiten, diese Dichotomie zu durchbrechen.
Und wir kommen zum Schluss, dass Sicherheit unteilbar ist. Eine Sicherheit, die nicht auf technische oder militärische Beherrschung von Bedrohungen setzt, muss sich an den Sicherheitsbedürfnissen der Menschen orientieren, statt an einer abstrakten nationalstaatlichen oder inneren Sicherheit, die sich in Abgrenzung zu einer Bedrohung von aussen definiert. Sie kann sich nicht auf die polizeiliche oder militärische Abwehr von Symptomen gesellschaftlicher Fehlentwicklungen konzentrieren, sondern braucht Lernprojekte im Umgang mit Differenzen. Aspekte davon sind: Mehrdimensionalität, Perspektivenvielfalt, Solidarität, Kontextualität, Inklusivität und die Verknüpfung unterschiedlicher Handlungsebenen.

Barbara Müller ist Mitarbeiterin der cfd Frauenstelle für Friedensarbeit.


Josef Lang: Eine Armee auf der Suche nach Ersatzbeschäftigung

Aktuelle Lage

Über die Ostertage überwachte eine militärische Drohne aus der Luft den Verkehr auf der Gotthardautobahn. “Warum wird Kriegsgerät für die zivile Verkehrsüberwachung eingesetzt?” Diese Frage stellte die SonntagsZeitung in ihrem Kommentar vor einer Woche unter dem Titel “Undemokratisch”. Und gab darauf eine GSoA-Antwort: “Die Armee ist auf der Suche nach Ersatzbeschäftigung.” Der Redaktor Andreas Durisch, der bislang weder als Linker noch als Antimilitarist aufgefallen ist, fragte weiter. “Müssen wir damit rechnen, dass bald einmal 27 Drohnen der Schweizer Armee den stauanfälligen Berufsverkehr in den Agglomerationen dauernd überwachen?” Seine Haltung deckt sich mit unserer: “Eine Armee, die zur Überwachung ihrer Bürger eingesetzt wird, passt nicht zur liberalen Demokratie.” (27.3.05.)

Letztes Jahr wurden gut 280’000 Diensttage für so genannte subsidiäre Sicherungseinsätze geleistet. Das ist das Fünffache dessen, was 2001 geleistet wurde. Aber 20% weniger als 2003. “Der Rückgang von rund 20% ist hauptsächlich auf den Wegfall personalintensiver Einsätze wie anlässlich des G8-Gipfels, der Ski-WM in St. Moritz sowie der Beendigung der Einsätze ,Chekpoint’ (Bundeshaus) und ,AIGLE’ (Schweizer Botschaft in Algerien) zurückzuführen.” (VBS, 26. 1. 05)

Die wichtigsten Einsätze im vergangenen Jahr waren “AMBA CENTRO” (Botschaftsbewachungen) und “LITHOS” (Grenzwachtkorps-Verstärkung durch Angehörige der Militärischen Sicherheit). Hinzu kamen der WEF-Einsatz, die Flugsicherung und die Zypernkonferenz auf dem Bürgenstock.

Die Absichten

Die Absichten der meisten Armeeanhänger ist eine Ausweitung der Inneren Einsätze. Der Armeechef Christoph Keckeis gab in einem Interview mit Le Temps im letzten Sommer die innere Sicherheit als “zukünftige Priorität der Armee” bekannt. Bis Ende 2007 sollen 40 bis 45 Prozent aller Bataillone zur Erfüllung von Assistenzdiensten und zivilen Überwachungsaufträgen eingesetzt werden. (16.7.04) Die Schweizerische Offiziersgesellschaft setzt in ihrer “Eingabe an den Bundesrat” vom 5. September 2004 unter dem Titel “Unsere Armee braucht ein klares Profil”: ein grosses Gewicht auf die “Homeland Security”. Damit meint sie den “Schutz von Räumen, Objekten, Personen und Infrastrukturen”. Die SOG betont, dass die “Abgrenzungen zwischen innerer und äusserer Sicherheit fliessend werden”. (S.7) Aber gerade diese Unterscheidung bot die funktionale Basis für die Aufgaben- und Gewaltenteilung zwischen Polizei und Armee durch die Französche Revolution und den politischen Liberalismus.

Aber selbst die Militärverantwortlichen der SPS begründen in einem Konzeptpapier vom 26. Februar 2005 die Notwendigkeit einer 50’000 Personen starken Armee mit folgender Aussage: “Sollte es aber beispielsweise notwendig sein, die Eisenbahnlinie Bern-Zürich durchgehend vor angedrohten terroristischen Anschlägen zu schützen, wird ein Armeeeinsatz unverzichtbar sein, um die Sicherheit der Menschen zu wahren.” (5)

Selbst in der SP, genauer: im VBSnahen Flügel, der in der Sicherheitspolitik das Sagen hat, gab es eine Gewichtsverschiebung von Auslandeinsätzen zu Inlandeinsätzen. Zu den Auslandeinsätzen steht im zitierten Papier: “Die Schweizer Armee muss die Fähigkeit haben, bis zum Ausmass von 1’500 Soldaten permanent im Ausland zu sein.” (4) Das sind zwar bedeutend mehr, als es heute sind. Aber viel weniger, als der SBS wie auch dem VBS vor Jahren noch vorgeschwebt sind. Im VBS hatte man noch 1999, als man an einen starken Ausbau der Auslandeinsätze glaubte, den völligen Rückzug der Armee aus der Inneren Sicherheit erwogen.. Letzteres fordert nun die Grüne Fraktion mit einer parlamentarischen Initiative, die im Juni oder im September vor den Nationalrat kommt. Der Vollständigkeit halber ist zu sagen, dass das erwähnte SPS-Papier “den militärischen Ordnungseinsatz weiterhin als grundsätzlich falsch” ablehnt. Und auch “die Tendenz” bekämpft”, dass zivile Behörden immer häufiger die Armee zu Schutz- und Bewachungsaufgaben heranziehen.” (4/5). Korrekter wäre es allerdings zu schreiben, dass sich die Armee immer mehr den zivilen Behörden aufdrängt.

Die Gründe

Die Remilitarisierung der inneren Sicherheit dient vor allem der Relegitimierung einer Armee, der der bö fei abhanden gekommen ist und die u.a. wegen der militärischen Marginalisierung der UNO im Ausland blockiert ist. Der Chef Armee sagte während des WEF 2004: “Sie dürfen nicht vergessen, dass solche Einsätze auch einen Image-Gewinn für die Armee bedeuten.” (St. Galler Tagblatt 24.1.04) Bruno Lezzi stellt im gestrigen NZZ-Inland-Leitartikel unter dem Titel “Die Armee braucht klarere Perspektiven” klar, dass eine Armee ohne “entsprechende Bedrohung” und ohne “subsidiäre Sicherungseinsätze” eine “zu schmale Legitimationsbasis” hat. (2./3. 4. 05)

Ein wichtiger Grund für die Umlagerung auf innere Einsätze liegt im Parteipolitischen: Hier gibt es im Unterschied zu den anderen beiden Armee-Aufgaben einen Konsens der drei bürgerlichen Parteien, für den unter dem Schlagwort “Terrorgefahr” auch die SPS, genauer dessen VBSnahe Flügel, zu gewinnen wäre. Hier gibt es auch keinen Widerspruch zwischen den SVP-Bundesräten selber und zwischen Schmid und seiner Partei. Die SVP, die anfänglich etwas reservierter war, sieht in der Militarisierung der inneren Sicherheit Einsatzchancen für ein Miliz-Massenheer. Zudem passen die Inneren Einsätze bestens zu ihrer Fremden-, insbesondere Islamfeindlichkeit. Schliesslich gehört die Spannungsstrategie ohnehin zu den klassischen Kerngeschäften der Rechten.

Wenn man dem Chef Armee und dem VBS Chef zuhört, hat man oft den Eindruck, der Schwarze Block müsse den riesigen Platz ausfüllen, den früher die Rote Armee besetzt hat. Die militärische Flucht nach vorn in die Inneren Einsätze verbindet sich mit einer ideologischen Hetze gegen Andersdenkende. Aktuelle Beispiele sind der Extremismus-Bericht und das WEF-Kommuniqué der beiden SVP-Bundesräte: “Für das WEF 05 und das WEF 06 besteht grundsätzlich das Risiko der Beeinträchtigung der inneren Sicherheit (das tönt noch harmlos, aber jetzt kommt’s) in Form von gewalttätigen Demonstrationen verbunden mit Plünderungen, von Angriffen auf Personen, Sabotageaktionen (auch dezentraler Aktionen) oder Terroranschlägen.” (15.9.04)

Josef Lang, Nationalrat Alternative Zug, Vertreter der Grünen Fraktion in der Sicherheitspolitischen Kommission, GSoA-Vorstand


Catherine Weber:

Der Begriff der inneren Sicherheit ist irgendwie ein Phantom. Jeder kann damit machen was er will, in den Begriff interpretieren was ihm gerade so passt.
Der Bundesrat und die bürgerliche Parlamentsmehrheit im Bundeshaus haben sich diesen Begriff in den letzten Jahren angeeignet. Sie haben ihn regelrecht missbraucht, um ihre Repressionsvisionen auf der Ebene Polizei, Staatsschutz, Strafrecht auszubauen. Dazu, liebe GSoAtInnen gehört auch das Projekt Schengen und Dublin. Die angeblich wegfallende Grenzkontrolle mit Schengen wir durch, mit Sicherheit willkürlichen Polizeikontrollen im Land kompensiert werden. Sie führt uns – davon bin ich leider überzeugt – sie wird uns an einen Punkt führen, den wir bisher zum Glück nicht gekannt haben, die Ausweistragepflicht. Schon heute werden, zugunsten der Wahrung der inneren Sicherheit, im öffentlich Raum Personen willkürlich kontrolliert von der Polizei: Ausländisch aussehende Menschen aber ebenso vor allem Jugendliche, die nicht ganz proper aussehen. Soviel zur nahen Zukunft.

Ich möchte Euch aber erst einmal in das Jahr 1989 zurückführen, genauer gesagt in die Zeit um den 22. / 26. November 1989.

Für die Jüngeren unter Euch ein möglicherweise nicht sehr präsentes Stück Schweizer Geschichte – ausser natürlich das fulminante Abstimmungsresultat der GSoA Initiative – für die etwas Älteren ist es eine Art Auffrischung des Gedächtnisses.

Zwei Tage vor der legendären Abstimmung über die 1. GSoA Initiative ist der PUK EJPD Bericht erschienen. Dieser Untersuchungsbericht über die Machenschaften der Verwaltung im EJPD – ausgelöst von der damaligen Bundesrätin Elisabeth Kopp (auch für die Kopps ist noch längst nicht alles ausgestanden) wurde in den Räumlichkeiten der Verwaltung ganz gut fündig: Die politische Polizei führte über Jahrzehnte – ohne gesetzliche Grundlage dafür voll und ganz der inneren Sicherheit verpflichtet – über 900’000 Personen und Organisationen Karteikarten, die sog. Fichen und kiloschwere Dossiers.

Die GSoA etwa oder die AktivistInnen gegen den Waffenplatz Neuchlen-Anschwilen wurden noch Tage vor Auffliegen dieses Skandals munter beobachtet und fichiert.

Unter vielem anderem wurde dabei auch öffentlich, dass der militärische Nachrichtendienst heftig mitgeschnüffelt hatte, bzw. dass die auf geheimem Wege erhaltenen Personendaten und Daten über Organisationen rege ausgetauscht worden sind zwischen dem EMD und dem EJPD und den Staatsschutzdiensten der Kantone und grösseren Städte.

Der Skandal war so gross, dass das Parlament kurzerhand auch eine Untersuchungskommission für das EMD beschloss. Dieser Bericht förderte zutage, dass im militärischen Nachrichtendienst rund 8000 Karteikarten und Dossiers bearbeitet wurden über suspekte Personen innerhalb und ausserhalb der militärischen Institutionen, Dienstverweigerer oder Militär- und Waffenplatzgegner. Und es gab eine separate Kartei über sog. kritische Offiziere.

Dabei war es weitgehend den Medien zu verdanken, dass nebenbei noch herauskam, dass und wie auch die Schweiz ins Gladio-Netz eingesponnen war mit einer Geheimarmee und einem geheimen Militärischen Stab – P26 und P27 genannt.

Kommen wir zurück in die Gegenwart. Bundesrat, bürgerliche Parlamentsmehrheit und die Staatsschützer haben natürlich aus dem Fichenskandal ihre Lehren gezogen: Es ist heute alles per Gesetz, Verordnungen und Wiesungen geregelt, also alles legal – vor allem aber: es ist alles computerisiert und technologisiert und es gibt kein Einsichtsrecht mehr. Zu unser aller inneren Sicherheit.

Die Staatsschützer haben sich auch neue Feindbilder geben müssen. Bis Ende der Siebziger Jahre war vor allem der Kommunismus und alles was man diesem Umfeld zuordnete die grösste Staatsbedrohung. Danach kamen die neueren sozialen Bewegungen dazu, denen man – weil nur schwer fassbar – alles zutraute.

Ich habe Euch dazu ein historisches Dokument mitgebracht aus der Zeit des Komitees Schluss mit dem Schnüffelstaat: Über die Einsicht in die Fichen gelang es, die von den Staatsschützern kreierte Akten-Nummerierung, oder besser gesagt Feindbild-Nummerierung zu knacken. Die Liste zeigt recht eindrücklich, wer da alles unter teils ständiger Beobachtung und Abhörung gestanden ist, oftmals über Jahre oder gar Jahrzehnte.

Heute heissen die Feindbilder organisierte Kriminalität, Extremismus, Terrorismus – es sind dies, je nach politischer Opportunität dehnbare und oft auch saisonale Begriffe. Wir wissen aber, dass im Staatsschutz-Computer-System ISIS immer so an die 60’000 Personen und Organisationen registriert sind, von denen man annimmt, sie könnten dereinst in irgend einer Form die innere Sicherheit gefährden. Ein grosser Teil dieser Staatsfeinde – auch das war schon früher so – sind Ausländerinnen und Ausländer, Migrantinnen und Migranten.

Handfester wird es dann, wenn wir selber erleben müssen, dass – im Namen der inneren Sicherheit – friedliche Kundgebungsteilnehmende, Aktivistinnen und Aktivisten registriert werden, Stichworte hiezu: Genua, Landquart, G8 in Genf und Lausanne, Anti-WEF Demo in Bern vom Januar 2005. Aber auch: Fussballfans (längst nicht bloss die ganz toughen Hooligans), HausbesetzerInnen, Engagierte für abgewiesene Asylsuchende und Sans papiers etc. Was mit diesen Daten geschieht, was genau über uns gespeichert wird, an wen diese Daten weitergegeben werden – das alles wissen wir nicht, denn schliesslich ist ja hier ein Geheimdienst an der Arbeit. Wir merken es allenfalls bei einem Berufsverbot oder bei einem Aus- oder Einreiseverbot oder wenn wir aus dem Nichts in irgend ein Verfahren verwickelt werden.

Eine der sogenannten Lehren aus diesen Skandalen meinte das Parlament gezogen zu haben, indem es verlangte, dass diese Nachrichtendienste – der militärische und quasi zivile polizeiliche – künftig strikte getrennt werden sollten.

Das tat man zwar auch – aber in den letzten Jahren gab es wiederum eine Annäherung, die operativen und gesetzgeberischen Grenzen der verschiedenen Nachrichtendienste sind am verwischen. So kann etwa der militärische Nachrichtendienst – aber auch die Militärjustiz – jederzeit problemlos beim Staatsschutz (die Abteilung heisst heute Dienst für Analyse und Prävention DAP) Daten verlangen. Das steht so in der Verordnung zum Staatsschutz-Computersystem ISIS.

Umgekehrt gilt natürlich auch.

So erlaubt etwa die Verordnung über die Elektronische Kriegsführung dem DAP, dass er elektromagnetische Ausstrahlungen von technischen Anlagen oder Telekommunikationssystemen aus dem Ausland erfassen und auswerten darf. Ich muss wohl nicht länger ausführen was damit gemeint ist.

Was der DAP seit dem Fichenskandal grade mal selber noch nicht darf, früher halt einfach so gemacht hat ist: Es ist ihm per Gestz verboten, direkt und eben ohne jeglichen Verdacht auf eine möglicherweise strafbare Handlung Telephone, Fax und E-Mails abzuhoren sowie in privaten Räumen Wanzen zu pflanzen.

Es gibt natürlich seit dem 11. September auch in der Schweiz eine ganze Reihe von bürgerlichen Vorstössen im Parlament, die genau dies und noch viel mehr wieder verlangen. Nur mit der Einschränkung der Grundrechte und des Datenschutzes könne man den Terrorismus wirksam bekämpfen, sagen sie.
Es wird sich zeigen, wieweit der Bundesrat diesem Druck nachgeben wird oder eben nicht.
Aber auch: Ob es uns gelingen wird, dagegen genügend starken Widerstand aufzubauen, ob wir genügend politische Kräfte finden, um den steten Abbau unserer Grundrechte endlich einmal zu stoppen.

Dass die Schweiz diesbezüglich auch von den USA enorm unter Druck gesetzt wird liegt auf der Hand.
Das war im übrigen schon beim Fichenskandal so: Der CIA hatte damals dem Bundesrat gedroht, dass er von den USA keine Geheimdienstinformationen mehr bekomme, wenn er den Fichierten Einsicht in ihre Akten gewähre. Zum Glück war damals der Druck von der Strasse grösser als der von Big Brother.

Festzuhalten an dieser Stelle bleibt noch einmal:
Der Staatsschutz überwacht ohne konkreten Verdacht, er ist also sozusagen rein präventiv, im Vorfeld vom Vorfeld tätig, eine auch nur mutmasslich eventuell mögliche Begehung einer Straftat liegt in weiter Ferne.

Die Staatsschützer ihrerseits dürfen völlig legal alles, was an Informationen irgendwie zugänglich ist registrieren, auch Informationen durch Befragung von Arbeitgebern, Nachbarn, Ärzten, Lehrern, Sozialarbeitenden, Gemeindebehörden. Auch was sie im öffentlichen Raum beobachten – z.B. an öffentlichen Veranstaltungen, an Demonstrationen oder bei Treffen von Leuten im öffentlichen Raum – darf fein säuberlich registriert werden, auch mit Bild- und Tonaufnahmen.

Noch geheimer benehmen sich die militärischen Nachrichtendienste. Aktuelles Beispiel diesbezüglich: Die Verweigerung jeglicher Auskunft über Kosten und operativem Einsatz der grossen Satelliten-Kommunikations-Abhöranlage Onyx (das Vorbild dazu ist Echelon, das weltweite Abhörsystem der USA).

Zwar hat das Parlament einige Male versucht herauszufinden, wieviele Millionen dieses Monster-Abhörsystem bisher schon gekostet hat und wieviele Steuergeldmillionen es künftig kosten wird. Genaue Zahlen werden aber verweigert oder in Sammelkrediten versteckt.

 Ein Fazit in Sachen Geheimdienste – und das gilt für alle diese ominösen Abteilungen, die für teures Geld angeblich unsere innere und äussere Sicherheit gewährleisten:

Die parlamentarische – aber auch die öffentliche Kontrolle über diese Dienste in der Schweiz muss dringend und zwingend verbessert werden.

Beim Staatsschutz bedeutet dies unter anderem, dass wir unser Recht auf Akteneinsicht zurückerobern müssen.

Es bedeutet aber eben auch grösstmögliche Transparenz in die Finanzen.
Bezüglich der parlamentarischen Aufsicht möchte ich daher heute einmal mehr eindringlich den Appell richten, dass sich das Parlament endlich griffigere Kontrollmöglichkeiten schaffen muss, die den Begriff Kontrolle wirklich auch verdienen.

Damit wir die Schnüffler endlich in den Griff bekommen –
das Umgekehrte ist nämlich schon längst der Fall!

Catherine Weber, Demokratische JuristInnen


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