Männer in der Pflicht

Seit Jahrzehnten jammern Medienschaffende und Politiker_innen, dass Frauen in den Chefetagen der Unternehmen fehlen würden – und dies, obwohl doch angeblich alles dafür getan wird, dass Männer und Frauen die gleichen Chancen haben.

Kürzlich hiess es auf 20min.ch, dass sich Frauen trotz formaler Gleichberechtigung der Emanzipation verweigerten und stattdessen an alten, (aber immer noch gängigen) Rollenbildern festhalten würden. Dabei hätten junge Frauen doch «die gleichen Rechte und Pflichten wie Männer». Aber halt – ist das so? Nein! Im Artikel 59 unserer Verfassung steht geschrieben: «Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten.» Und: «Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.» Hier besteht für Menschen, die laut biologischem Geschlecht männlich sind, eine Pflicht, während Menschen, die biologisch gesehen als weiblich definiert werden, eine Option eingeräumt ist.

Was bedeutet nun diese Pflicht, die für Männer besteht, nicht aber für Frauen?
Die Wehrpflicht für Männer entstammt einer Zeit – Achtung: Ironie, in der die Männer noch echte Kerle waren und die hilfsbedürftigen Frauen beschützten. Von diesen Männern wurde erwartet, dass sie das Kriegshandwerk erlernten und sich vertraut machten im Umgang mit Waffen, denn im Notfall sollten sie die Helden spielen dürfen – für die Männer und das Vaterland. Die Armee gewöhnte sie an strikte hierarchische Strukturen, indem sie als Rekruten ihren Platz zuunterst in der Anschreikette einnahmen und schliesslich nach und nach – je nach Grad des Gehorsams und eigener Motivation – die Befehlsleiter hinaufkletterten. Die als Anführer erworbenen Fähigkeiten im Herumkommandieren und Menschen-Zusammenstauchen, konnten dann in den zivilen Unternehmen der Privatwirtschaft unter Beweis gestellt werden. Der Platz der Frauen dagegen war zu Hause, in den privaten Räumen, fern aller Öffentlichkeit und Mitsprache. Zu ihren Pflichten zählten Hausarbeit, Kinder gebären und schweigend, aber unterstützend hinter ihrem Mann zu stehen.

Seit mehreren Jahrzehnten, ja sogar seit Jahrhunderten, versucht ein Teil der westlichen Kultur nun dieses ach so traditionelle Rollenbild zu überwinden und die binäre Geschlechterordnung aufzulösen. Immer wieder versuchen Menschen, das soziale Geschlecht zu dekonstruieren und dem biologischen weniger Gewicht beizumessen. Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit sind die Schlagworte der Stunde. Doch wie soll Geschlechtergerechtigkeit entstehen, wenn wir weiterhin an geschlechterabhängigen Bürger(!)pflichten festhalten?
Diese formale Ungleichbehandlung von Mann und Frau führt dazu, dass das Leben von Männern zu einem entscheidenden Zeitpunkt völlig anders verläuft als das von Frauen. Zu einer Zeit, in der viele Entscheidungen getroffen werden müssen, welche die Karriere und das ganze zukünftige Leben betreffen, kommt es zu einem tiefschürfenden Einschnitt. Ein Einschnitt, der schliesslich die Zukunft der Männer deutlich prägt. Ganz anders bei den Frauen: Sie werden in ihrem Leben nie mit den zwei Alternativen Militär oder Zivildienst konfrontiert und können ihre Schulzeit mit der Gewissheit verbringen, dass sie im Anschluss tun und lassen können, was sie wollen.
Die Wehrpflicht für Männer bedeutet weist aber noch eine weitere Problematik auf. Sie verfestigt die Vorstellung, dass Männern mehr zugetraut wird als Frauen. So werden Pflichten doch in der Regel nur denen auferlegt, die sie auch erfüllen können. Die Tatsache, dass Frauen von der Wehrpflicht befreit sind, heisst also im Grunde, dass man(n) Frauen für nicht im Stande hält sie zu erfüllen.

Soll nun also die Wehrpflicht auch für Frauen gelten, damit bewiesen ist, dass man(n) ihnen dies zutraut? Die Antwort lautet natürlich Nein. Zum einen ist dies strukturell gar nicht möglich. Bereits heute braucht die Armee nur einen Bruchteil der Wehrpflichtigen. Würde sich diese Zahl noch verdoppeln, dann würde die Wehrpflicht noch mehr zur Farce verkommen als sie es schon ist. Zum anderen ist die viel gelobte Ausbildung für Armeeangehörige inhaltlicher Blödsinn. Die meisten Rekruten und Soldaten verbringen den Grossteil ihrer Zeit im Militär mit Warten oder mit Aufgaben, die ihnen im zivilen Leben nicht nützen. So sollten selbst die Erfahrungen der militärischen Führungspersönlichkeiten kritisch betrachtet und relativiert werden. Es ist doch sehr fraglich, ob blinder Gehorsam und strikte Befehlsgewalt erstrebenswerte Kompetenzen für die Chefs dieser Welt sind.

Was ist also die Alternative? Natürlich lautet die Lösung: Aufhebung der Wehrpflicht und Schaffung eines freiwilligen Zivildienstes. So würden wir in alle Menschen Vertrauen setzen, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrem Pass und ihrem sozialen Stand. Damit bestünde für alle die Möglichkeit selbständig und aus freiem Willen etwas zur Gesellschaft beizutragen und zwar im Hinblick auf ihre eigenen Vorstellungen, Wünsche und Kompetenzen.

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