Basteln an der Armee

Die bürgerlichen Bundesräte streiten über Bestandeszahlen, und die SP legt sich für weniger Armeeausgaben ins Zeug. Die Armeereformer diskutieren die Frage: Welche und wieviel Armee? Wir aber wollen wissen: Wozu überhaupt eine Armee?

Im Bundesrat wird gestritten, ob die Armee 100’000 oder 200’000 Soldaten haben soll. Die Pressekonferenz nach der Verabschiedung der politischen Leitlinien zum Armeeleitbild XXI machte nur eines klar: dass noch alles unklar ist. Doch die Differenz zwischen den beiden Positionen, die an den Namen Adolf Ogi und Pascal Couchepin festgemacht werden, ist in der Sache minim. Wer hofft, es würden je nach Variante weniger Wehrpflichtige eingezogen oder weniger Diensttage verlangt, hofft vergebens. Die Meinungsverschiedenheit bezieht sich lediglich auf Grösse und Status einer zukünftigen Armeereserve. Nach allen Planungen sollen die Wehrpflichtigen in Zukunft eine längere Rekrutenschule – die vorgeschlagene Dauer beträgt sechs Monate – und danach fünf bis sechs Wiederhohlungskurse im Jahresrhythmus leisten. Im Alter von ca. 27 Jahren hätten Soldaten ihre Dienstpflicht erfüllt. Adolf Ogi will sie dann noch weitere vier bis fünf Jahre in die Reserve einteilen (und in den Beständen mitzählen). Couchepin findet das unnötig. Bei rund 20’000 Soldaten pro Jahrgang machen diese vier bis fünf Reservejahre die scheinbar grosse Differenz aus. Einig sind sich die bürgerlichen Bundesräte dagegen im Wesentlichen: Die Armee darf sich in gewohntem Umfang aus der Bundeskasse bedienen. Nur die Belastung für die Wirtschaft wird durch die Beschleunigung der Offizierslaufbahn und die frühere Entlassung der Soldaten gesenkt.

Wenig Differenzen und viel Theater

Das sind wenig inhaltliche Differenzen für so viele Zeitungsspalten. Die Diskussion nützt aber in erster Linie Bundesrat Ogi und seinem Armee-Modernisierungskurs. Das Verteidigungsministerium (VBS) selbst weiss längst: Die heute 360’000 Soldaten unter Waffen kosten soviel Geld, dass kaum mehr etwas für neue Waffensysteme übrig bleibt. Um den internationalen Anschluss nicht zu verlieren, muss die Armee aber aufrüsten. Das VBS rechnet für die nächsten Jahre mit einem Investitionsbedarf von jährlich 2 bis 4 Milliarden Franken – wesentlich mehr als heute für Rüstungseinkäufe zur Verfügung steht. Um die Waffenbestände zu erhöhen, müssen die Mannbestände massiv reduziert werden.

Das Problem des VBS ist bloss: Wie sag ich’s meinem Kinde. Wie ist eine Revolte unter den Zigtausenden von Milizoffizieren und Unteroffizieren zu verhindern, die bald wegrationalisiert werden? <Wenn ich nun vorschlagen würde, sie [die Armee] auf 200’000 zu reduzieren, würde es in armeefreundlichen Kreisen sehr rasch heissen, der Ogi sei ver-rückt>, gab Bundesrat Adolf Ogi un- längst in der Weltwoche zu bedenken.

Couchepins medial lancierter <Radikalvorschlag> wird ihn daher gefreut haben: Couchepin wirft den Stein noch etwas weiter und schon stehen die verschreckten Traditionalisten wie ein Mann hinter Adolf Ogis Kurs von Bestandesabbau und Aufrüstung.

Billiger ist nicht gleich sinnvoller

Die Sozialdemokratische Partei (SPS) streitet derweil über Finanzen: 3,1 oder 4,9 Milliarden Franken pro Jahr für die Armee? Geld ist knapp und für reale Probleme dringender nötig. Wenn die Armee weniger Geld verschleudert, ist das sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Darüber ist sich die friedenspolitische Linke einig. Nur: Eine billigere Armee wird nicht automatisch sinnvoller. Sparen bei der Armee ist noch kein friedenspolitisches Konzept. Bleibt die SPS bei der Forderung nach weniger Armeeausgaben stehen, muss sie die Armeeaufgaben definieren, die zum halben Preis noch Sinn machen sollen. Das <gewisse Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung>, das von einzelnen SP- Politikern ins Feld geführt wird, findet sich unterdessen nicht einmal mehr im VBS-Argumentarium. Landesverteidigung ist bereits heute absurd – mit einer kleineren Armee wird diese Idee noch lächerlicher.

Eine friedenspolitische Perspektive muss aufzeigen, dass die Armee die falsche Antwort auf dieses <gewisse Sicherheitsbedürfnis> ist und nicht – wider besseres Wissen – vermeintliche Sicherheit zu einem billigeren Preis anbieten.

Keine neuen Mythen

Die Zukunft der Schweizer Armee – und damit die Ausrichtung eines wichtigen Teils unserer Aussen- und Sicherheitspolitik – entscheidet sich nicht primär in der Budgetdiskussion oder an Wehrpflichtmodellen. Entscheidend wird sein, wie die Schweiz die Schlüsselbegriffe <Solidarität>, <Kooperation> und <Friedensförderung> aussenpolitisch konkretisieren wird.

In der Frage nach der grundsätzlichen Ausrichtung der Armee ist einiges in Bewegung geraten. Sogar die kalten Krieger von einst, die jahrzehntelang die autonome Verteidigung der Schweiz und das Überleben in einem Atomkrieg planten, kommen zu neuen Einsichten. Die einen haben endlich eingesehen, dass die Ideologie der Landesverteidigung nicht mehr zu halten ist. Die Schweiz liegt mitten im Nato-Territorium. Sich gegen die Nato verteidigen zu wollen, ist selbst als Gedankenspiel hirnrissig. Die grosse Mehrheit unserer sicherheitspolitischen Elite hat sich daher von der bewaffneten Neutralität verabschiedet und sucht nach einer neuen Legitimation für ihre Armee. <Modernisten> wie alt-Divisionär Gustav Däniker legen sich ihre Welt neuerdings durch die Brille des Kriegshumanismus zurecht. Geradezu peinlich idealisiert er die Rolle der guten westlichen Soldaten, die im Irak und im Kosovo nicht mehr den Feind bekämpfen, sondern Frieden stiften. Bei dieser Weltenlüge machen andere wie alt-Divisionär Hans Bachofner nicht mit. Sie bleiben bei der lange eingeübten Landesverteidigungs-Perspektive, aus der sie das neue Konzept der <bewaffneten Solidarität> scharf kritisieren. Weil sie an ihren alten Mythen hängen, erkennen sie das Gerede ihrer Waffenbrüder von <Kooperation> und <Solidarität> als das, was es ist: ein neuer Mythos. Däniker sagt den ewigen Landesverteidigern, wo sie heute stehen: im Abseits. Bachofner sagt den neuen Menschenrechtssoldaten, was ein Nato-Angriffskrieg ist: ein Krieg und nicht etwa eine <Friedensmission>. Beide liegen im Streit, beide haben zum Teil recht. In unseren Köpfen hat es Platz für beide Tatsachen, weil sie weniger mit ideologisch fixierten Ideen verkleistert sind.

Dies belegt auch der Streit um die sogenannten <Assistenzdienste>. Seit Mitte der 90er-Jahre versucht das VBS, seine auseinanderstrebende Truppe wenigstens auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören: Die Armee sollte unter dem Titel so viele zivile Aufgaben wie möglich übernehmen. Katastrophenhilfe, Flüchtlingsbetreuung, Hilfsdienste für die Polizei und das Grenzwachtkorps, Skipisten-Stampfen, Ordnungsdienst – wenn man sich schon nicht mehr auf einen Hauptauftrag einigen konnte, sollte die Armee wenigstens als Allzweckinstrument ihre Nützlichkeit unter Beweis stellen dürfen. Die GSoA hat diese <Assistenzdienste> von Anfang an als ökonomisch unsinnige und rechtsstaatlich gefährliche Legitimationsübung kritisiert. Aber es brauchte schon die Erlaubnis eines freisinnigen Bundesrates, damit die Wirtschaft ihre ideologischen Scheuklappen ablegen und einfach an ihre tatsächlichen Interessen denken konnte. Jetzt sieht also auch Arbeitgeberpräsident Peter Hasler, dass die Assistenzdienste ein Unsinn sind.

Weg mit den Denkverboten

Bewaffneter Alleingang ist absurd, Assistenzdienst ein Unsinn, bewaffnetes Krisenmanagement: gefährlicher Selbstbetrug. Kann die Schweizer Armee überhaupt Bestandteil einer zukunftsfähigen Aussen- und Sicherheitspolitik sein? Diese Frage ist weiterhin verboten. Bei allen Streitereien gibt es in der bisherigen sicherheitspolitischen Debatte – inbegriffen die sozialdemokratischen ExponentInnen – einen unhinterfragten Grundkonsens: Die Schweiz braucht eine Armee, weil sie eine Armee hat. Also muss man auch etwas anfangen mit ihr. Auf dieser Basis konzipieren die Militärs seit zehn Jahren ihre neue Sicherheitsdoktrin. Ziel dieser “Modernisierer” ist die Existenzsicherung der Armee, die den militärischen Feind verloren hat. Nötig wäre aber eine Sicherheitspolitik, die Konfliktursachen abbaut und damit eine friedlichere und somit auch sicherere Zukunft möglich macht. Die GSoA vertritt eine klare Position: Ja, die Schweiz soll einen verstärkten Beitrag zur internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik leisten. Nein, die Armee ist dafür kein taugliches Mittel. In den letzten zehn Jahren wurde offensichtlich: Konflikte sind mit militärischen Mitteln nicht kontrollierbar, geschweige denn lösbar. Respekt vor Menschenrechten lässt sich nicht herbeibomben. Nur die Unterstützung friedenswilliger Kräfte in Krisengebieten sowie die Garantie existenzieller Bedürfnisse vermögen nachhaltig Sicherheit, Stabilität und somit auch Frieden zu schaffen.

Im Getöse um Bestandesreduktionen, Dienstmodelle und Rüstungspläne geht die wesentliche Frage unter: Was wäre eine solidarische Aussenpolitik? Die GSoA hat ihre Vorschläge auf den Tisch gelegt.