Das prangern wir an (II): Die Armee macht sich an der Grenze wichtig

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Die bürgerlichen PolitikerInnen möchten WK-Soldaten zur Abwehr von Flüchtlingen einsetzen: Eine Anbiederung an die Rechtsaussen-Polterer und eine PR-Aktion für die arbeitslose Armee.

«Offen» sei er, erklärte der Bundesrat Ogi vor den SVP-Delegierten am 2. Mai mit Pathos: offen für einen Einsatz von Armeeangehörigen an der Grenze. «Die Armee ist bereit, ihre Verantwortung wahrznehmen. Meine Leute können innert Tagen bereit sein. Sie sind für einen solchen Einsatz ausgerüstet, ausgebildet und motiviert.» Für einmal applaudierten selbst die Parteifreunde des Zürcher Flügels ihrem Sport- und Armeeminister.

Noch am 17. März hatte der Bundesrat verlautbart, ein Einsatz von Milizsoldaten komme nur als «ultima ratio» in Frage. Für sein Vorpreschen wurde Ogi von seinen Kollegen aber nicht etwa gerügt: An seiner nächsten Sitzung «diskutierte» der Gesamtbundesrat einen solchen Einsatz. Die Diskussion sei «noch nicht beendet», die Lage soll im Sommer neu beurteilt werden.

Ultima ratio?

Schon 1991, kurz nach dem Ende des kalten Kriegs, liess das EMD im Rahmen der Übung «Limes» WK-Truppen an der Landesgrenze gegen supponierte Flüchtlinge aufmarschieren. Doch der Protest gegen «Limes» war gross und die Pläne für Grenzeinsätze der Milizarmee wurden schubladisiert. Das hat sich nun geändert. Im Januar dieses Jahres forderte die SVP nun wieder den Armeeeinsatz gegen die illegale Einwanderung; Ende April reichte CVP-Nationalrat Leu eine Motion ein, die von den Präsidenten der bürgerlichen Parteien unterstützt wird und das gleiche fordert. Auch die Brunner-Kommission, welche der Armee neue Aufgaben in der Zivilwelt erschliessen möchte, schlägt «in ausserordentlichen Situationen» die Unterstützung der Grenzpolizeidienste «mit militärischen Mitteln» vor.

PR-Aktion für die Armee: Was hat diesen Umschwung bewirkt?

Befindet sich die Schweiz in einer «ausserordentlichen Situation»? Als Hilfstruppe für die Grenzpolizei (Grenzwachtkorps) jedenfalls eignet sich die Armee auch heute nicht – von Milizsoldaten ganz zu schweigen. Dem stimmen auch Kommentare bürgerlicher Zeitungen zu. Der Verband des schweizerischen Zollpersonals wehrt sich «kategorisch» gegen solche Pläne. Die Grenzwächter verlangen eine Aufstockung ihres Personals, was ihnen aus Spargründen nicht gewährt wird.

Es geht also um etwas anderes: «Die Armee muss sich auch in aktuellen Einsätzen bewähren», sagte Ogi an der SVP-Delegiertenversammlung. Sein Parteikollege Nationalrat Baumann wurde noch deutlicher: «Auf schlichte und einfache Art könnten den Steuerzahlern und Bürgern Nutzen und Notwendigkeit unserer Armee nahegabracht werden.» Eine PR-Aktion für die Armee. Und nach dem Ende des kalten Krieges scheint das neue Bedrohungsbild endlich gefunden: Die Ausländer, die Flüchtlinge, vor allem die Albaner.

Augen zu, Grenzen zu

Mit der Zunahme albanischer Flüchtlinge wird die angebliche «Notlage» an unseren Grenzen von PolitikerInnen bis hinauf zum Bundesrat nämlich begründet. Erinnern wir uns: Anfang März massakrierten serbische Spezialpolizisten in Skenderaj/Drenica über hundert albanische ZivilistInnen. Seither treibt die Repression immer mehr Menschen in die Flucht. Viele wollen in die Schweiz, wo ihre Verwandten leben, die in den siebziger- und achtziger Jahren als willkommene Arbeitskräfte eingewandert sind. Der Bundesrat hält an Ausschaffungen in den Kosova fest – trotz der zunehmenden Eskalation vor Ort, und obwohl Fälle von albanischen Flüchtlingen dokumentiert sind, welche nach ihrer Ausschaffung aus Deutschland von der jugoslawischen Polizei gefoltert wurden. Ausschaffen, Augen zu, Grenzen zu!

Der Ruf nach der Armee passt gut zum gegenwärtigen Rechtsruck in der AusländerInnen- und Flüchtlingspolitik. Eine Woche nach der Diskussion um einen Armee-Einsatz an der Grenze gab der Bundesrat bekannt, drei Artikel der laufenden Asylgesetzrevision mittels Notrecht in Kraft setzen zu wollen. Laut Bundesverfassung kann er das, sofern der vorgeschlagene Erlass «keinen Aufschub erträgt». Die Asylkoordination hat das Referendum gegen das revidierte Asylgesetz angekündigt.

Die Artikel sehen unter anderem vor, auf Asylgesuche von Flüchtlingen ohne Identitätspapiere nicht mehr einzutreten. Diese Forderung hatte die SVP mit ihrer Asylinitiative gestellt, welche im Dezember 1996 abgelehnt wurde. Auch hier geht es um die Abwehr der unbeliebten AlbanerInnen: «Solange die gespannte Lage im Kosovo anhält» erklärte Bundesrat Koller an der Pressekonferenz, «müssen wir mit einem weiteren Zustrom von Asylsuchenden rechnen.» Die Flüchtlinge sollen nun gar nicht mehr in die Lage kommen, ihr Gesuch einzureichen.

Noch 1997 hat der selbe Koller im Nationalrat gesagt: «Ein Asylverfahren vom Vorweisen von Papieren abhängig zu machen, verträgt sich nicht mit der Flüchtlingskonvention.» Damit die Vorlage doch völkerrechtsverträglich ist, muss auf ein Asylgesuch auch von «Papierlosen» eingetreten werden, wenn plausible Hinweise auf eine Verfolgung bestehen. Die Flüchtlinge müssen also trotzdem angehört werden. Eine Verfahrensbeschleunigung oder gar -verbesserung wird das neue Gesetz nicht bringen. Es bringt nur eines: innenpolitischen Applaus von rechts.

Hetzkampagne

Mit Notrecht und mit der Armee an der Grenze will der Bundesrat die illegale Einwanderung bekämpfen – oder zumindest so tun, also wolle er das. 85 Prozent der Asylsuchenden reisen heute illegal in die Schweiz ein. Legal einreisen, um ein Asylgesuch zu stellen, ist fast unmöglich; die Schlepper verraten den Flüchtlingen jedenfalls nicht, wie das anzustellen wäre. Auch die Mehrheit der anerkannten Flüchtlinge ist illegal eingereist.

Illegal, das klingt nach etwas Bösem. Der «Blick», welcher im letzten Herbst seine «kriminelle Ausländer»-Kampagne startete, unterschied in seinen Artikeln kaum zwischen «kriminell» und «illegal». «Kriminelle Ausländer»: das ideale Schlagwort für alle, die sich nicht mit gesellschaftlichen Bedingungen der Kriminalität auseinandersetzen wollen.

Speerspitze dieser Hetzkampagnen ist einmal mehr die Zürcher SVP.

Gegen den Beitrag von 50’000 Franken an ein Kontaktnetz für schweizerische und kosovarische Familien ergriff sie das Referendum. Dass es ihr dabei nicht ums Sparen ging, ist offensichtlich: Die Abstimmung kostete ein Mehrfaches des Beitrages, der zur Debatte stand. «Kontaktnetz für Kosovo-Albaner NEIN» stand auf ihren Plakaten zu lesen – die ersten beiden Wörter so klein, dass bei einem flüchtigen Blick deutlich wurde, worum es dieser Partei wirklich geht: Nein zu einer ganzen Bevölkerungsgruppe.

«Noch mehr Asylanten und Ausländer – noch mehr Kriminalität» lautet die einfache Gleichung der SVP auf einem Flugblatt, das die Partei in alle Haushaltungen verteilen liess. Das Flugblatt enthält gar die groteske Behauptung, bei Albanern komme die Vielfrauenehe oft vor, das Integrationsprojekt sei «subventionierte Vielweiberei»: antiislamische Gefühle werden gegen die Albaner mobilisiert. «Exzessive Randgruppenpflege» nennt die SVP die Integrationsbemühungen mit einer menschenverachtenden Wortschöpfung.

In dieser Kampagne stösst die SVP mit ihrem politischen Unstil einmal mehr in Bereiche vor, die bisher tabu waren. Die Stadtzürcher FDP fuhr im trüben Fahrwasser mit: Obwohl sie das Referendum zuerst als sinnlos verurteilte, gab sie zum Kontaktnetz die Nein-Parole aus. Traurig: 55% der StimmbürgerInnen, darunter offenbar auch viele links wählende, folgten der fremdenfeindlichen Hetze am 7. Juni und lehnten den Kredit ab.

Muster-EuropäerInnen

Es ist nicht irgendeine rechtsextreme Splitterpartei, welche mit solchen Aktionen Fremdenfeindlichkeit schürt, sondern eine Partei, die auf verschiedenen Ebenen Regierungsverantwortung trägt. Die SVP wird immer mehr zum Katalysator, welcher fremdenfeindliche Ansichten und Forderungen für die etablierte bürgerliche Politik salonfähig macht: Die Armee an die Grenze, kein Asylverfahren für «Illegale», die Kosova-AlbanerInnen (und andere Flüchtlinge) abwehren und ausschaffen statt zu schauen, wieso sie zu uns flüchten.

Zumindest hier ist die Schweiz kein Sonderfall. Haider, Le Pen und Konsorten lassen grüssen. Ganz EU-Europa – und nicht nur Schengen-Land – ist dabei, seine Grenzen für Konzerne und Kapitalflüsse zu öffnen, sie für Menschen vor allem aus Ost und Süd aber zu schliessen – notfalls militärisch. Die Opfer dieser Politik sind die MigrantInnen, die aus welchen Gründen auch immer zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen werden. Die internationale Nichtregierungsorganisation «United» hat zwischen 1993 und 1998 über tausend Todesfälle an europäischen Grenzen dokumentiert – Tod durch Ertrinken im Grenzfluss, Tod durch Ersticken im Fahrzeug des Schleppers, Selbstmord aus Verzweiflung…

Und die GewinnerInnen? Motionär Josef Leu möchte mit der Armee an der Grenze «der illegalen Einwanderung und dem Schlepperwesen wirkungsvoll begegnen». Die Schlepper werden sich bedanken. Je schwieriger die Grenzen zu überqueren sind, desto gefragter sind ihre ‹Dienste›. Ein Schlepper, der den Flüchtling in Italien an die Grenze stellt, selber am nächsten Zoll legal einreist und den Flüchtling, falls er es geschafft hat, in der Schweiz in Empfang nimmt, lässt sich von WK-Soldaten nicht beeindrucken. Und falls es der Flüchtling nicht schafft und zurückgewiesen wird? Dann hat der Schlepper wieder einen Kunden.

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