Das prangern wir an (IV): Katastrophe statt Hilfe

Beim Zugunglück abgehängt

Als teuerster und unförmigster Katastrophenhilfe – Verein hat die Armee wahrlich einen Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde verdient. Doch die Frage ist berechtigt: Wer, wenn nicht die Armee, soll retten in der Not?

«Man versuche doch nicht, mit einigen Kompanien und Bataillonen, die sich bei Schadensminderung bewährten, die Notwendigkeit einer zahlenmässig dreihundertmal stärkeren Armee zu belegen», meinte Divisionär Alfred Stutz nach den verheerenden Überschwemmungskatastrophen in der Innerschweiz im Jahre 1987. Lieber Herr Divisonär Stutz, Sie haben sich leider geirrt. Seit die Armee 1989 ihren Feind verloren hat, klammert sie sich an jeden Strohhalm. 2300 von insgesamt 7’000’000 Diensttagen hat sie 1996 im Bereich «militärische Katastrophenhilfe» geleistet. Doch die Armeeführung gibt sich alle erdenkliche Mühe, mit diesen 0,03 Prozent der Diensttage die gesamte Armee als unverzichtbar zu erklären.

Armee auf dem letzten Platz

Tatsache ist: Selbst in den armeeinternen Einsatzdispositiven sind die Katastrophenhilfe-Einheiten der Armee bei Schadenereignissen weder in der ersten Interventionsstaffel («raschmöglichst») noch in der zweiten Staffel («1 bis 6 Stunden nach dem Ereignis») vorgesehen. «Auch bei günstigsten Voraussetzungen (Einsatz von Verbänden mit Helikoptern) dauert es minimal Stunden bis zum Einsatzbeginn (…). In ungünstigeren Situationen (Wochenende, Feiertage) ist ein Einsatz am ersten Tag unwahrscheinlich. Mit anderen Worten: für schnellebige Schadenereignisse (z.B. Zug-, Flugzeugunglücke) kommt Militärhilfe nicht in Frage», erklärte Paul Fäh, damaliger Chef der Stabsstelle «Koordination Katastrophenhilfe / Gesamtverteidigung» in der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift 7/8 1995. Rascher ist höchstens sogenannte militärische «Spontanhilfe» durch RS- oder WK-Truppen, die sich zufälligerweise in der Nähe des Schadenplatzes befinden.

Die Hauptverantwortung für die Katastrophenhilfe tragen in der Schweiz die rund 170’000 ausgebildeten Feuerwehrleute und die Polizei. Gar der auf Gemeindeebene organisierte Zivilschutz ist in den Einsatzdispositiven zentraler als die Armee.

Militärische Aufholjagd…

Dennoch: Das Departement Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) war in den vergangenen Jahren bestrebt, für Katastrophenhilfe geeigneter zu werden. Die Armee hat moderne Ausrüstung beschafft, die an vier Orten in der Schweiz in Wechselladebehältern bereitsteht und rasch an einen Schadenort gebracht werden kann. Anfang 1998 wurden auch die Schweizerische Alarmzentrale vom Departement des Innern sowie das Bundesamt für Zivilschutz vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeideartement zu Ogis VBS transferiert. Selbst wenn der reale Beitrag der Armee zur Katastrophenhilfe und das Bild, welches sie zu vermitteln versucht, weit auseinanderliegen: Die Armee hat sich in der Katastrophenhilfe einen besseren Platz ergattert.

Was ist denn heute der militärische Beitrag? Erstens modernes Material und zweitens Verfügbarkeit; Verfügbarkeit kann zwar nicht in den ersten Stunden, aber zu einem späteren Zeitpunkt praktisch grenzenlos geboten werden. Noch so gerne macht sich die Armee mit möglichst vielen Soldaten nützlich. Für die betroffenen Gemeinden ist militärische Hilfe bei Aufräum- und Wiederherstellungsarbeiten sehr attraktiv, weil für sie somit kaum Kosten anfallen. Für die eigenen Feuerwehrleute vor Ort bezahlt der Bund keinen Erwerbsersatz, für die Armee hingegen schon – wer will schon private Baufirmen mit Aufräumarbeiten beglücken, wenn die Armee diese gratis ausführt? Notwendig ist einzig eine Verstärkung der lokalen Wehrdienste, die nicht von den einzelnen Gemeinden getragen werden muss.

…zivil abfangen

Mit ihren beiden Initiativen will die GSoA die Armee abschaffen und in zivile Sicherheit investieren. Welche zivilen Strukturen könnten denn diese Aufgabe übernehmen? Auf den Zivilschutz kann man in seiner heutigen Form kaum zählen. «Die bisherige Rekrutierungform bringt es auch mit sich, dass bei manchen Zivilschutzangehörigen die Voraussetzungen sowie die Motivation mangelhaft sind», lautete das harte Urteil im Auswertungsbericht

nach der Unwetterkatastrophe in Brig. Gefragt sind nicht riesige und unmotivierte Zwangsdienste, sondern freiwillige und engagierte Institutionen. Eine freiwillige Katastrophenhilfeorganisation gibt es bereits: Das Schweizerische Katastrophenhilfekorps (SKH). Bisher ist es jedoch nur im Ausland tätig und wird dabei in seiner Arbeit von der Armee unterstützt. Nichts würde aber dagegen sprechen, das SKH so auszubauen, dass es eigenständig Einsätze im Ausland und in der Schweiz durchführen könnte.

Freiwilliges Rettungskorps?

Allenfalls wäre auch die Schaffung eines freiwilligen Rettungskorps, das die Katastrophenhilfe im Inland sicherstellen würde, denkbar. Dieses könnte die Gerätschaften und Fahrzeuge der militärischen Rettungstruppen übernehmen und bei Grossschadenereignissen und Katastrophen wie Grossbränden, Überschwemmungen, Waldbränden, Strahlenunfällen etc. die lokalen Wehr- und Rettungsdienste unterstützen.

Für Aufräumarbeiten nach einem Schadenfall hingegen wäre es durchaus sinnvoll, vermehrt private Bau- und Räumungsfirmen einzubeziehen und die Gemeinden im Katastrophenfall dafür durch den Bund finanziell besser zu entschädigen.

Um rasch und flächendeckend einsetzbar zu sein, müssten über die ganze Schweiz verteilt gut ausgerüstete Einheiten dieses Rettungskorps stationiert sein. Die Mitarbeit im Rettungskorps würde auf freiwilliger Basis erfolgen, zum grössten Teil als Engagement neben dem normalen Erwerbsleben. Für Einsätze sowie Aus- und Weiterbildung würden die Dienstleistenden angemessen entschädigt.

Um die vielfältigen Aufgaben zu bewältigen, könnte das Rettungskorps aus verschiedenen spezialisierten Einheiten bestehen, die dann je nach Bedarf einzeln oder im Verbund eingesetzt würden. Die während der Bereitschaftszeit zur Verfügung stehenden Fahrzeuge und Gerätschaften des Rettungskorps könnten zudem von den lokalen Feuerwehren unterhalten und verwendet werden.

Armeefrei zu allem fähig

Das Rettungskorps müsste folgende Aufgabenbereiche abdecken: Besondere Bedeutung käme bei Lösch- und Pionierarbeiten dem Sicherstellen der Wasserversorgung über grössere Distanzen zu, was vor allem bei Wald- und Grossbränden ein zentraler Aufgabenbereich darstellt und wofür die lokalen Wehrdienste oft zu wenig ausgerüstet sind. Ferner würde das Rettungskorps die lokalen Organisationen beispielsweise bei anspruchsvollen Bergungen von Fahrzeugen und dem Erstellen aufwendiger Infrastruktur wie Brücken unterstützen. Ein weiterer Schwerpunkt des Rettungskorps müsste die Unterstützung in den Bereichen Chemie-/Öl- und Strahlenwehr darstellen und heikle Arbeiten wie das Auffangen, Abdichten, Umpumpen und Aufnehmen von Chemikalien aus leckgewordenen Strassenzisternen, Eisenbahnkesselwagen und Transportbehältern übernehmen. Auf zusätzliche Unterstützung müssten die lokalen Behörden bei grossen Schadenereignissen auch im Sanitätsbereich, bei der Rettung, Evakuierung sowie medizinischen Erstversorgung von Personen zählen können. Schliesslich müsste das Rettungskorps auch in der Lage sein, Versorgungs- und Logistikaufgaben sowie das Bereitstellen von Unterkünften für Korpsangehörige und Katastrophenopfer bei länger dauernden Einsätzen zu garantieren.

Die Frage zu beantworten, weshalb heute die Armee diese Aufgaben übernimmt, ist einfach: Weil es sie gibt. Wird die Armee abgeschafft, so muss zweifellos die zivile Katastrophenhilfe verstärkt werden. Es existiert jedoch kein einziger plausibler Grund, weshalb dies nicht möglich sein sollte. Mit einem Bruchteil der finanziellen Mittel, die heute der Armee zur Verfügung stehen, könnte eine raschere und wirksamere Katastrophenhilfeorganisation geschaffen werden. Und die (abgeschaffte) Armee müsste sich nicht mehr vor einem Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde als teuerster und unförmigster Katastrophenhilfe-Verein fürchten.