Fichenstaat 2.0

Das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG) bedeutet einen massiven Eingriff in die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger und setzt die im «War on Terror» begonnene globale Totalüberwachung der Bevölkerung auch in der Schweiz fort. Die GSoA hat zusammen mit anderen Bündnispartnern das Referendum ergriffen.

Wie oft bei politischen Prozessen hinkt die Schweiz auch bei der gesetzlichen Etablierung des Überwachungsstaates den umliegenden Ländern hinterher. In Frankreich peitschte die Regierung nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo ein umfassendes «Anti-Terror»-Gesetz durchs Parlament. Und in Deutschland besteht spätestens seit dem NSU-Skandal der Verdacht, dass der Verfassungsschutz von Rechtsextremisten unterwandert ist. In der Schweiz hat die Ende der 80er-Jahre aufgeflogene Fichenaffäre dazu geführt, dass sich das Parlament für einige Jahre keine weiteren Überwachungsfantasien leisten konnte. In dieser Herbstsession verabschiedete der Nationalrat das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG) beinahe kritiklos. Die Schweiz hat damit in Sachen Überwachung zu ihren Nachbarn aufgeschlossen und dem Sicherheitsfanatismus nachgegeben.

Bündnis lanciert Referendum

Verschiedene Organisationen wie grundrechte.ch, die Digitale Gesellschaft, die JUSO, die Grünen und die GSoA riefen deshalb das «Bündnis gegen den Schnüffelstaat» ins Leben, das Anfang Oktober das Referendum gegen das neue Gesetz ergriffen hat. Hauptkritikpunkte sind vor allem die verlängerte Vorratsdatenspeicherung, die Kabelaufklärung und die gesetzliche Legitimation neuer Überwachungsmethoden durch den Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Die Vorratsdatenspeicherung soll mithilfe der Revision des Bundesgesetzes über den Post- und Fernmeldeverkehr von sechs auf zwölf Monate ausgeweitet werden. So müssen die Telekom-Anbieter in Zukunft alle Kommunikations-Eckdaten (also wer mit wem wann telefoniert) ein Jahr speichern. Neu soll nun auch der NDB Zugriff auf diese Vorratsdaten haben. Im Klartext bedeutet das, dass die Daten um einiges länger als nur ein Jahr gespeichert werden könnten. Die Grenzen der verschiedenen Datenbanken sind im Gesetz nicht geregelt und obliegen der Entscheidungshoheit des Bundesrates: Parlament und Bevölkerung haben dazu nichts mehr zu sagen. Mithilfe der Kabelaufklärung werden alle Datenströme, welche die Schweizer Grenze verlassen, angezapft und gespeichert. So würde in Zukunft alle unverschlüsselte Kommunikation für den Nachrichtendienst einlesbar, ohne dass ein konkreter Tatverdacht vorläge. Die NSA lässt grüssen, Edward Snowden scheint vergessen. Überdies soll der Nachrichtendienst die Kompetenzen erhalten, Wanzen in Schlafzimmern zu installieren, mithilfe von Staatstrojanern eine umfassende Totalüberwachung einzelner Personen zu etablieren und durch zweifelhafte V-Leute bestimmte Milieus zu bespitzeln. Und das alles ohne richterlichen Beschluss.

Kontrollinstanz VBS?

Grundsätzlich ist ein Nachrichtendienst immer und überall am falschen Ort angesiedelt. Doch wenn, wie es beim NDB vorgesehen ist, das Departement von Ueli Maurer als Kontrollinstanz fungieren soll, läuten einmal mehr die Alarmglocken. Die Pseudo-Kontrollinstanz, welche ebenfalls dem VBS angeschlossen werden soll, ist reine Augenwischerei. Das VBS als Kontrollinstanz ist nicht tragbar, wie sich in mehreren Fällen von intransparenten, an Korruption grenzenden Rüstungsbeschaffungen oder bei der Gripen-Abstimmung gezeigt hat. Ein Militär, das uneingeschränkt Daten der Bevölkerung sammelt, schützt nicht die Freiheit und die Demokratie, sondern zerstört sie. Dies sollte uns als GSoAtinnen und GSoAten zutiefst beunruhigen. Denn viele von uns waren bis in die 90er-Jahre selbst Opfer eines aus dem Ruder gelaufenen Schnüffelstaats.