Operationen gegen “gescheiterte Staaten”

Ersatz für das delegitimierte Konzept der “humanitären Intervention”: Im Sudan könnte erstmals nach dem Prinzip der “Responsibility to Protect” interveniert werden.

Von Norman Paech *

Die letzten grossen Kriege haben nicht nur viele Menschenleben gekostet, sondern auch das vorhandene Arsenal an Rechtfertigungen weitgehend erschöpft. Wenn die UN-Charta nichts hergab, wurde auf die vermeintliche Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen und den Terrorismus zurückgegriffen. Die so genannte «humanitäre Intervention», um Menschenrechte zu retten, erschien schon 1999 als höchst fragwürdige Begründung für die Bombardierung Jugoslawiens und galt fortan als verschlissen. Nun gewinnt ein neues Konzept die Gunst der Interventionspolitiker: die «Responsibility to Protect» – die «Verantwortung zu beschützen». Jüngst tauchte es bei George W. Bush und Tony Blair auf, als es darum ging, die Regierung in Khartum mit militärischen Mitteln davon zu überzeugen, ihren Widerstand gegen einen umfassenden Einsatz von UN-Truppen in ihrer Westprovinz Darfur aufzugeben. Da Amerikaner und Briten sicher sein können, für Luftangriffe auf Flughäfen im Sudan, für ein militärisch durchgesetztes Flugverbot über Darfur oder die Blockade des Hafens Port Sudan, über den Öl nach China verschifft wird, kein chinesisches Plazet im Sicherheitsrat zu erhalten, wird nach einer neuen Variante der humanitär gefärbten Rechtfertigung gesucht – Resultat ist die in Umlauf gesetzte Idee von einer «Responsibility to Protect».

Kein Recht zu Interventionen

Das Konzept wurde in den Jahren 2000/ 2001 von der International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS) kreiert. Das Gremium war seinerzeit von der kanadischen Regierung eingerichtet worden, um einen Ersatz für die auch von UN-Generalsekretär Kofi Annan verworfene «humanitäre Intervention» zu finden. Das Versagen der Vereinten Nationen während des Genozids in Ruanda (1994) und der Massenexekutionen von Srebrenica (1995) haftete der Weltorganisation nach wie vor als Makel an. Die Kommission sprach sich daher für «eine Intervention in extremen und aussergewöhnlichen Fällen» aus. Wenn etwa ein Staat infolge eines Bürgerkrieges, eines Aufstandes, interner Unterdrückung oder schwerer Verletzung der Menschenrechte seine Bevölkerung nicht mehr vor grossem Leid bewahren könne – oder dies auch nicht wolle -, greife die Verantwortung der Staatengemeinschaft. Das Prinzip der staatlichen Souveränität und territorialen Integrität müsste in diesem Fall dem der «Verantwortung» weichen. Damit freilich wird aus der Responsibility noch kein Recht oder schon gar eine Pflicht zur Intervention für einzelne Staaten, wie es vereinzelt bereits gefolgert wird. Denn der Bruch mit dem absoluten Gewalt- und Interventionsverbot der UN-Charta ist weder durch einen Kommissionsbericht noch durch eine Resolution der Generalversammlung möglich. Dazu bedarf es entweder der Änderung der Charta mit einer Zweidrittel-Mehrheit der Mitgliedsstaaten oder einer gewohnheitsrechtlichen Änderung, die allerdings nur durch eine dauerhafte Praxis der Staaten eintreten kann.

Weitere «Friedensmissionen»

Trotz des Desasters im Irak und der Aussichtslosigkeit des Kampfes in Afghanistan stehen derzeit zwei weitere «Friedensmissionen» auf der Agenda der US-Administration: Iran und Sudan. Die öffentliche Meinung ist angesichts der unübersehbaren Komplikationen für die US-Streitkräfte besonders im Irak geneigt, die Gefahr solcher Abenteuer gering zu schätzen. Daniel Ellsberg jedoch hat jüngst eindringlich vor der Gefahr selbst eines Angriffs mit Atomwaffen durch die USA auf ausgewählte Ziele in Iran gewarnt. Die Schwachstelle in den Planungen der USA und Grossbritanniens ist nicht die militärische Kapazität, die zügig nachgerüstet wird, sondern der wachsende öffentliche Widerstand gegen den militärischen Zuschnitt der neuen Weltordnung. Die «Verantwortung zu beschützen», ist offenkundig dazu gedacht, diesen Widerstand zu unterlaufen.


* Der Völkerrechtler Norman Paech ist Abgeordneter des deutschen Bundestags und aussenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke.
Der vorliegende Beitrag erschien im Magazin Freitag, 22. Dezember 2006

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