Eine Reform ist dringend nötig

Eines der wichtigsten Argumente der Armeebefürworter ist der Katastrophenschutz. Aber hält die Vorstellung der hilfsbereiten Armee, die sofort eingreift, wenn Not am Mann ist, der Wirklichkeit auch Stand? Der Erlebnisbericht eines Zivilschützers aus dem Überschwemmungsgebiet im Lötschental.

Am Wochenende des 8./9.Oktobers passierte im Lötschental genau das, was in Zukunft in der Schweiz wegen der Klimaerwärmung noch häufiger passieren wird: Zuerst schneite es bis in tiefe Lagen, am darauf folgenden Tag stiegen die Temperaturen wieder markant und es regnete in den Schnee hinein. Am Montag, dem 10. Oktober, traten die Lonza und der Milibach über die Ufer und führten Schlamm und Geröll mit. Es entstand grosser Sachschaden: Mehrere Scheunen und Häuser wurden total zerstört; Strom-, Wasser und Abwasserleitungen wurden weggerissen oder verstopft und die Strasse zwischen Wiler und Blatten wurde unter einem riesigen Schuttkegel begraben. Das Glück im Unglück: Es kamen keine Personen zu Schaden.

Armee reist erst fünf Tag nach dem Unglück an

Die Armee rührte gross mit der PR-Werbetrommel, nachdem sie gütigerweise am Freitag auch ins Lötschental eingereist war, um die Aufräumarbeiten zu unterstützen. Worüber niemand spricht, sind die unzähligen Kräfte der Freiwilligen Feuerwehr und des Zivilschutzes, die bereits seit Montag im Einsatz standen, fünf Tage vor dem Eintreffen der Armee, darunter eine kleine Gruppe der Zivilschutzsektion Visp, die zur Verstärkung aufgeboten wurde.

Das Beispiel dieses Zivilschutzeinsatzes und die Tatsache, dass die Armee erst fünf Tage nachdem der Bevölkerungsschutz bereits wichtige Arbeit geleistet hat, eintraf, zeigt, wie mangelhaft unser Katastrophenschutz organisiert ist, und wie dringend die Strukturen der Katastrophenhilfe neu diskutiert werden sollten.
Aufgrund schwindender Kräfte der Zivilschutzsektion Lötschen sowie der dortigen Feuerwehr, die seit Montag im Einsatz standen, baten diese die Zivilschutzzentrale am Donnerstagnachmittag um Verstärkung von acht bis zehn Mann für den Freitag. Die Anfrage wurde an die Zivilschutzsektion Visp weitergeleitet, die nun am Donnerstagabend spontan 10 Leute für den folgenden Tag zusammentrommeln musste. Dies ist ihr nur mit grosser Mühe gelungen: Als sich am Freitagmorgen früh die Einsatzkräfte vor der Zivilschutzanlage Visp versammeln, sind es genau 8 Leute: Der Zivilschutzkommandant der Sektion Visp, sowie der Vizekommandant, zwei Betreuer, die für die Pionierarbeit eigentlich nicht ausgebildet sind, von denen einer am Vorabend noch von Olten ins Wallis reisen musste. Hinzu kam ein Gemeindearbeiter der Gemeinde Visp, der nicht Zivilschützer ist.

Überzeit bei der Lonza bindet Zivilschutzkräfte

Ein wichtiger Grund, warum derart viele Zivilschützer der Sektion Visp nicht einsatzbereit waren, ist die Lonza AG, das ökonomische Triebwerk der Region Oberwallis. Seit September müssen deren Arbeitnehmer pro Woche eineinhalb Stunden länger arbeiten, „um Entlassungen zu vermeiden”. Viele der Zivilschützer arbeiten bei der Lonza AG und sahen keine Möglichkeit, den Betrieb für die Katastrophenhilfesaufgaben zu verlassen. Dies stellt ein enormes Problem dar: Wie soll eine Schutzorganisation funktionieren, wenn deren Einsatzkräfte aus Angst vor Kündigung nicht eingesetzt werden können, bzw. sich weigern einzurücken?

Mangelhafte Ausbildung

Die acht eingerückten Männer reisten dann mit zwei Zivilschutz-Fahrzeugen und zwei zusätzlichen Fahrern aus der Sektion Pfyn ins Lötschental. Dort angekommen, wurde die Gruppe kurz gebrieft und aufgeteilt. Die Gruppe reiste dann zum Schuttkegel Richtung Blatten. Weil die Kantonsstrasse nach Blatten nicht befahrbar war, mussten die Einsatzkräfte den Forstweg auf der anderen Talseite benutzen: ein Waldweg etwa so breit wie das Zivilschutz-Fahrzeug selbst. Einer der Fahrer hatte offensichtliche Mühe mit dem Fahrzeug und brachte es mehrmals ins Rutschen. Auf dem schmalen Weg war das nicht ungefährlich, da auf einer Seite der Hang steil nach unten läuft. Man wagt es nicht, sich vorzustellen, was passiert wäre, wenn das Fahrzeug vom Weg abgekommen wäre. Und hierin liegt ein weiteres Problem dieser Schutzorganisation: Es kann kaum von den Einsatzkräften erwartet werden, dass diese voll an den Geräten einsetzbar sind, wenn sie an diesen Geräten während wenigen Tage ausgebildet werden. Häufig kommen sie dann gar nicht, oder dann nur wenige Tage im Jahr zu einem Einsatz. Viel sinnvoller wäre da eine gut ausgerüstete, professionelle Schutzorganisation mit einer erweiterten Basis einer freiwilligen Miliz, die schneller und wirksamer einsetzbar wäre und vor allem besser ausgebildet werden könnte.

Die Armee trifft doch noch ein

Der Rest des Einsatzes verlief ohne grössere Probleme und Zwischenfälle. Etwa um 16 Uhr am Freitagabend konnte die Sektion Visp wieder abreisen. Auf der Rückfahrt aus dem Lötschental begegnete sie der Armee, die daran war, im Lötschental einzutreffen. Es steht ausser Frage, dass die Armee im Lötschental wichtige Dienste leistete, aber man sollte nicht vergessen, dass die zivilen Einsatzkräfte, Zivilschutz und die Freiwillige Feuerwehr bereits seit Tagen im Einsatz standen und dringende Arbeit im Dienste der Bevölkerung, wie die Einrichtung einer Notstromversorgung, bereits geleistet hatten. Die Armee kam vor allem zum Aufräumen und Wiederherstellung der Infrastruktur; Arbeiten, die eine flexiblere und schneller einsatzbare Organisation auch hätte tun können und in diesem Falle die Bevölkerung des Lötschentales um einiges hätte entlasten können.

Professionelle Schutzorganisation wäre effizienter

Dass die Armee erst Freitagabend eintraf, liegt in Ihrer Natur: Eine Armee, in der die Rekruten die Hälfte ihrer Ausbildung damit verbringen, sich sinnlos im Schlamm zu wälzen und zu üben, auf einen nicht existierenden Feind zu schiessen, ist nicht die geeignete Organisation, um Schutzarbeiten zu leisten! Und die viel beteuerten Mittel und Ressourcen, die der Armee zur Verfügung stehen, wären in einer professionalisierten Schutzorganisation viel effektiver und sinnvoller untergebracht. Wer einmal Schutzarbeit geleistet hat und ohne militärische Gehirnwäsche auf das Ganze blicken kann, sieht schnell, dass unser Katastrophenschutz, und mit ihm die Armee, dringend eine Umstrukturierung nötig hat.

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