Erlebnisse eines Maschinen-Schlossers in der Schweizerischen Industrie, als diese für Hitler rüstete

“Du Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen – sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!”

(aus dem Gedicht “Sag Nein!” von Wolfgang Borchert, 1947)

Gerade für die Zeit des Zweiten Weltkrieges ist es dringend geboten auch die Erlebnisse von Zeitzeugen nicht zu vergessen. Ein Zeitzeuge war Ralf Winkler, geboren 1915. Ralf Winkler machte bei Sulzer in Winterthur eine Lehre als Maschinenschlosser. Nach seiner Ausbildung montierte er für die Firma Sulzer, im Jahre 1939/40, unter anderem zwei Schiffsdieselanlagen in Schweden. Wie Winkler schrieb, “begannen wir bei Sulzer bald nach meiner Rückkehr aus Schweden für die deutsche Rüstung zu arbeiten”. Bei Sulzer wurden unter anderem Motoren für Unterseeboote gebaut. Später, als Winkler bereits nicht mehr bei Sulzer arbeitete, liess die Firma vor dem Besuch einer Kommission der Alliierten, alle Pläne und Dokumente der Rüstungsproduktion verschwinden. Mit einer vermeintlich reinen Weste wurde dann Sulzer von der Schwarzen Liste der 2’000 Schweizer Firmen die für die Nazis produziert hatten gestrichen. Die Kontrollkommission hätte damals nur die Arbeiter fragen müssen, meinte Ralf Winkler, sie hätten schon sagen können, dass Sulzer für Hitler produzierte. Inspektoren der Wehrmacht hatten ja in Winterthur immer wieder den Fortgang und die Qualität der Arbeit überwacht.

“Um für Hitlers Krieg zu arbeiten, dazu habe ich nicht Maschinenschlosser gelernt.”

Ralf Winkler sagte sich bei Sulzer ziemlich schnell, lange vor dieser Untersuchung der Alliierten: “Um für Hitlers Krieg zu arbeiten, dazu habe ich nicht Maschinenschlosser gelernt. Diese Schweinerei mache ich nicht länger mit”. Als kleiner Mann überlegte er sich in der grossen Werkstatthalle, “was für mich zu tun sei, wenn anscheinend eine über uns thronende Fabrikleitung nicht fähig war, auf derartige Aufträge zu verzichten… Frei etwas nach dem Motto: Die dir zugemutete Rüstungsarbeit steht still, wenn dein klarer Geist es will”. Winkler kündigte und arbeitete bei einem Bauern, “um da mit weniger fragwürdiger Arbeit anderen zu Brot zu verhelfen und es mir zu verdienen… Das Bauern- respektive Knechteleben hatte für mich teils schöne, zumindest aber neue Seiten. Doch schliesslich, überfordert durch den Mehranbau – an das Lesen eines Buches am Abend war nicht zu denken, nach zwei bis drei Seiten Lektüre fielen mir jeweils die Augen zu -, überdies mit einem Monatsgehalt von vierzig Franken nicht in der Lage, meinen damaligen Verpflichtungen nachzukommen und ohne Aussicht, jemals selbständig einen Bauernbetrieb führen zu können, ging ich nach einem Jahr schweren Herzens wieder in die Industrie zurück.”

Ralf Winkler hatte einige Jugendjahre, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, in Frankreich in der Nähe von Nancy verbracht, die, wie er heute denkt, auch zum Teil seine Weltanschauung  geprägt haben. In Frankreich erhielt er einen eindrücklichen Anschauungsunterricht, wie er schrieb, “zu was es führt wenn “starke Armeen” den “Frieden sichern” und das “Vaterland verteidigen”. Zerstörte Städte und Dörfer, eine grauenhaft verwüstete Gegend, materielle Not und psychische Schäden bei vielen, die von den Armeen geschützt worden waren, riesige Soldatenfriedhöfe und natürlich auch ein Hass auf Menschen jenseits künstlicher Grenzen. Ein abgrundtiefer Hass auf Mitmenschen, die im Grund kaum anders als du und ich sind.” (aus Werkstattheft Schreibender Arbeiter, Nr. 17. “Soldatengeschichten”, 1979)

Escher-Wyss: Kühlzellen für Rommels Afrika Feldzug

Jetzt ging Ralf Winkler zu Escher Wyss in Zürich, in die Abteilung Kälte-Kompressoren, “in der Meinung, dies sei nicht für den Krieg. Doch kaum recht dort, fing das Kriegsunterstützungselend erneut an. Es wurden Kühlzellen für Rommels Afrika-Feldzug hergestellt. Etwa eisenbahnwaggongrosse Kästen mit eingebauter Kühlanlage, die dann in die Wüste abgestellt und mit deutscher Wurst oder weiss ich was gefüllt werden konnten.” Ralf Winkler wanderte weiter. Diesmal in einen nicht für den Export arbeitenden Kleinbetrieb mit einer Zwanzig-Mann-Belegschaft. “Gewissenskonflikte in Sachen Rüstungsarbeit gab es da kaum, doch in qualitativer Hinsicht vermochte mich die Arbeit in dieser ehrenwerten Firma auf die Dauer nicht zu befriedigen. So suchte ich mir – die Arbeitsmarktlage war damals flau – etwas “Besseres”, das ich glaubte, in einer Firma unterhalb des Uetliberg gefunden zu haben welche unter anderem – dem “Anderen” hatte ich leider zu wenig Beachtung geschenkt – Offsetpressen herstellte. Der betreffende Betrieb kam dann auf die Schwarze Liste der Alliierten und in der Folge, kurz nach meinem Weggang, in den Konkurs. Kurze Zeit arbeitete ich denn auch an diesen graphischen Maschinen.”

Munitionsdrehbänke für Deutschland

“Doch dann wurde ich in dieser Firma in die Werkzeugmaschinen-Montage versetzt. In der betreffenden Abteilung wurden mit Hochdruck und Überzeitarbeit Drehbänke hergestellt, Munitionsdrehbänke für Deutschland, wie ich bald herausbekam. Mir war schrecklich zumute. Eine Angina befreite mich vorerst für kurze Zeit von dieser Pein. Doch dann zwang ich mich weiter zu diesem traurigen Job, weil damals in der Maschinenbranche kaum eine andere, rüstungsarbeitsfreie Stelle zu finden war. In Gesprächen mit Arbeitskollegen – darunter dem Präsidenten der Arbeiterkommission – machte ich auf das Menschenunwürdige, Erbärmliche dieser Arbeit aufmerksam, um dann meist eine Antwort etwa in dem Sinne hören zu müssen: “Das ist mir doch egal. Hauptsache, ich verdiene schön dabei.” Schliesslich hielt ich es nicht mehr aus und kündigte, noch bevor ich mir eine andere Stelle hatte sichern können. Drei Wochen war ich zwar ohne Arbeit, doch durch das Arbeitsamt, welches ich von meinem Verhältnis zur Rüstungsarbeit in Kenntnis setzte, fand sich dann eine Stelle in einem Betrieb für landwirtschaftliche Maschinen.” “Uebrigens” schreibt Ralf Winkler, “hat dieses letzte Erlebnis mir wesentlich zu der Einsicht verholfen, sich weniger von Furcht und Sorgen leiten zu lassen, sondern dann unbekümmert seinen Weg zu gehen, sobald man diesen als sauber und richtig erkannt. Denn meist, wie ich es auch später erlebte, kommt es doch weit besser heraus als man es sich zuvor in seinen Ängsten dachte.”

Ralf Winkler, geboren am 27. April 1915, stand Zeit seines Lebens für den Frieden und für neue, nachhaltigere Lebensformen ein. Er sammelte unzählige Unterschriften für die erste GSoA-Initiative, schrieb hunderte von Leserbriefen und verbrachte viele Stunden damit, mit PassantInnen auf der Strasse über seine Plakate zu diskutieren. Ralf Winkler verstarb am 31. Juli 2009.

Quellen:

  • “Heute: Gehirn-Schuttabfuhr” von Ralf Winkler, Clou Verlag, Herbst 1960
  •  “Kleiner Mann was nun?”, Neutralität Juli/August 1971, Erlebnisse eines Maschinen-Schlossers in der Schweizerischen Industrie, als diese für Hitler rüstete
  • “Denken führt ins Gefängnis”, von Ralf Winkler, Werkstattheft Schreibender Arbeiter, Nr. 17. “Soldatengeschichten”, 1979, abgedruckt in virus 20/79

, ,