Aus dem Osten lernen

Der Verein Österreichische Friedensdienste ÖFD organisiert seit 1993 freiwillige und unentgeltliche Friedensdienste, um am Aufbau einer internationalen zivilen Friedensarbeit mitzuwirken. Die Freiwilligen sind vor allem im ehemaligen Jugoslawien aktiv

Junge Österreicherinnen und Österreicher arbeiten 6 bis 14 Monate in Wiederaufbau-, Bildungs- und interethnischen Kulturprojekten, Friedens- und Menschenrechtsgruppen sowie in der Flüchtlingsbetreuung. Österreich hat damit schon viel von dem realisiert, was die GSoA in der Schweiz mit ihrer Initiative für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst fordert. Zudem gilt in Österreich ein 14-monatiger Friedensdienst bei Männern als Ersatz für den Zivildienst.

Kroatien: Zivilgesellschaft in einem uniformierten Land

Im äussersten Osten von Kroatien, an der Grenze zu Jugoslawien, liegt Osijek, eine Stadt mit rund 100’000 EinwohnerInnen, die vom Krieg 1991/1992 schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Noch während der Kriegshandlungen hat sich hier eine Gruppe von Menschen zusammengefunden, um der Kriegshetze, dem Nationalismus, den ethnischen Spannungen, dem Hass zwischen den Bevölkerungsgruppen und der Intoleranz entgegenzutreten. Die Organisation «Center for Peace, Non-Violence and Human Rights Osijek» erhielt 1998 für ihr Engagement in der Menschenrechtsarbeit, der Friedenserziehung, der Flüchtlingshilfe und dem sozialen Wiederaufbau den Alternativen Friedensnobelpreis zugesprochen.

Von 1991 bis 1995 wurde das Gebiet östlich von Osijek von der Jugoslawischen Volksarmee und serbischen paramilitärischen Einheiten besetzt und regiert. In dieser Zeit wurden nahezu alle Nicht-SerbInnen vertrieben. Von der UNO wurde eine Übergangsregierung eingesetzt, um diese Einheiten zu entwaffnen und das Gebiet bis Januar 1998 wieder in das kroatische Staatsgebiet zu integrieren. Seit dem Abzug der UNO ist die OSZE verantwortlich für die Überwachung der kroatischen Behörden in dieser Region.

Auch wenn die offiziellen kroatischen Stellen dies immer wieder behaupten, so sind die Probleme noch lange nicht verschwunden. Die ethnischen Säuberungen gehen weiter – zwar nicht mehr mittels kriegerischer Handlungen, sondern versteckt. Den Angehörigen der serbischen Minderheit in Kroatien werden wichtige Dokumente nicht ausgestellt, sie bekommen keine finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau, eine Arbeitsstelle zu finden ist fast unmöglich – und wenn, dann zu geringeren Löhnen. Das tägliche Leben wird ihnen so schwer gemacht, dass sie «freiwillig» ihre Häuser verkaufen, die Koffer packen und Kroatien Richtung Serbien oder Westeuropa verlassen. Die OSZE spricht von einer «ethnischen Säuberung auf administrativem Weg».

Versöhnungsarbeit im Feld

In diesem Spannungsfeld – zwischen kroatischen RückkehrerInnen, serbischen Flüchtlingen aus anderen Teilen Kroatiens, alteingesessenen SerbInnen, kroatischen Flüchtlingen aus Bosnien und Angehörigen anderer Minderheiten wie Roma, Ungarn oder Slowaken – arbeiten die rund 100 Mitglieder des Center in Osijek mit Unterstützung durch internationale Freiwillige an verschiedensten Projekten. Eine monatliche Gratis-Jugendzeitschrift «Burek» dient als Sprachrohr und kreative Plattform ihrer Meinungen und Interessen.

Das grösste Projekt sind aber seit Oktober 1998 die «Peace Teams» aus serbischen, kroatischen und «internationalen» Freiwilligen. Mit dabei sind vier Friedensdienstleistende aus Österreich. Die Teams leben und engagieren sich in verschiedenen Gemeinden der Gegend und leisten einen Beitrag zum Aufbau lokaler gesellschaftlicher Strukturen: Kultur-, Jugend- und Freizeitprojekte, Workshops, Konzerte und Theater usw. Zentrales Element des Einsatzes ist ein «Listening Project», die Durchführung von Interviews mit den DorfbewohnerInnen über Probleme und Bedürfnisse. «Sich-von-der-Seele-reden», Verständnis wecken, Vorurteile abbauen, Aufklärung betreiben und gemeinsame Aktivitäten animieren – damit werden die Gräben über die ethnischen Grenzen hinweg überbrückt. Auf ihren Einsatz wurden die MitarbeiterInnen der Peace-Teams in einer zweieinhalbmonatigen Ausbildung vorbereitet.

Ein Beispiel für die erfolgreiche Arbeit der Peace-Teams in Ostslawonien ist das von der OSZE in Auftrag gegebene «Listening Project» im vorwiegend serbisch bewohnten Dorf Berak, wo Exhumierungen stattfinden. Die Situation zwischen den ansässigen SerbInnen und den zurückkehrenden KroatInnen ist äusserst gespannt. Demonstrationen und gegenseitige Schuldzuweisungen bestimmen den Alltag. Die Arbeit der Peace-Teams lieferte der OSZE die Grundlage für ihre Integrationsarbeit.

In einem anderen Projekt arbeiten österreichische Freiwillige in Vukovar mit Jugendlichen. Vukovar liegt genau an der Grenze zur Bundesrepublik Jugoslawien. Früher eine multiethnische Stadt, wurde Vukovar im Krieg äusserst schwer beschädigt. Alle KroatInnen verliessen die Stadt und kehrten erst nach der zweijährigen UN-Verwaltung zurück. Mit der «Youth Peace Groupe Danube» (YPGD) engagieren sich die Freiwilligen für multiethnisches Zusammenleben und kulturelle Brücken: ein Club, eine Fotogruppe, eine Videofabrik, ein Radioprogramm, Sommercamps… Die YPGD und die ÖFD-Freiwilligen können die grossen politischen und wirtschaftlichen Probleme nicht aus der Welt schaffen. Sie können aber Begegnung, Austausch und Erfahrung ermöglichen, Fähigkeiten wecken und fördern, kleine Öffnungen in die Panzer aus Aussichtslosigkeit, Resignation und Abgrenzung reissen.

Bosnien-Herzegowina:
Zwischen Aufbruchstimmung und Ausbruchswille

Die Arbeit in Bosnien begann für österreichische FriedensdienstlerInnen Ende 1994, mitten im dritten Kriegswinter. Der «World University Service Austria» (WUS) begann eine Zusammenarbeit mit bosnischen StudentInnen in Sarajewo. Dem zerstörten Land sollte über die Unterstützung seiner universitäten Einrichtungen ein Stück Normalität zurückgegeben werden. Mit Unterstützungsprogrammen wurde der Wiederaufbau der akademischen Strukturen betrieben. Ein Grossteil der ehemaligen Spitzenkräfte des Landes hat sich nach der Flucht aus der Heimat neue Existenzen im Ausland aufgebaut. Eine Rückkehr dieser Menschen scheint in naher Zukunft ausgeschlossen. Zudem hält die Abwanderung junger und gut qualifizierter Leute aus der Region unvermindert an. Wer die finanziellen Mittel und Möglichkeiten für einen Neubeginn im westlichen Ausland hat, setzt diesen Wunsch meist früher als später in die Tat um.

Die Arbeit der österreichischen Freiwilligen besteht darin, die Ausbildungsqualität vor Ort zu fördern und damit die junge Generation zu einem Verbleib in der Region zu motivieren. Mit Freizeitaktivitäten, Kulturanlässen, Internet-Infrastrukturen, aber auch internationalen Austauschprogrammen bieten sie eine Kombination von technischem Wissen und gesellschaftlichem Verständnis, das jungen Leuten eine neue Perspektive eröffnen kann.

Auch im serbischen Teil Bosniens, in Banja Luka, engagieren sich Freiwillige an der Universität. Sie haben dort ein «Counceling and Information Center» (CIC) eingerichtet, in dem StudentInnen Zugang zu E-mail und Internet haben, wo sie sich über Auslandaufenthalte und Stipendienprogramme informieren können, wo Sprachkurse, Seminare und Workshops abgehalten werden, wo studienbegleitende Unterstützung, aber auch Freizeitaktivitäten stattfinden. Freiwillige leisten ihre Arbeit, um die geistige Isolation in der serbischen Republik zu durchbrechen und den universitären Austausch zu fördern. «Ich will nicht zusehen, wie jemand das wieder zerstört, was ich hier aufbaue», sagt Sascha, ein technischer Student, der nach Deutschland will. So wie er denken viele. Wer gut ist, hat hier wenig Chancen – auf keinen Fall aber die Möglichkeit, mit einem guten Job auch wirklich gutes Geld zu verdienen. Kein Wunder also, dass die meisten weg wollen. Aber wer soll den gesellschaftlichen und politischen Wiederaufbau Bosnien-Herzegowinas bewerkstelligen, wenn die Besten alle weggehen?

Bundesrepublik Jugoslawien: Erste Schritte auf einem langen Weg

Auch in Podgorica, der Hauptstadt von Montenegro, arbeitet ein österreichischer Freiwilliger des Friedensdienstes mit lokalen MitarbeiterInnen an der Universität daran, den jungen Menschen die Türe zur Welt aufzustossen, ohne dass sie weggehen müssen. Michael Jandl leitet hier das Informations-, Beratungs- und Internetzentrum, das im dritten Stock der Uni untergebracht ist. Hier können StudentInnen und ProfessorInnen Informationen über internationale akademische Kontakte und Austauschprogramme, Reisestipendien usw. erhalten. Das «Walk-in-Internet-Zentrum» (WIIC) mit seinen 12 Online-Computern nahm im Februar 1999 seinen Betrieb auf und wird rege besucht. Computer- und Englischkurse, Windows, Excel, Word… – die «Universität 2000» entsteht mit Hilfe österreichischer Freiwilliger.

In Novi Sad, Vojvodina (Nordserbien), engagierten sich die FriedensdienstlerInnen bei der humanitären Hilfe und bei der Betreuung von Flüchtlingen aus Bosnien, Kroatien und dem Kosov@, im Rahmen der Ökumenischen Hilfsorganisation EHO. Sie gaben Sprachkurse, halfen beim Übersetzen und Verfassen von Projektberichten und Publikationen, gestalteten Ferienlager für Flüchtlingskinder und einheimische Jugendliche, halfen bei der Verteilung von Hilfsgütern und unterstützten Menschen in Flüchtlingslagern; sie arbeiteten in einer Tageswerkstätte für Behinderte mit und organisierten Privattransporte von Altkleidern und Patengeldern aus Österreich, leisteten Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Bewusstseinsbildung und Versöhnungsarbeit.

Die Nato-Bomben zwangen die Freiwilligen im März, das Land zu verlassen: «Dreizehn Monate hatte ich als Friedensdiener in Novi Sad gearbeitet und ein halbes Jahr wollte ich noch verlängern, da schickte sich im März die Nato an, uns kleinen Spielern die Arbeit abzunehmen. Das Verteidigungs-Bündnis verrichtete seinen Dienst allerdings so gründlich, dass man gleich ein halbes Dutzend Donau-Brücken hinter uns abbrach. Offenbar war man der Auffassung, dass Luftschläge besser als Brückenschläge dem Frieden dienen können…» Reinhard Eckert zieht eine bittere Bilanz des Nato-Krieges gegen Jugoslawien. «Welch trügerisches Wort: Luftschläge? Das klang ungefähr so wie Schattenboxen – die Helden taten sich nicht weh, sahen aber wahnsinnig elegant dabei aus. Und die braven EUropäer liessen sich mediale Sonnenfinsternisbrillen aufsetzen, um schön schwarzweiss zu sehen und die Guten von den Bösen unterscheiden zu können.»

Hat der Nato-Krieg Jugoslawien wenigstens dem Ende der Ära Milosevic und damit längerfristig dem Frieden nähergebracht? Ja, aber…, meint Reinhard Eckert: «Die Tage des Regimes sind gezählt, aber keiner weiss, wann und wie die Ablösung geschehen wird. Geschichte werden wieder die Lauten, Auffälligen, Penetranten schreiben, und in den Zeitungen werden neue Namen und Zahlen zu lesen sein. Die wahrhaftigen Geschichten jenseits der Schlagzeilen werden aber wohl annähernd die gleichen geblieben sein – zu allen Zeiten, auf allen Seiten.»

* aus FriedensDienst 4/99. Weitere Informationen unter http://www.demut.at/friedensdienst/


Ein vorbildliches Beispiel dafür, wie in Konfliktgebieten mit Schweizer Hilfe Friedensarbeit geleistet werden kann, ist das Kroatienprojekt des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS). Seit 1995 werden mit Unterstützung des HEKS in Primar- und Sekundarschulen in Osijek und Umgebung Workshops angeboten, in denen Toleranz, gewaltfreie Konfliktlösung und Menschenrechte thematisiert werden. Die Kurse werden vom Friedenszentrum Osijek durchgeführt, das versucht, Kinder und Jugendliche, die in einem Klima der Verunsicherung und des Hasses aufwachsen, für konstruktive Ideen zu gewinnen. Ein unterstützenswertes Projekt! PC 80-1115-1


Seit die GSoA im März 1995 mit der Diskussion über einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst begonnen hat, begleitete die GSoA-Zitig den Lernprozess, der sich im Laufe der Jahre innerhalb der GSoA und in der Zusammenarbeit mit unterstützenden Organisationen entwickelt hat, in etlichen Artikeln. Wir haben die Ergebnisse dieses Denkprozesses nun erstmals in einer Artikelsammlung zusammengestellt. Sie soll einerseits unsere Überlegungen zu den Grundlagen ziviler Konfliktbearbeitung, andererseits Pojekte, wie wir sie uns im Rahmen eines ZFD vorstellen, dokumentieren. Die Artikelsammlung kann gratis bezogen werden bei:

GSoA,
Postfach,
8031 Zürich,
T: 01 273 0100,
gsoa@gsoa.ch

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