Am Anfang steht die Lüge

Dass Kriegsparteien in jedem Konflikt darum bemüht sind, die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen, ist keine neue Erkenntnis. Am Beispiel der USA zeigt sich in dramatischer Weise, dass in vielen Fällen Lügen als Auslöser für Konflikte benutzt werden.

Der Auftakt zum Vietnam-Krieg erfolgte mit einer Lüge: 1964 meldeten zwei US-Zerstörer, sie seien im Golf von Tongking von nordvietnamesischen Torpedobooten angegriffen worden. Später erfuhr man von Besatzungsmitgliedern der beiden US-Kreuzer, dass der Angriff im Golf von Tongking eine pure Erfindung gewesen war. Auch Reagan agierte mit solchen Unwahrheiten, als er im Jahre 1985 die Bedrohung durch Nicaragua und die Sandinisten hochspielte, diese als «Krebsgeschwür» bezeichnete und den nationalen Notstand ausrief. In Erinnerung blieb auch die Geschichte des Golfkrieges, als behauptet wurde, dass irakische Soldaten in kuwaitischen Frauenkliniken Neugeborene aus den Brutkästen reissen würden, um diese gnadenlos umzubringen. Diese Aussage trug damals entscheidend dazu bei, dass der US-Kongress unter Präsident Bush Senior für den Krieg stimmte. Heute gilt es als erwiesen, dass es sich dabei um Erfindungen von Werbestrategen der Firma «Rendon Group» handelte.

Bush Junior geht in der ganzen Manipulationsstrategie nun gar noch einen Schritt weiter. Im Februar des vergangenen Jahres enthüllte die «New York Times», dass das Pentagon auf Anweisung von Rumsfeld ein «Office for Strategic Influence» geschaffen hatte und diesem die Aufgabe zuteilte, im Interesse der Vereinigten Staaten nützliche Desinformationen zu verbreiten. Das «Office for Strategic Influence» wurde nach den Enthüllungen in der Presse zumindest offiziell aufgelöst. Dies sollte Bush zusammen mit Blair vor dem Krieg gegen den Irak allerdings nicht daran hindern, weiter zu manipulieren und zweifelhafte Quellen als Beweise zu präsentieren. Die Kriegskoalition hatte erkannt, dass die Zustimmung der eigenen Bevölkerung zum Irak-Feldzug vor allem dann zu gewinnen war, wenn die Angst vor Massenvernichtungswaffen in Kombination mit Terrororganisationen geschürt werden konnte. Dies erklärt auch die Behauptungen angeblicher Versuche des irakischen Regimes, Uran in Afrika zu beschaffen, die Geschichte vom Kauf der Aluminiumröhren zur Uran-Anreicherung oder die Entdeckung mobiler Laboratorien zur Herstellung von Biowaffen. In Kombination mit den als Fakten präsentierten Gerüchten über Kontakte des Al Qaida-Mitgliedes Mohamed Atta, dem Anführer der Flugzeugentführer vom 11.September 2001, mit einem irakischen Geheimdienstoffizier, hatte das erfolgsversprechende Gefahrenkonstrukt von Massenvernichtungswaffen und Terrororganisationen das Gesicht Saddam Husseins erhalten. Alle diese «Beweise» erwiesen sich zwar als falsch. Trotzdem haben sie ihre Wirkung nicht verfehlt: Wenige Wochen nach dem 11. September betrachtete die Mehrheit der US-Bürger Saddam Hussein als eine unmittelbare Bedrohung für die USA. Fast die Hälfte glaubte gar, hinter den Terroranschlägen vom 11. September stehe das irakische Regime.

Mit der «neuen nationalen Sicherheitsdoktrin», die im Herbst 2002 verfasst worden ist, scheint die Regierung Bush nun einen Weg gefunden zu haben, wie man zukünftig den lästigen Lügendebatten aus dem Weg gehen kann. Bis anhin gab sich die USA das Recht, dann anzugreifen, wenn das betreffende Land über tödliche Waffen in grossen Mengen verfügt. Gemäss «Financial Times» soll die Präventivkriegsdoktrin nun insofern «verfeinert» werden, dass die Regierung gegen feindliche Regime vorgehen kann, die lediglich den den Vorsatz und die Fähigkeit haben, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln.