Heimspiel für die Armee

Die Beteiligung an internationalen Militäreinsätzen ist für die Armee infolge der starken Ablehnung des Irak-Krieges in der Schweiz heikel geworden. Davon zeugen auch die vom neuen Bundesrat entfachten Diskussionen um den Rückzug der Schweizer Armee aus dem Kosovo. Ein neues Feindbild wurde aber bereits gefunden: Im Innern der Schweiz.

«Es kann nicht angehen», sagte der Generalsekretär des Verbandes Schweizerischer Polizeibeamter VSPB Jean-Pierre Monti, «dass Kräfte mit kombattantem Status zivile polizeiliche Aufgaben übernehmen und die Polizei belasten, nur weil die Landesregierung im Streit um die innere Sicherheit offenbar nicht mehr den politischen Willen habe, eine klare Trennung zwischen dem Gewaltmonopol von Polizei und Militär aufrechtzuerhalten.»

Mit obenstehendem Pressekommuniqué richtete sich der Verband Schweizerischer Polizeibeamter gegen den Entscheid des Schweizer Bundesrates vom 6. November 2002, polizeiliche Aufgaben im Innern der Schweiz vermehrt durch die Schweizer Armee abdecken zu lassen. Der Bundesrat hat diesen Entscheid damals damit begründet, dass die Überprüfung System innere Sicherheit der Schweiz (USIS) – eine Studie, die 1999 von Bundesrätin Metzler in Auftrag gegeben wurde – ergeben hat, dass für die innere Sicherheit in Zukunft jährliche Mehrausgaben in dreistelliger Millionenhöhe benötigt würden. Die «staats- und finanzpolitische Lage des Bundes» erfordere daher, so der Bundesrat, einen Vorentscheid: Zusätzliche Gelder für die innere Sicherheit können nicht beschafft werden, stattdessen soll eine «vermehrte Synergienutzung» dazu führen, dass «sicherheitspolitische Aufgaben des Bundes dauerhaft durch die Armee erfüllt werden». Das heisst, wie das Handbuch «Schweizer Armee 2004» schreibt: «Militärische Kräfte (Militärpolizei, Durchdiener der Infanterie, WK-Truppen) kommen vermehrt auch in der normalen Lage in zivilen Bereichen (…) zum Einsatz. Der verstärkte Einsatz der Armee zur subsidiären Unterstützung der zivilen Kräfte für Grenz-, Konferenz- und Objektschutzt wird damit vorläufig vom Ausnahmefall zum Regelfall». Dies wird auch von Brigadier Andreas Bölsterli, Chef Operationen und Planung beim VBS, bestätigt: «Gemessen an der heutigen Lage stehen subsidiäre Sicherungseinsätze und solche Hilfseinsätze für die Bevölkerung im Vordergrund» (ASMZ, 1/04).

Der Einsatz der knapp 4000 Soldaten beim World Economic Forum 2004 macht deutlich, dass der erwähnte «Regelfall» schneller als erwartet eingetroffen ist: Nach dem Einsatz beim WEF 2003, dem G8-Gipfel in Evian und dem UNO-Gipfel zur Informationsgesellschaft in Genf ist der Einsatz beim WEF 2004 bereits der vierte Einsatz innerhalb eines Jahres, an dem mehrere tausend Schweizer Soldaten den zivilen Behörden «Assistenzdienst» leisten. Damit hat die Armee im Jahr 2003 über 375’000 Diensttage für «subsidiäre Sicherungseinsätze» geleistet (im Vergleich zu 150’000 Diensttagen im Jahr 2002), pro Woche standen durchschnittlich 1200 Soldaten in solchen Einsätzen im Einsatz. Und die Armee geht davon aus, dass in Zukunft immer 40-45 Prozent aller Truppen durch diese Einsätze gebunden werden (NZZ, 28.11.2003 und 20 Minuten, 13.1.2004).

Weichen neu gestellt

Innere Einsätze dienten der Schweizer Armee schon immer als Ausweichmöglichkeit, wenn gerade – und das war nach 1989 ziemlich häufig der Fall – gerade keine äussere Bedrohung angeführt werden konnte oder die Umstände für die Promotion von internationaler «Kooperation» ungünstig waren. Ende der 90er Jahre mehrten sich aber, insbesondere aus der Wirtschaft, diejenigen Stimmen, die den Einsatz von Schweizer Soldaten für «subsidiäre Einsätze» wie die Betreuung von Flüchtlingen oder das Pistenstampfen am Lauberhornrennen als wenig effizient ansahen.

Der 11. September 2001 hat die Grundlage für das «Comeback» der inneren Sicherheitsfanatiker geschaffen. Und dies, obwohl selbst die Studie «Sicherheit 2002» der Militärakademie der ETH Zürich festgestellt hat, dass sich das Sicherheitsbedürfnis der SchweizerInnen aufgrund der Anschläge in den USA nicht verändert hatte. Dies hielt die Armeeplaner aber nicht davon ab, in zivile Bereiche vorzustossen: Ausdruck davon ist etwa die im Dezember 2003 von Bundesrat Schmid erhobene Forderung nach einem «Sicherheitsdepartement», zu dem das Verteidigungsdepartement VBS aufgewertet werden soll (Tagesanzeiger, 16.12.03): Als Vorbild scheint klar das von den USA nach den Attentaten vom 11.9.2001 gegründete «Departement for homeland security» zu dienen. Das «Sicherheitsdepartement» soll noch dieses Jahr vom Bundesrat genehmigt werden.

Um die Skepsis in der Bevölkerung gegenüber inneren Einsätzen der Armee zu überwinden, die aufgrund von zahlreichen Einsätzen der Armee mit tödlichem Ausgang insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden war, setzt das VBS auf eine Strategie der «Gewöhnung» der Bevölkerung an die inneren Einsätze. So stellte Armeechef Keckeis «fest, dass die Akzeptanz für solche Einsätze steigend ist. Vor kurzem bereitete dies noch Mühe. Mittlerweile ist die Armee jedoch so oft subsidiär im Einsatz, dass Berührungsängste abgebaut worden sind.» (NZZ am Sonntag, 4.1.2004)

Klar scheint auch, dass die Neubildung des Bundesrates am 10. Dezember 2003 die Befürworter von inneren Einsätzen der Schweizer Armee gestärkt haben: Innere Einsätze sind der gemeinsame Nenner derjenigen armeefreundlichen Parteien, die sich in den letzten Jahren aufgrund der internationalen Ausrichtung der Armee noch erbittert bekämpft hatten…

Weittragende Folgen

Die Folgen der fallenden Hemmungen der Armee im Bereich der inneren Einsätze sind besorgniserregend. Nicht nur, weil die Armee mit der Neuregelung des Militärgesetzes im Jahre 2002 und der Verabschiedung der «Verordnung über elektronische Kriegsführung» im Herbst 2003 nachrichtendienstliche Kompetenzen erhält, die zahlreiche Einschränkungen in Frage stellt, die aufgrund der Fichen-Affäre in die Wege geleitet worden waren. Oder weil im letzten Jahr neu nicht nur professionelle Armeeformationen für den «Schutz» von Grossveranstaltungen aufgeboten wurden, sondern auch WK-Truppen, die nur rudimentär für solche Einsätze ausgebildet werden. Zu Befürchtungen gibt insbesondere die Tatsache Anlass, dass die Soldaten – obwohl im Assistenzdienst eigentlich noch immer den zivilen Behörden untergeordnet und in erster Linie für den Schutz von Objekten zuständig – in den Einsatzregelungen der letzten Monate immer weiter in die Nähe von DemonstrantInnen und BürgerInnen gekommen sind.

Eine ausführliche Dokumentation zu den inneren Einsätzen der Schweizer Armee ist im Internet unter gsoa.ch/armee/inland/ zu finden.