Kosov@/Nato 11. Mai 1999

"Alte und Behinderte wurden getötet"

Erläuterungen zu unserer Dokumentation von Zeugenaussagen

Chronik des Terrors

"Alte und Behinderte wurden getötet"

Kosovo-Albaner aus den Flüchtlingscamps berichten von der Vertreibung aus ihren Dörfern, von Verwundeten und Toten, von Demütigungen und Beleidigungen, vom Regen, Hunger und der Kälte und von ihrer tagelangen Flucht

Ein 15jähriges Mädchen aus Rezald schildert:
"Am 12. April wurde das Dorf von der Polizei umstellt. Wir waren zu Hause. Überall waren Soldaten, bis zum Wald hin. Eine Handgranate wurde auf unser Haus geworfen und landete direkt vor mir. Meine Hand wurde verwundet, und ich verlor viel Blut. Es gelang uns, am Fluß entlang zu fliehen, durch den Wald und dann an der Straße entlang. An der Straße standen alle zehn Meter Soldaten. Als wir die Grenze überquert hatten, wurde ich zum italienischen Lager gebracht. Meine Papiere wurden an der Grenze eingezogen."

Eine Frau aus einem Dorf in der Nähe von Klina:
"Am 25. März, gegen 14 Uhr, kamen die Serben und warfen uns aus unserem Dorf. Sieben Polizisten kamen in den Garten, umstellten das Haus und befahlen uns, sofort zu gehen. Mein Ehemann befand sich etwas weiter weg vom Haus und konnte fliehen. Seit der Zeit habe ich nichts mehr von ihm gehört. Die Polizei stellte sieben Familien aus unserem Dorf (etwa 70 Menschen) in einer Gruppe zusammen. Wir mußten uns auf die Erde legen, und es wurde mehrfach gefeuert. Fünf Menschen wurden getroffen, unter anderem drei meiner eigenen Kinder. Die Serben befahlen uns, 24 Stunden auf dem Boden liegenzubleiben, und ließen uns dann aufstehen und gehen. An der Grenze nahmen sie uns unsere Ausweise weg."

Eine 35jährige Frau aus Padalista:
"Seit einem Jahr konnten wir nun schon nicht mehr richtig schlafen. Wir hatten Angst, daß sie kommen und uns umbringen würden. Am Montag morgen, dem 12. April, griffen die Serben unser Dorf mit Granaten an. Gemeinsam mit etwa tausend anderen Menschen aus Kladernica mußten wir fliehen. Später erfuhr ich, daß die Hälfte der Männer fliehen konnte. Es gibt auch Gerüchte, wonach die Männer nach Serbien gebracht worden seien. Am Mittwoch erreichten wir Prizren und sahen auf der Straße viele Verwundete und Tote, in Fetzen gerissene Körper. Die Leute am Anfang des Konvois riefen uns zu, nicht weiterzugehen, da vorne Granaten auf uns geworfen würden. Und tatsächlich befanden sich diejenigen, die verletzt oder getötet worden waren, nur knapp einen Kilometer vor uns. Zehn Minuten nach dem Feuer kam die Polizei, um die Verwundeten wegzubringen. Ich hörte, daß fünfzehn Menschen getötet und etwa dieselbe Zahl verwundet worden war. Überall war Blut, enthauptete Menschen, Körper; manche sogar ohne Arme und Füße. Die Verletzten schrien vor Schmerzen, als sie weggebracht wurden. Es war grauenhaft. Ein Dutzend serbischer Polizisten sammelte sie ein. Sie sagten uns lediglich, daß sie sie zunächst ins Krankenhaus von Prizren und, wenn sich ihr Zustand gebessert habe, zur Grenze bringen würden. Wir sollten nach Albanien gehen. Auf der Straße von Prizren waren wieder Soldaten. Sie streckten drei Finger in die Höhe, um uns zu beleidigen, und forderten uns auf, das gleiche zu tun und ,Serbien, Serbien!' zu rufen. Wir senkten unsere Köpfe. Nur einer von ihnen war vermummt. Wir wollten kurz anhalten, um uns auszuruhen, aber sie schossen in die Luft und zwangen uns damit zum Weitergehen. Ich sah, wie zwei sieben bis acht Monate alte Babys in einem unbeobachteten Moment in aller Eile von ihren Eltern beerdigt wurden. Noch nicht einmal ein Jahr alt, gestorben an Erschöpfung und Austrocknung. Es regnete die ganze Nacht. Verlassene Fahrzeuge lagen überall auf der Straße. Als wir in Prizren ankamen, wurden wir zur Grenze gebracht (...)."

Ein 38jähriger Mann aus Velika Krusa:
"Um sieben Uhr morgens begannen Polizisten, unser Haus zu beschießen. Sie waren maskiert. Zwei gepanzerte Fahrzeuge standen in der Nähe unserer Häuser. Sieben Polizisten kamen ins Haus. Im Haus waren wir zu 13. Sie haben mich geschlagen. Meine 65jährige Mutter und weitere fünf Mitglieder meiner Familie, von sieben bis 53 Jahren, haben sie mit einer automatischen Waffe getötet. Meine Kinder haben geschrien und geweint. Alle haben versucht, aus dem Haus zu entkommen. Die Kinder sind durch die Fenster geflohen. Bevor meine Frau die Zeit hatte, herauszukommen, schlug eine Granate ein. Sie wurde verletzt, ebenso meine Schwester und Schwägerin. Es gelang uns, auf dem Traktor aus dem Dorf zu fliehen bis nach Zur, von wo aus wir zu Fuß weiterflüchten mußten. Bis zur Grenze haben wir zwei Stunden gebraucht. (...)
Soldaten haben mir auf die Beine geschlagen. Ich fiel neben einen Traktor und konnte mich, halb darunter liegend, gerade noch in Sicherheit bringen. Doch sie haben mir weiter auf die Beine und die Genitalien geschlagen, bis sie müde wurden. Das hat vielleicht eine Stunde gedauert. Dann sind sie gegangen und haben sich andere, die hinter uns in der Kolonne waren, vorgenommen. Ich konnte mich zu Fuß bis zur Grenze schleppen.
Ich wurde ins Krankenhaus gebracht, wo ich operiert wurde. Seit fünf Tagen kann ich mein Bein nicht mehr bewegen. Die Ärzte warten ab, bis das Ödem am Knöchel verschwunden ist, damit sie einen Gipsverband anlegen können."

Ein 14jähriges Mädchen aus Salagradj:
"Unser Dorf wurde von Polizisten und Paramilitärs umzingelt. Sie fingen an, Granaten zu werfen. Mein Vater und mein Onkel sind sofort geflohen. Wir wissen nicht, wo sie sind. Die Polizisten wiesen uns an, fortzugehen. Wir hatten nur noch Zeit, ein paar Sachen zusammenzusuchen und sie auf dem Traktor zu verstauen, aber später haben die Serben sie uns weggenommen. Drei Tage und Nächte haben wir in der Kolonne auf der Straße verbracht. Es gab viele Paramilitärs, Militärs und Polizisten auf der Strecke, alle waren maskiert. Der Konvoi kam sehr langsam voran: Alle 50 Meter hielten die Serben uns an und forderten Geld, den Schmuck der Frauen, oder sie fragten uns, wohin wir wollten. Sie demütigten und beleidigten uns."

Eine 21 Jahre alte Frau aus Padalista:
"Am 27. März vormittags haben die Polizei, Paramilitärs und die jugoslawische Armee unser Dorf mit Jeeps, Lastwagen und Panzern überfallen. Es waren ungefähr 300 Leute, von denen einige maskiert waren. Eine Stunde lang gab es Dauerbeschuß, was uns gehindert hat, das Haus zu verlassen. Dann hat einer ein Fenster eingeschlagen und ist ins Haus gekommen. Es war der Sohn meines Nachbarn. Er trug einen schwarzen Schal auf dem Kopf. Er kam herein und sagte: ,Wir sind jetzt keine Nachbarn mehr.' Die Polizei befahl uns, das Haus zu verlassen. Drei Mitglieder meiner Familie gingen hinaus. Kaum waren sie draußen, wurden sie von der jugoslawischen Armee beschossen. Dem Rest der Familie gelang es zu fliehen. Wir haben uns in der Umgebung versteckt. Während wir uns versteckt hielten, wurde ich Zeuge mehrerer ähnlicher Morde, einschließlich des Mordes an einem zweijährigen Kind."

Eine 44jährige Frau aus Istok:
"Am Samstag, 27. März, ist die Polizei bei uns erschienen und hat uns befohlen, unser Zuhause zu verlassen: ,Wenn ihr nicht erschossen werden wollt, dann müßt ihr gehen.' Ich bin ins Stadtzentrum gegangen. (...)
Dann bin ich im Regen in die Berge geflüchtet. Ich bin ungefähr zehn Stunden gegangen, bei mir waren Kinder - das jüngste war einen Monat alt - und Behinderte. Drei Tage haben wir in den Bergen verbracht und hatten nichts: weder Nahrung noch Kleidung zum Wechseln, noch Geld. Dann sind wir in die Stadt zurück. Die Polizei erwartete uns. Wir, ungefähr 5.000 Menschen, wurden an der Bushaltestelle zusammengeführt. Wir wurden geschlagen und bedroht. Alte und Behinderte wurden getötet."

Eine Frau aus Pritina:
"Wir wurden gezwungen, Pritina am 29. März zu verlassen. Maskierte Männer sind in unser Haus eingedrungen und haben uns gezwungen, fortzugehen. Wir mußten in Kolonnen zum Bahnhof laufen. Auf dem Weg dorthin hat mich ein Polizist angehalten und mich mit der Waffe in der Hand gezwungen, ihm Geld zu geben. Auf dem ganzen Weg wurden wir von Polizisten und Militärs in serbischer Uniform beleidigt und bedroht. Einige von ihnen sprachen Russisch. Als wir am Bahnhof ankamen, mußten wir in einen Zug steigen. In der Warteschlange durchsuchten uns die Serben nach Ausweispapieren und nach Geld. Wenn sie Ausweise fanden, zerrissen sie sie. Wir haben es geschafft, unsere Sachen zu verstecken. Die Fahrt dauerte zwei Stunden. Eineinhalb Stunden mußten wir an der Grenze warten. Danach mußten wir auf den Schienen gehen, weil man uns sagte, daß die Straßenränder vermint wären. Von makedonischer Seite gab es keinerlei Schutz. Dann kamen wir in Blace in Makedonien, einem toten Ort, an, ohne Wasser, ohne Nahrung, im Regen. Dort haben wir fünf Tage gewartet."

Ein 90 Jahre alter Mann aus Blac Dragas:
"Ich bin verjagt worden aus meinem Dorf, das die Serben am 31. März in Brand gesetzt haben, nachdem sie all unser Geld genommen und das Vieh getötet hatten. Ich konnte mit meiner Familie im Traktor fliehen und habe mich zu Freunden ins Dorf Bresan geflüchtet; dort bin ich zwölf Tage geblieben, während der Rest meiner Familie nach Albanien ging. Am 13. April sind motorisierte Militärs gekommen, die mich und sechs andere ältere Personen holten, die allein in Bresan geblieben waren, weil sie nicht mehr weiter konnten. Sie haben uns an die Grenze transportiert. Unterwegs habe ich viel Militär gesehen. Zwischen Zur und der Grenze legten Soldaten Minen."

Eine 35jährige Frau aus Batusa:
"Am 13. April kamen sie in unsere Häuser in Batusa und steckten sie alle in Brand, nachdem sie all unser Geld genommen hatten. Sie waren nicht maskiert, aber es waren viele. Mein Sohn wurde auf ein Feld gebracht, nicht weit vom Haus. Dort wurde er verprügelt und gezwungen, ihnen sein Geld zu geben. Anschließend ließen sie ihn allein, und wir konnten zusammen fliehen. Einige Kilometer vor Prizren flog ein Flugzeug über uns. Es flog sehr tief und schnell und konnte uns deutlich sehen. Zwei oder drei Stunden lang war kein Soldat mehr bei uns. Das Flugzeug warf Bomben auf beide Seiten der Straße. Jeder versuchte sich auf den Boden zu werfen, um sich selbst zu schützen. Keiner wurde verletzt, und so kam das Flugzeug wieder zurück und bombardierte die Mitte unseres Konvois. Zwei Fahrzeuge vor uns wurden getroffen. Alle in diesen beiden Traktoren wurden getötet, etwa zehn Leute. Wir waren in dem dritten Traktor. Mein Bruder, der fuhr, verlor seinen Arm. Viele Menschen wurden verletzt. Zehn Minuten nach der Bombardierung kam die Polizei mit einem Lkw, um die Verletzten und die Toten abzutransportieren. Mein Mann half, die Leichen in den Lkw zu tragen. Er zählte 18 Leichen. Die Polizisten sagten, sie würden die Verletzten in das Krankenhaus von Prizren bringen. Unsere Ausweispapiere wurden uns an der Grenze weggenommen."

taz Nr. 5832 vom 11.5.1999 Seite 7 Tagesthema 337 Zeilen

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Erläuterungen zu unserer Dokumentation von Zeugenaussagen

Im Kosovo werden von der serbischen Armee, Polizei und paramilitärischen Verbänden in schwerwiegendster Form die Menschenrechte verletzt - Hunderttausende wurden aus ihren Häusern vertrieben, eine unbekannte Zahl von Menschen wurde getötet. Seit dem Beginn der Nato-Luftangriffe haben sich diese Verbrechen noch auf dramatische Weise verstärkt. Doch anders als vor Beginn des Krieges gibt es keine unabhängigen Augenzeugen mehr. Die Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die im Auftrag der Vereinten Nationen seit Oktober 1998 mit 1.400 Mitarbeitern im Kosovo stationiert war, wurde am 20. März abgezogen, als die Luftangriffe der Nato unmittelbar bevorstanden. Doch die OSZE-Beobachter setzten ihre Arbeit in Makedonien und Albanien fort und stellen gegenwärtig weiter Berichte über die Menschenrechtssituation zusammen. Diese werden alle zwei Wochen den Regierungen der 53 OSZE-Mitgliedstaaten übergeben, bislang allerdings nicht veröffentlicht. Wie ein OSZE-Sprecher der taz erläuterte, geschieht dies deshalb nicht, weil die Berichte sich auf Schilderungen von Zeugen sowie auf Berichte anderer Medien und Organisationen stützt, die im einzelnen für die OSZE selbst nicht überprüfbar sind. Doch nach mehreren hundert Interviews mit Flüchtlingen in Albanien, die die OSZE-Beobachter nach Beginn des Krieges führten, stellt sich ein klares Bild der serbischen Vertreibungs- und Völkermordpolitik her: "Die Lage im Kosovo ist von extremer Gewalttätigkeit und Brutalität gezeichnet, Menschenrechte gelten wenig. Flüchtlinge werden von serbischen und jugoslawischen Kräften mit unterschiedsloser, gewalttätiger Härte aus ihren Häusern vertrieben. Viele der Vertriebenen berichteten über Massenmorde, außergesetzliche Tötungen sowie Plünderungen und die Zerstörung ihres Besitzes. Flüchtlinge berichten, daß sie aus ihren Häusern vertrieben und als 'menschliche Schutzschilde' in der Umgebung militärischer Einrichtungen festgehalten wurden", schreiben die OSZE-Beobachter.

Die taz veröffentlicht hier die wesentlichen Passagen des Berichts der OSZE-"Kosovo Verification Mission" (KVM) in Tirana für den Zeitraum vom 2. bis 15. April. Für die Übersetzung des englischsprachigen Originals danken wir der Heinrich-Böll-Stiftung.

Zusätzlich dokumentieren wir die Aussagen von einigen der 1.537 Flüchtlinge, die von der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" im Lager Rozaje in Montenegro befragt wurden. Diese Aussagen wurden vergangene Woche von der Organisation in Bonn veröffentlicht (Kontakt: 02 28-55 95 00, die englische und französische Fassung findet man im Internet unter www.msf.org/projects/yugoslavia/kosovo/index.htm (3.4.2003: link ungültig, www.msf.org existiert noch) "Das wichtigste Ergebnis dieser Studie lautet, daß annähernd die Hälfte der Befragten ihre Heimat zwangsweise aufgrund von unmittelbarer, persönlicher Bedrohung verlassen haben", heißt es darin. "Fast 46 Prozent der Kosovaren kamen ohne Ausweispapiere in Montenegro an."

"Ärzte ohne Grenzen" schließen aus den gesammelten Aussagen, daß "die Vertreibungen Bestandteil einer systematischen Politik sind, die im voraus geplant war" und ist der Überzeugung, daß "die begangenen Taten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen".

Chronik des Terrors

Tag für Tag, Dorf für Dorf schilderten aus dem Kosovo Vertriebene gegenüber Beobachtern der OSZE, was ihnen widerfahren ist

Die nachfolgenden Punkte werden von den Flüchtlingen vielfach wiederholt:

  1. Männern werden von ihren Frauen getrennt, wobei die Männer entweder mit unbekanntem Schicksal fortgeschafft oder getötet werden.

  2. Es gibt Fälle der Ermordung ganzer Familien.

  3. Leichen von Zivilisten liegen an Landstraßen, in Straßengräben und auf städtischen Straßen.

  4. Flüchtlinge, die auf Verlangen kein Geld vorweisen können oder die bei ihrem Exodus zu langsam sind, werden willkürlich getötet.

  5. Dörfer werden systematisch und mit Gewalt geräumt und sodann geplündert und niedergebrannt.

  6. Kosovo-Albaner werden aus städtischen Gebieten mit Zügen, Lastwagen und Bussen zur Grenze getrieben.

  7. Ausweispapiere, Geld, Autos und Wertgegenstände werden von serbischen/jugoslawischen Streitkräften an der Grenze gewaltsam geraubt.

  8. Serbische Zivilisten greifen in städtischen Gebieten zu den Waffen.

  9. OSZE-Angestellte geraten in das Visier der Polizei.

  10. OSZE-Einrichtungen werden zerstört.

  11. Wohnungen von Mitarbeitern internationaler Organisationen werden geplündert und zerstört.

  12. Alle interviewten Flüchtlinge verleihen ihrem Wunsch Ausdruck, in das Kosovo zurückkehren zu können. Sehr wenige nannten den Wunsch, Asyl beantragen oder in das westliche Ausland emigrieren zu wollen.

Die Methoden der Vertreibungen

Die Mehrheit der Flüchtlinge, die in Albanien eintreffen, stammen aus dem westlichen Kosovo und insbesondere aus Suva Reka, Prizren, Pec, Djakovica, Mitrovica und den umliegenden Dörfern. [...]

Flüchtlinge aus Pec, Prizren und Djakovica erzählen, wie sie gezwungen wurden, ihre Häuser zu verlassen, ohne daß ihnen die Zeit gegeben wurde, ihre Habe zusammenzupacken, und daß sie dann auf Busse verladen wurden oder zur albanischen Grenze laufen mußten. Wer in Autos unterwegs war, wurde manchmal gezwungen, vor der albanischen Grenze die Fahrzeuge zurückzulassen.

In den städtischen Gebieten beschreiben Flüchtlinge die systematische Abriegelung von Stadtteilen, die sodann von Menschen geräumt, geplündert und in Brand gesteckt wurden. Dasselbe Muster wurde in den umliegenden Dörfern verfolgt. Dorfbewohner wurden gezwungen, schnell und ohne ihre Habe aufzubrechen. Das Dorf wurde dann geplündert und niedergebrannt, während die Dorfbewohner zur nächsten Siedlung getrieben wurden.

Berichte über Hinrichtungen und Ermordungen

Celina, 23. März
Ungefähr 200 Paramilitärs und Armeeangehörige kamen mit Panzern und Lastwagen in das Dorf. Panzer wurden zur Zerstörung von Häusern benutzt, 90 Prozent von Celina wurde zerstört. Dorfbewohner versteckten sich in den Kellern. Serben gossen Benzin in die Keller und töteten Frauen, Kinder und Männer, die sich dort versteckten. Menschen, die versuchten zu fliehen, wurden erschossen.

Djakovica, ohne Datum
Zwischen dem 20. und dem 24. März wurden 10 bis 15 junge männliche Kosovo-Albaner erschossen vorihren Häusern aufgefunden. Der Onkel des Flüchtlings wurde vor den Augen seiner Familie erschossen. Paramilitärische Kräfte (MUP) teilten denjenigen, die sich in Djakovica befanden, mit, daß sie anfangen würden, die Kosovaren zu töten, sobald die Nato-Luftangriffe begännen. Nachdem die Bombardements begonnen hatten, versteckte sich der Flüchtling zusammen mit 45 anderen Menschen mehr als eine Woche lang in einem Kellergeschoß. Jeden Tag ging er kurz hinaus, um Essen und Wasser mitzubringen. Dabei sah der Flüchtling Bulldozer mit Leichen, die mit Decken verhüllt waren. Arme und Beine hingen heraus, und Blut tropfte von dem Bulldozer herunter. Die MUP brachten den Bulldozer zum Friedhof und kippten den Inhalt in eine große Grube. Der Flüchtling gab an, daß die Toten in den Bulldozern "Intellektuelle" aus Djakovica, hauptsächlich Männer, gewesen seien. Der Flüchtling glaubte, daß bis zu 70 von ihnen von den serbischen Streitkräften in einer Tulbe (einem muslimischen Ort zum Gebet) massakriert worden seien.

Als die Flüchtlinge zu fliehen versuchten, befahlen die MUP ihnen zu bleiben, weil "sie nichts Falsches getan hätten". An Kontrollpunkten der Polizei wurden ihnen alle Dokumente, ihr Geld und ihre Wertgegenstände abgenommen. An einem Kontrollpunkt wurden die Wertgegenstände auf einen Haufen geworfen, mit Benzin übergossen und angezündet.

Djakovica. 3. April
Die Polizei forderte alle Stadtbewohner auf, die Stadt zu verlassen. Der Flüchtling begrub zehn Männer, die von der serbischen Polizei exekutiert wurden, weil sie verdächtigt wurden, UÇK-Sympathisanten zu sein. Bevor sie nach Albanien kamen, wurde der Flüchtling gezwungen, der serbischen Polizei sein gesamtes Geld und sein Auto zu geben.

Suva Reka, 27. März
Zwei Militärlastwagen fuhren vor der Schule in Suva Reka vor. Ein Lastwagen hatte 50 bis 60 Tote, der andere Lastwagen 50 bis 60 Männer geladen. Die Körper wurden abgeladen und mit Reifen zugedeckt. Der Haufen wurde dann zusammen in Brand gesetzt, die noch lebenden Männer wurden ins Feuer gestoßen. Der Flüchtling sah auch vier MUP, die das OSZE-Büro in Suva Reka verließen, bevor dieses in Flammen aufging.

Suva Reka, 28. März
Serben begannen, Suva Reka und umliegende Dörfer unter Beschuß zu nehmen. Flüchtlinge waren Zeugen, wie zwei Menschen durch die von "Arkan" befehligtenParamilitärs in dem Dorf Vlashe mit Messern getötet wurden. Sie stahlen ihre gesamten Besitztümer, Geld und Ausweispapiere, bevor sie flohen. Flüchtlinge sagten, daß Serben in Mushtis 20 Menschen töteten; 30 Menschen in Trnje; 20 Menschen in Lesha; 11 Menschen in Supi und eine Familie, bestehend aus 12 Familienmitgliedern, in Vranes. Die meisten Opfer wurden erschossen.

Suva Reka, 1. bis 3. April
Serbische Militärkräfte zwangen Dorfbewohner aus ihren Häusern, indem sie sie mit Gewehren bedrohten und begannen, die Gebäude in Brand zu stecken. Die serbische Polizei fragte, wo die früheren OSZE-Mitarbeiter seien. Die Flüchtlinge beobachteten, wie das OSZE-Büro in Suva Reka von der serbischen Polizei in Brand gesetzt wurde. Die Familie, die hinter dem OSZE-Büro wohnte, wurde getötet. Die Polizei überfuhr ein Kind mit einem Militärfahrzeug und schnitt mindestens einem Kind die Ohren ab.

Suva Reka, ohne Datum
Ein Flüchtling sah Lastwagen voller toter Körper, die mit Plastikplanen bedeckt waren und sodann mit alten Reifen und Benzin bedeckt wurden. Die Lastwagen wurden ausgekippt und ihr Inhalt in Brand gesetzt. Ein anderer Flüchtling berichtet, mehrere hundert Körper auf den Straßen von Suva Reka gesehen zu haben und Zeuge der Hinrichtung von acht seiner Nachbarn gewesen zu sein.

Nishor bei Suva Reka, 1. April
Das Dorf wurde unter Beschuß genommen und angegriffen. Serbische Streitkräfte kamen in das Dorf und trieben alle Einwohner zusammen. Sie gingen in einem Konvoi, bestehend aus allen auffindbaren Fahrzeugen und zu Fuß, nach Belanica, wo sie auf Dorfbewohner aus acht anderen Dörfern trafen. Die Menschen wurden von den serbischen Streitkräften beraubt . Der Sohn des Flüchtlings wurde vom Traktor geholt und erschossen, weil er kein Geld hatte, das er den serbischen Soldaten hätte geben können. Er wurde vor den Augen seiner Familie getötet.

Kralan bei Malisevo, o. D.
Dorfbewohner aus Lapceve, Septen und Klina wurden in Kralan versammelt. Die serbischen Streitkräfte organisierten einen Konvoi aus Traktoren und trennten Männer - etwa 360 - und Frauen. Die Männer wurden gezwungen, sich zu entkleiden, und fortgebracht. Frauen und Kinder wurden nach Albanien geschickt. Zwei alte Frauen waren nicht in der Lage, auf einen Traktor zu steigen, und wurden von den Serben erschossen. Sie luden deren Leichen auf den Traktor und setzten diesen in Brand.

Pec, 27. März
Serbische Streitkräfte kamen und forderten die Zivilisten auf, das Gebiet zu verlassen. Der Flüchtling glaubt, daß bis zu 30.000 Bewohner aus Pec vertrieben und mehrere Tage lang zusammen festgehalten wurden. Sie wurden von Militärkräften umringt. Der Flüchtling wurde zusammen mit 500 anderen Männern von diesen getrennt und als "menschliches Schutzschild" zum Schutz von Panzern benutzt. Mehrere Tage später wurden die meisten Männer freigelassen, 80 wurden jedoch weiterhin festgehalten. Der Flüchtling hörte, wie Gewehrschüsse auf die 80 Männer abgegeben wurden, als er floh. Das Massaker ereignete sich in der Gegend von Klina.

Dragobil, o. D.
Ein Flüchtling wurde gezwungen, zusammen mit anderen Dorfbewohnern das Dorf zu verlassen. Er beobachtete, wie ein 16 Jahre alter Junge von der serbischen Polizei erstochen wurde und wie ein anderer serbischer Polizist mehrere hundert Mark verlangte, um die Vergewaltigung einer jungen Frau zu verhindern. Der Flüchtling wurde gezwungen alle seine Kleider abzulegen und 1.000 Mark zu bezahlen, ansonsten würde er erschossen. Andere Flüchtlinge zahlten, um ihren Tod zu verhindern.

Rogovo, 25. März
Die Serben begannen, Rogovo unter Beschuß zu nehmen. Nach fünf Tagen kehrten die Flüchtlinge nach Rogovo zurück. Armee, Polizei und Paramilitärs (graue Uniformen, rote und weiße Streifen auf den Schultern) begannen erneut mit Angriffen. Den Flüchtlingen wurde gesagt, sie müßten sofort die Stadt verlassen. Ihnen wurde nicht gestattet, das Zentrum von Prizren zu durchqueren, ein Flüchtling sah keinerlei Menschen in Prizren, nur, daß viele Gebäude zerstört waren. Serbische Militärs drohten, einer Familie ihr Kind wegzunehmen, wenn diese ihnen nicht 1.000 Mark gäbe. 50 Menschen versuchten, einen Fluß zu überqueren, Soldaten eröffneten das Feuer auf die Flüchtlinge. Er glaubt, daß bis auf zwei alle Flüchtlinge getötet wurden.

Pec, 25. März
Panzer fuhren in die Innenstadt und beschossen die albanischen Stadtteile. Während der folgenden zwei Tage wurden albanische Geschäfte von serbischen Zivilisten, Polizei und Männern, die militärische Uniformen trugen, geplündert.

taz Nr. 5832 vom 11.5.1999 Seite 6-7 Tagesthema 320 Zeilen

13. Mai 1999/uh,
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