Blinde Flecken der Friedensarbeit

Mitchell, Blair, Adams, Trimble, Ahern… Konventionelle Politik und ihre Führer monopolisieren die Schlagzeilen über das nordirische Friedensabkommen. Wo bleiben die Basisgruppen und Friedensbewegungen, welche seit Jahren für Frieden in Irland gekämpft haben?  Von Rafa Sainz de Rozas*

Natürlich: Das Foto des Jahres – zwei vormals unversöhnliche Feinde, welche sich die Hände schütteln – sind für die Medien attraktiver als komplexe gesellschaftliche Prozesse. Doch auch jenseits der Medien-Ignoranz: In Situationen offener Gewalt haben es Basis-Friedensbewegungen schwer, einen bedeutenden Beitrag zum Erreichen eines Friedensabkommens zu leisten. Sie konzentrieren ihre Anstrengungen oft auf peace-building-Initiativen, während die Friedensverhandlungen (peace-making) und die Friedenserhaltung (peace-keeping) in den Händen der politischen Eliten bleiben.
Diese drei Aspekte des Friedensprozesses müssen aber kombiniert und gleichzeitig umgesetzt werden, um eine dauerhafte Friedenslösung zu erreichen. Widersprüche zwischen der Art, wie Friedensabkommen ausgearbeitet und umgesetzt werden einerseits, und den Strategien des sozialen Wiederaufbaus andererseits sind für das Misslingen mancher Friedensprozesse – etwa in Kambodscha oder in Israel und Palästina – mitverantwortlich.
Dies wird offensichtlich, wenn wir das Ganze aus der Geschlechter-Perspektive betrachten. Erstens: Vor allem Frauen leiden unter den Folgen gewaltsamer Konflikte. Zweitens: Frauen können in der Regel besser zwischen Gemeinschaften mit verschiedenen Interessen vermitteln. Schliesslich haben Frauen in der Regel die dominierende Rolle bei Versöhnung und wirtschaftlichen Entwicklungsprogrammen inne, welche für den Erfolg des Friedensprozesses nötig sind. Dennoch scheint sie niemand nach ihrer Meinung zu fragen, wenn es darum geht, Lösungen für den Konflikt zu finden.

Grosse Bandbreite
Selbst wenn wir nur in diesem begrenzten Sinne von Friedensprozessen sprechen, hat jeder einzelne seine Eigenheiten. Die Rolle, welche Basisbewegungen spielen, kann sich von Konflikt zu Konflikt stark unterscheiden.
In Guerilla-Konflikten – etwa in Guatemala, El Salvador und Chiapas – wirken strukturelle ökonomische Ungerechtigkeit, das Fehlen einer unabhängigen Jusitz sowie demokratischer Mechanismen und manchmal ein Genozid an der Urbevölkerung zusammen. Die Rolle der Armee in der Aufrechterhaltung des Status quo führt zu massiven Menschenrechtsverletzungen. Hier kann der Schutz relativ mächtiger regierungsunabhängiger Institutionen – namentlich der Kirchen – wirkungsvoll werden.
Staaten wie Argentinien, Uruguay und Chile haben heute zwar keine Guerilla-Konflikte, aber die Armeen
stehen bei der «Aufrechterhaltung der Stabilität» in der Kontinuität der Diktaturen der siebziger und frühen achtziger Jahre. Die Möglichkeiten für Basisbewegungen, dem Militarismus zu widerstehen und gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel zu fördern, sind hier sehr unterschiedlich.
Es gibt bewaffnete Kämpfe in Europa (Irland, Euskadi/Baskenland, KorsiKa), welche aus einer Mischung von Nationalismus und wirtschaftlichen Problemen entstehen. Die Rolle der Zivilgesellschaft wird hier vor allem vom Prozess der europäischen Integration beeinflusst werden.
In Südafrika, dem Mittleren Osten, Tschetschenien, Kambodscha, Osttimor, Burma, Ruanda, Zaire, in der Türkei und auf dem Balkan spielen Basisbewegungen eine interessante Rolle, ohne dass diese Fälle leicht generellen Kategorien zugeordnet werden könnten.

Moral oder Realpolitik?
Die Basisbewegungen selber sind manchmal mitverantwortlich für ihre teilweise marginale Rolle in Friedensprozessen – Prozesse zwischen Parteien, von denen mindestens eine den bewaffneten Kampf geführt oder massiven militärischen Druck ausgeübt hat. Erreichte Lösungen entsprechen manchmal nicht den pazifistischen Vorstellungen vom positiven Frieden. Das kann antimilitaristische Gruppen enttäuschen, welche lieber über einen richtigen Frieden reden oder gar eine gewaltfreie Revolution erreichen möchten. So ist es logisch, dass sie sich eher auf Massnahmen des peace-building konzentrieren und die wichtigen Aspekte des peace-making und peace-keeping vernachlässigen.
Pazifistische Gruppen politisieren auf der Basis von moralischen Werten. Friedesabkommen werden aber normalerweise im Rahmen der ‹Realpolitik› ausgehandelt.Daraus ergeben sich unausweichlich politische Legitimitätsprobleme. Muss man das staatliche Gewaltmonopol akzeptieren? Reicht es manchmal, der bewaffneten Gewalt ein Ende zu setzen, oder müssen wir immer versuchen, die Ursachen des Konflikts aus der Welt zu schaffen?

Herausforderung Ökonomie
Kriegsverbrechen und deren Bestrafung sind ein weiterer Aspekt in Friedensprozessen, mit dem sich Basisbewegungen oft schwertun. Im wesentlichen gibt es drei Arten, mit solchen Verbrechen umzugehen: Entweder zahlen einige ‹Sündenböcke› für alle Schuldigen – beispielsweise in Argentinien und Uruguay. Oder – etwa in Zentralamerika – erarbeiten die Parteien ein Abkommen: Niemand wird bestraft, doch die ganze Gesellschaft soll wissen, was geschah, und Mechanismen entwickeln, um zu vehindern, dass dasselbe wieder geschieht. Oder die Täter werden von einem internationalen Tribunal abgeurteilt, falls es sich um Genozid oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt – zumindest in der Theorie ist das die beste Methode. All diese Methoden können Friedensprozesse stabilisieren – doch wann sollte man welche vorziehen? Die wenigsten Basisgruppen haben hier eine klare Position entwickelt
Eine andere grosse Herausforderung für Basisbewegungen sind wirtschaftliche Interessen: Sie können den Schlüssel zur Beendigung eines Konfliktes liefern – was sich etwa am Einfluss der multinationalen Bergbaugesellschaften auf den Sieg der Kabila-Rebellen in Zaire zeigte. Wirtschaftliche Interessen können nach dem Ende eines Krieges oder Konfliktes, wenn die internationele Medienaufmerksamkeit sich anderen Gebieten zuwendet, Demokratie-Bestrebungen unterstützen. Basisbewegungen neigen dazu, die Arbeit in diesem wesentlichen Bereich zu vernachlässigen.
Nur mit einem kritischen Blick auf unsere eigene Realität als Basisbewegungen werden wir diese Fragen klären. Es geht nicht um unsere Präsenz in den Medien, sondern um unsere Präsenz in den Friedensprozessen, damit deren Resultat dem wirklichen Frieden, für den wir kämpfen, so ähnlich wie möglich sei.

* Rafa Sainz de Rozas ist Aktivist in der Kriegsdienst-Verweigerer-Bewegung KEM-MOC in Euskadi (Baskenland). Seinen Aufsatz schrieb er für Peace News, Juni 1998. Wir drucken eine leicht gekürzte Fassung.

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