Blanker Fleck

400 Millionen Franken betragen die ökonomischen Kosten der Gewalt gegen Frauen. Menschenrechts- oder präziser Frauenrechtsverletzungen sind auch in der Schweiz alltäglich

«Männerrechte gelten weltweit» schreibt Susanne Kappeler provozierend im neuesten Widerspruch zum Thema Menschenrechte*. Sie kritisiert, dass Menschenrechtsverletzungen immer nur in «anderen» Staaten wahrgenommen würden. Dabei werde verdrängt, dass gerade auch Frauen im Westen Opfer von «Frauenrechtsverletzungen» sind: «Westliche Frauen dürften sich also die Frage stellen, warum westlichen Männern die Freiheit und Menschenwürde von Frauen im Fall von Musliminnen und/oder Afrikanerinnen ein so grosses Anliegen sind – wenn ihnen die Würde der geschlagenen, vergewaltigten, diskriminierten, prostituierten und pornographisierten Westfrau bis heute doch keinerlei Menschenrechtsprobleme macht».

Kappeler fordert daher, die Menschenrechtspolitik westlicher Männer und Staaten gegenüber «dem Islam» in den Zusammenhang mit der Befreiung auch der Frauen im Westen aus der weltweiten Männergewalt zu stellen. Frauen haben «hier» wie «dort» Grund, sich gegen die militarisierte Männermacht im Staat zu wehren. Die Autorin verurteilt eine westliche Politik, die zum Beispiel in Algerien bereit ist, im Kampf gegen «die Islamisten» den algerischen Frauen einen skrupellosen Militärapparat aufzuhalsen, welcher sich um Menschenrechte und demokratische Rechtsstaatlichkeit futiert: «Warum aber soll eine Frau militaristischen Staatsterror islamistischem Terror vorziehen? Wann haben Soldaten Frauen ‹Schutz› gebracht?»

Erschreckende Alltäglichkeit
Wenden wir uns der Schweiz zu. Vor wenigen Wochen wurde eine Studie von Alberto Godenzi und Carrie Yodanis vorgestellt**, welche erstmals die ökonomischen Kosten der Gewalt gegen Frauen in der Schweiz untersucht. Die AutorInnen sind sich dabei bewusst, dass körperliche und seelische Verletzungen nicht einfach in Franken und Rappen beziffert werden können. Trotzdem ist es wichtig, das ungeheure Ausmass der Gewalt gegen Frauen einmal mit Zahlen zu veranschaulichen. Godenzi und Yodanis betonen, dass die Kosten der Gewalt von dieser selbst und nicht von den Dienstleistungen für die Gewaltopfer verursacht werden. Die Studie definiert Gewalt gegen Frauen als «physische, sexuelle und psychische Misshandlung (…), die von Männern gegen Frauen und Mädchen aufgrund deren Geschlechtszugehörigkeit ausgeübt wird.» Die Ergebnisse sind schockierend:

• Körperliche Gewalt: 5,6 Prozent der befragten Frauen erlebten im vorangehenden Jahr körperliche Misshandlung durch ihren Partner. Auf die Gesamtbevölkerung übertragen, ergibt das über 110’000 Frauen in der Schweiz, die jedes Jahr von ihrem Partner misshandelt werden. Dabei reichen die Formen von Gewalt von Ohrfeigen über Würgen zu Waffengebrauch. Misshandelte Frauen erleben körperliche Gewalt durchschnittlich sechs Mal pro Jahr.
• Sexuelle Gewalt: Rund 16’000 Frauen in der Schweiz erlebten 1993 sexuelle Gewalt durch ihren Partner. Gegen 11 Prozent (über 220’000 Frauen in der Schweiz) erlebten irgendwann in einer Intimbeziehung sexuelle Gewalt durch einen Mann. Übrigens: zwischen schweizerischen und ausländischen Paaren bestehen in Bezug auf Gewalttaten keine Unterschiede.
• Psychische Gewalt: Auf 26 Prozent der Befragten (rund 530’000 Frauen pro Jahr) wurde 1993 psychische Gewalt durch ihren Partner ausgeübt. Dazu zählen Godenzi und Yodanis Drohungen und Herabwürdigungen. Berücksichtigt wurden nur wiederholte Akte psychischer Gewalt.
Immense Kosten
Gewalt gegen Frauen kostet Bund, Kantone und Gemeinden pro Jahr schätzungsweise 400 Millionen Franken. Die meisten Kosten fallen im Bereich Polizei und Justiz an (187 Mio.). Die medizinische Behandlung kostet 133 Mio. Franken. Opferbezogene Unterstützung und Sozialhilfe machen weitere 80 Millionen aus. In unterstützende und beratende Einrichtungen wie Nottelefone, Frauenhäuser und weitere Angebote investieren Bund, Kantone und Gemeinden 9 Millionen Franken.
Die Studie fordert schliesslich, dass ein wichtiges Augenmerk auf die Erziehung von Männern zur gewaltlosen Interaktion zu legen ist. Diese Erziehung solle nicht erst bei Erwachsenen einsetzen, sondern bereits bei Knaben und Jugendlichen.

Welche Schlussfolgerungen drängen sich angesichts dieser Ergebnisse für die beiden Initiativprojekte der GSoA auf? Die nach wie vor enttäuschende Resonanz, auf welche die GSoA-Initiativen in frauenbewegten Kreisen stossen, zeigt zweierlei auf. Zum einen ist es bis zum heutigen Tag nicht wirklich gelungen, in einer öffentlichen Diskussion bewusst zu machen, dass die Armee genau der Ort ist, wo kollektive Männergewalt in einem staatlich institutionalisierten Rahmen organisiert und eingeübt wird. Auch Frauen haben hier ihren «blinden Fleck»: Susanne Kappelers Artikel wirft auch westlichen Frauen vor, «den eigenen Staat implizit zur menschenrechtsgerechten Zone» zu erklären. Zum anderen böte unsere Initiative – für einen Zivilen Friedensdienst – die Möglichkeit, an den Forderungen der Studie Godenzis und Yodanis’ anzuknüpfen und aufzuzeigen, wie Präventionsarbeit konkret geleistet werden könnte. Dies liegt im Interesse aller, die zur Einsicht gelangen, dass kein Friede zwischen den Menschen sein kann ohne Frieden zwischen den Geschlechtern.


* Susanne Kappeler, Männerrechte gelten weltweit, Widerspruch 35, Juli 1998: Menschenrechte.
**Alberto Godenzi und Carrie Yodanis (1998). Erster Bericht zu den ökonomischen Kosten der Gewalt gegen Frauen. Universität Freiburg

 

 

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