Israel, Palästina und die GSoA

Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee hat für ihr bisheriges Engagement zum Konflikt im Nahen Osten viel Lob erhalten. Einige ihrer Aktivitäten sind aber auch von verschiedener Seite kritisiert worden. Zeit für einen Rückblick mit Ausblick.

Die GSoA hat im letzten Jahr viel unternommen, um auf die verzweifelte Lage der palästinensischen Zivilbevölkerung, aber auch auf die schwierige Lage der Friedensbewegung in Israel aufmerksam zu machen. Wir haben uns dabei vor einem Hintergrund bewegt, der düsterer kaum sein könnte: Die Konfliktparteien in Israel und Palästina sind durch die Ereignisse der letzten beiden Jahre – um es mit den Worten des Friedensforschers Johan Galtung zu sagen – im «negativ-negativen Gebiet eines mathematischen Achsenkreuzes mit den Achsen “Israel” und “Palästina” (Fussnote 1) » gelandet; die positiven Werte sind auf beiden Seiten durch die Selbstmordattentate bzw. die demokratisch in Israel abgestützte Militärbesatzung marginalisiert worden. Und es gibt, betrachtet man die ungebrochen hohe Popularität des israelischen Regierungschefs Sharon, wenig Hoffnung, dass diejenige Seite etwas an ihrer Politik ändert, die den grösseren Handlungsspielraum dazu hätte.

Was haben die Aktivitäten der GSoA vor diesem Hintergrund bewirkt? Sind wir unserem Anspruch, den Konflikt mit einer differenzierten Sehweise zu betrachten (Fussnote 2) , gerecht geworden? Und welche zukünftigen Aktionen sind vorstellbar?

Die Aktivitäten der GSoA

Für das Engagement der GSoA zum Konflikt im Nahen Osten gibt es verschiedene Gründe: Die GSoA versucht seit etlichen Jahren, einen genaueren Blick auf Konflikte zu werfen (Tschetschenien, Jugoslawien, Afghanistan, etc.), welche die Öffentlichkeit unterschiedlich stark beschäftigen. Im Falle Israel kamen persönliche Erfahrungen vor Ort, die einige GSoAtInnen bereits besassen, dazu. Die Auseinandersetzung mit dem Konflikt führte im Jahre 2002 zu vier hauptsächlichen Aktivitäten der GSoA: Die Unterstützung einer Kundgebung für ein «Ende der Besatzung und des Krieges in Palästina/ Israel», die Kampagne für einen Stopp der Rüstungszusammenarbeit Schweiz-Israel, die Durchführung einer zivilen Delegation nach Israel und Palästina und die Organisation von Veranstaltungen zum Thema «Kriegsdienstverweigerung und Friedensarbeit in Israel» in Bern und Genf. Im Rahmen dieser Veranstaltungen haben wir uns als hauptsächliche Forderung für einen Rückzug der israelischen Armee auf die Grenzen von 1967 eingesetzt, die palästinensischen Selbstmordattentate gegen die israelische Zivilbevölkerung haben wir dabei klar verurteilt. Zudem haben wir versucht, ein klares Zeichen der Solidarität für die israelische Friedens- (und Kriegsdienstverweigerungs-) Bewegung und die palästinensische Zivilbevölkerung zu setzen. Das ist uns, auch mit der Präsenz vor Ort und mit Besuchen sowohl auf israelischer wie auch palästinensischer Seite, gelungen.

Israel kritisieren?

Einige unserer Aussagen dabei waren eine klare Kritik an der israelischen Regierung und ihrer Politik. Sie waren eine klare Stellungsnahme gegen eine Regierung, welche die Attentate vom 11. September 2001 als Anlass nahm, um die militärische Repression der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten weiter zu verstärken; gegen eine Regierung, welche kompromisslos auf Eskalation setzt – im Wissen, dass sie damit den Hardlinern auf der anderen Seite enormen Auftrieb verschafft (wie auch die palästinensischen Hardliner wissen, dass sie mit Terrorattentaten die Regierung Sharon stärken).

Wir haben die Regierung Israels (übrigens nicht eine «jüdische» Regierung, da mehr als eine Million PalästinenserInnen in Israel diese Regierung mitbestimmen können) kritisiert im Wissen, dass eine Kritik von nichtjüdischen SchweizerInnen an Israel – aufgrund der Entstehungsgeschichte Israels und der Shoa – heikel ist. Kritik aus der Schweiz weckt in Israel böse Erinnerungen an die Flüchtlings- und Bankenpolitik der Schweiz im zweiten Weltkrieg. Trotzdem war es richtig, die Regierung Israels für ihre unmenschliche Politik gegenüber den PalästinenserInnen zu kritisieren – aber die vorher geschilderte Tatsache hat die enorme Wichtigkeit von begründeter und differenzierter Kritik klar gemacht. Darum haben wir uns bemüht, haben aber auch einige Formulierungen verwendet, die der Komplexität des Konfliktes nicht gerecht wurden: Israel «gilt seit seiner Entstehung» nicht einfach als «Brückenkopf und Speerspitze des Westens in einer Region, die über mehr als einen Drittel der weltweiten Ölreserven verfügt», wie wir das in der GSoA-Zitig Nr. 104 geschrieben haben, sondern ist ein Land, welches im Anschluss an die unvergleichbare Tragödie des Holocaustes entstanden ist und dessen Existenzrecht heute nicht bestritten werden kann. Und zwar, wie der israelische Historiker Dan Diner schreibt, nicht aufgrund der «unilateralen Legimität des göttlichen Versprechens und der teiluniversalen Legitimität der Grenzen von Auschwitz», sondern vor allem aus dem Grunde, «weil es existiert» und weil «diese Variante der Legitimität auch die einzig realpolitisch taugliche» (Fussnote 3) ist.

Israelkritik und Palästina-Solidarität in der Schweiz

Wie ich oben beschrieben habe, sind wir unserem Anspruch, in der Auseinandersetzung mit dem Konflikt im Nahen Osten, eine differenzierte Haltung einzunehmen, nicht immer gerecht geworden. Ich bin gleichzeitig aber davon überzeugt, dass uns das auch in Zukunft passieren wird, wenn wir uns mit diesem Konflikt beschäftigen – alles andere halte ich aufgrund der komplexen Geschichte des Konfliktes und den nachvollziehbaren Empfindlichkeiten auf beiden Seiten schlicht für illusorisch. Der Anspruch auf Differenziertheit unserer Stellungnahmen soll aber noch aus einem anderen Grund die weitere Arbeit der GSoA zu Palästina/ Israel leiten: Die innerschweizerische Auseinandersetzung zum Thema hat sich in den letzten zwei Jahren stark polarisiert. Die unlängst erfolgte unnötige Provokation der Gesellschaft Schweiz-Palästina (Fussnote 4) und die darauf durchgeführte Online-Umfrage der Zeitung «tachles» zu der Frage, ob die Gesellschaft Schweiz-Palästina antisemitisch sei, ist das jüngste Beispiel einer Auseinandersetzung, welche in der Schweiz (nicht nur innerhalb jüdischer oder palästinensischer Kreise) in den letzten Monaten Brüche aufgeworfen und Feindschaften geschaffen hat. Auch die GSoA ist mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert worden (siehe Kasten). Diese Polarisierung steht zudem in einer Reihe ähnlicher Auseinandersetzungen in der ganzen westlichen Welt, vorab in den USA, Frankreich (Fussnote 5) und Deutschland, die mit äusserster Erbitterung geführt werden.

Vor diesem Hintergrund ist es für die GSoA unerlässlich, ihre Aktivitäten zum Konflikt im Nahen Osten ständig zu hinterfragen und kritisch zu diskutieren. Nicht, um fundamentalistischer Kritik auszuweichen (die genauso bestimmt bei jeder Israelkritik kommen wird, wie auch jegliche Israelkritik genauso bestimmt von Antisemiten missbraucht werden wird), sondern, um keine Gräben zu schaffen zwischen diesen Organisationen und Menschen hier in der Schweiz, die sich für eine gerechte Lösung des Konfliktes einsetzen: Für ein Ende der militärischen Besatzung, für ein Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten, für ein Ende des Terrors, für ein friedliches Nebeneinander zweier Staaten.

Ein Ausblick

Ein Ende des Konfliktes im Nahen Osten scheint nur möglich, wenn auf beiden Seiten diejenigen Kräfte an die Macht kommen, die sich vom Frieden – und nicht vom Krieg – am meisten versprechen. Bewegungen wie die palästinensische-israelische Organisation «Ta’ ayush», die sich mit gewaltfreien Mitteln für ein Ende der Besatzung einsetzen, sind ein Hoffnungszeichen. Ihnen soll unsere Solidarität und Unterstützung auch in Zukunft gelten. Die israelische Regierung soll dabei weiter für die Eskalation des Konfliktes kritisiert werden. Im Sinne einer ehrlichen und konstruktiven Kritik, wie sie etwa der bekannte israelische Friedensaktivist Uri Avnery fordert: «Israel muss genauso betrachtet werden wie jeder andere Staat der Welt, mit den selben Massstäben, mit den selben moralischen Maßstäben. (Fussnote 6)» Und mit dem gleichen Recht auf eine möglichst differenzierte und ausgewogene Kritik.

Hirnrisse oder Antisemitismus?

(sl) Die GSoA wurde von der linken Zeitschrift «Risse» (www.risse.info) scharf kritisiert und mit dem impliziten Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert. Diese Kritik gilt es ernst zu nehmen – und auch nicht. Einerseits ist der im Laufe der letzten beiden Jahre auch in westlichen Ländern (wieder-) auferstandene Antisemitismus ein Problem, welches zu Recht thematisiert wird. Weiter wurden von der Zeitschrift einige Aussagen der GSoA zu recht kritisiert. (unklare Formulierungen, eine fehlende Verurteilung der Zwischenfälle an der Kundgebung vom 6.4.02 in Bern). Andererseits zeigen verschiedene andere Äusserungen der Zeitschrift-HerausgeberInnen deutlich, dass es sich bei ihrem Anliegen eigentlich gar nicht um eine ernstgemeinte Kritik handelt – sondern um reine Polemik. So wird der Vorwurf des Antisemitismus nicht nur an die GSoA verschenkt – sondern gleich an die gesamte Schweizer Medienlandschaft zwischen Woz und NZZ. Die Situation der PalästinenserInnen kommt in der Zeitschrift «Risse» schlicht nicht vor – da, laut den HerausgeberInnen, eine Kritik an Israel (worauf eine Schilderung der palästinensischen Situation halt vielfach hinausläuft) als Vorgabe für Antisemitismus dienen könnte. So wird die palästinensische Sicht einem fragwürdigen Diskurs geopfert… Nein, bei der Lektüre der Zeitschrift drängt sich ein anderer Verdacht auf, den Christian Axnick, Mitglied der deutschen Friedensbewegung DFG-VK in der Juni-Nummer der Zeitschrift «Zivilcourage» nicht treffender beschreiben hätte können: «Eine alte politische Weisheit: Wenn zwei sich streiten, stellt der Dritte sich auf die Seite eines der beiden und erklärt jedem, der das nicht ebenfalls tut, zum Schwein bzw. Feind. Gerade im Nahost-Konflikt können einige Leute der Linken ihre eintrainierte Sehnsucht nach der Entscheidungsschlacht offenbar kaum mehr bezwingen…»


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Fussnote 1: Aus einem Vortrag von J. Galtung am 5.9.2002 im Landesmuseum Zürich. Der Vortrag wurde organisiert von der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden zwischen Israel und Palästina.


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Fussnote 2: vgl. den Artikel von S. Luzi in der GSoA-Zitig vom Juni 2002: «Ich glaube, wir können uns zu Gute halten, diese Kritik in den letzten Monaten ernstgenommen zu haben und weiter ernstzunehmen. Wir sind uns bewusst, dass – bedingt durch die komplexe und beispiellos tragische Entwicklung und Geschichte dieses Konfliktes – Forderungen nach Wiedergutmachung begangenen Unrechtes automatisch zu einer nachvollziehbaren Spirale gegenseitiger Beschuldigungen führen können.»


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Fussnote 3: vgl. Dan Diner: «Sprachlos am Zaun». In: Die Zeit, Nr. 31/2002


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Fussnote 4: Ein Vortrag in Zürich mit dem unnötig provokativen Titel «Ist die Existenz eines jüdischen Staates mit den Menschenrechten vereinbar?», Dezember 2002


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Fussnote 5: vgl. dazu den Artikel von Dominique Vidal in der Dezember 2002 – Ausgabe der Le Monde Diplomatique



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Fussnote 6: zitiert in: Avnery, Uri / Pflüger, Tobias: Vom Frieden weit entfernt in: Wissenschaft und Frieden 2/2001